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Die Tudeh von Iran

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Das Kaiserreich Iran nimmt unter den islamischen Ländern des Vorderen Orients eine Sonderstellung ein. Die mehr als zwei Jahrtausende zurückreichende Geschichte des Iran ist bis heute im Bewußtsein des Volkes lebendig, und nicht zuletzt durch seine Größe ist es Iran gelungen, trotz aller eindringenden Fremdvölker seinen ursprünglichen Volkscharakter zu bewahren. Mit Ausnahme des armenischen Elements hat das iranische Volk die eingedrungenen Minderheiten im Laufe der Zeit sämtlich assimiliert. Innerhalb der sunnitisch-islamischen Welt des Vorderen Orients sind die Iraner als Schiiten eine religiöse Minderheit, vielleicht ist auch deshalb der Islam im iranischen Volk besonders lebendig.

Erst Mitte der dreißiger Jahre, d. h. in der zweiten Hauptperiode des Kommunismus im Mittleren Osten, zeichnete sich in Iran die Bildung einer kommunistischen Gruppe ab. Ihr Führer war Dr. Taghi Erani aus dem iranischen Aserbeidschan. der in Berlin zum Doktor der Philosophie promoviert hatte. In Deutschland erhielt er zur Zeit der Weimarer Republik die ersten Impulse zur politischen Betätigung.

Die Kenntnis von der Existenz einer kommunistischen Gruppe gelangte in die breite Oeffentlichkeit, als Ende der dreißiger Jahre 53 Intellektuelle in Teheran wegen kommunistischer Umtriebe verhaftet und verurteilt wurden. Doktor Erani starb im Gefängnis. Während der Besetzung Irans durch die Truppen der Alliierten (in den Nordprovinzen bis Teheran von sowjetischen Truppen) wurden die politischen Gefangenen entlassen. Linter Führung von Soleiman Eskan-dari, einem bekannten Abgeordneten und Führer der Demokraten, gründeten nun einige Leute der kommunistischen Gruppe die „Iranische Tudeh-Partei“ (Hizbe Tudeh Iran) Kurz nach der Gründung starb S. Eskandari. Durch die Anwesenheit sowjetischer Truppen erhielten einige Tudeh-Führer, die bisher nur den aus Westeuropa importierten Kommunismus gekannt hatten, direkten Kontakt mit Moskau. Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine sowjetischkommunistische Strömung innerhalb der Tudeh. die zu einer Spaltung führte

Der heutige Führer der Partei „Die dritte Kraft“, Dr. Chalil Maleki, verließ 1945 die Tudeh; er nahm damit den Austritt Titos aus der Kominform um einige Monate vorweg und gründete die „Sozialistische Tudeh-Partei Irans“

(Hizbe Sozialiste Tudeh Iran), die jedoch nur eine kurze Lebensdauer hatte. Dr. Maleki stammt aus einer Wohlhabenden Großgrundbesitzerfamilie in Täbris, hatte seine Studien in Teheran absolviert und ist heute Physiklehrer an einem pädagogischen Seminar.

Die ursprüngliche „Iranische Tudeh-Partei“ (Hizbe Tudeh Iran) blieb bis 1948 bestehen, als sie anläßlich des Attentats auf den Schah im Hofe der Universität von Teheran durch parlamentarischen Beschluß für illegal erklärt wurde. Einige Parteiführer konnten flüchten, 16 wurden verhaftet. Es gelang ihnen jedoch, aus dem Gefängnis zu fliehen. Die mittleren Funktionäre und die übrigen Mitglieder der Tudeh setzten ihre Aktivität unter dem Decknamen verschiedener Frontorganisationen fort. Nach dem Sturz Mossadeqs aber verschwanden auch diese Restorganisationen der Tudeh. Damit war die Partei gezwungen, wieder in den Untergrund zu gehen, wo sie unter Führung des Arztes Dr. Y a z d i ihre politische Tätigkeit fortsetzte

In politischen Kreisen herrscht allgemein die Ansicht, daß die Tudeh heute keine Gefahr mehr ist. Dies schließt aber nicht aus, daß sie auch jetzt noch die bestorganisierte Partei Irans ist, eine typische Kaderpartei. Von den 14 männlichen Funktionären der Tudeh sind nur zwei keine Akademiker, und nur ein einziger, nämlich Bograti, wird als Arbeiter bezeichnet Nur einer der namhaften Funktionäre hat seine Studien ausschließlich in Iran absolviert.

Der Beginn eines ausgebildeten parteipolitischen Lebens in Iran fällt in die Zeit des Oel-konflikts. In den Jahren 1948 bis 1949 fanden sich allmählich alle führenden nationalistischen Politiker im „Politischen Klub“ zusammen: der Philosophieprofessor Dr. B a g h a i mit seiner Gruppe. Kaschani, Führer der Moslem-Bruderschaft, der ehrgeizige Rechtsanwalt Doktor Mossadeq und Dr. M a 1 e k i mit seinen Anhängern. Sie bildeten die „Nationale Front“ (Djebhei Melli). Mit Hilfe zahlreicher organisierter Stoßtrupps von Agitatoren wurde Baghai zur dvnamischen Kraft der Nationalen Front. Es gelang ihm, 1950 im Wahlkreis Teheran acht von insgesamt zwölf Abgeordneten ins Parlament zu bringen, die von da an ein gewichtiges Wort mitsprachen Mossadeq wurde Ministerpräsident. Aus der Nationalen Front bildeten sich nun selbständige Parteien.

1950 gründete Dr. Baghai die „Partei der Werktätigen der Iranischen Nation“ (Hizbe Zachmat Keschani Mellati Iran), die sich von Mossadeq distanzierte, als dieser sich auch auf Tudeh-Leute stützte. Maleki gründete später die Partei „Die Dritte Kraft“ (Neyruye Sewom).

Heute gibt es in Iran- — teils legal, teils illegal — also drei parteipolitische Hauptrichtungen: die „Partei der Werktätigen der Iranischen Nation“, die „Dritte Kraft“ und die „Iranische Tudeh-Partei“.

Die „Partei der Werktätigen“ forderte von der Mossadeq-Regierung die Säuberung der Aemter von anglophilen und • korrupten Elementen, Wahlreformen, Unterstützung der Forderungen der Bauernorganisationen, Reform der Steuer- und Wirtschaftspolitik, Neuorganisierung der Verwaltung der Oelgesellschaft, Organisierung der Arbeiterschaft. Sie ist eine sozialnationalistische Massenpartei unter Anerkennung, des Schahs als Regierungsoberhaupt der Nation. Als sich die Aktionen der Mossadeq-Regierung gegen den Schah zu richten begannen und nicht mehr mit den Zielen der Partei übereinstimmten, traten ihre Führer von ihren öffentlichen Funktionen zurück.

Die Partei Dr. Malekis. die „Dritte Kraft“, ist eine kleine mehr oder weniger exklusive Gruppe von Intellektuellen, die überwiegend in Westeuropa studiert haben und mit marxistisch-leninistischen Ideen in Berührung gekommen sind. Dr. Maleki verfolgt eine neutralistisch-sozialistische Richtimg und ist gegen den Schah, als Person und als Institution, eingestellt. Er ist antisowjetisch und tendiert zu einer titoistischen Richtung.

DicT u d e h - P a r t e i ist als rein kommunistisch anzusprechen. Obwohl sie 1948 — wie bereits erwähnt — durch Parlamentsbeschluß verboten und für illegal erklärt worden war, ist sie auch heute noch als Organisation vorhanden. Ihre Anhänger rekrutieren sich vor allem aus der heranwachsenden Generation der Intelligenz. Da sie, wie alle kommunistischen Parteien, eine strenge Disziplin von ihren Mitgliedern verlangt und in ihren parteitheoretischen Schriften die

Anerkennung der Autorität der KPdSU nicht verschweigt, ist ihre Mitgliederzahl relativ gering. Ihre ausgezeichnet geschulten Funktionäre unterwandern aber mit großem Geschick alle möglichen Vereinigungen religiösen Charakters. In ihrem an sich dogmatischen Programm stellt die Tudeh die antiimperialistische Zielsetzung besonders augenfällig heraus und versucht auf diese Weise, die Sympathie der Nationalisten zu gewinnen. Den Islam als Religion läßt sie unangetastet; gegenüber dem Schah aber nimmt sie eine radikale Haltung ein. Obwohl die Partei offiziell verboten ist, stellt das iranische Wahlsystem eine gewisse Begünstigung der Tudeh dar.

Die Einflußgebiete der Tudeh lagen ursprünglich in den Arbeiterzentren am Kaspischen Meer, wie Schahi Sirab, Behschahr und Tschalus, sind aber gegenwärtig stark zurückgegangen. In Teheran ist die Partei nie stark gewesen. In den Teheraner Gewerkschaften spielen allerdings gewisse Tarnorganisationen eine Rolle.

Die Tudeh wird unter Beibehaltung ihres „nationalistischen“ Programms und bei weiterer Nichteinmischung der Sowjets in die iranische Politik ihre Kaderstärke vermutlich bewahren können. Eine populäre Partei auf Massenbasis kann sie jedoch kaum werden, da die marxistische Dogmatik gegen das traditionelle Denken der Bevölkerung gerichtet ist. Es bleibt ihr das Mittel der Unterwanderung, die sich bis in die Reihen der „Partei der Werktätigen der Iranischen Nation“ erstrecken kann. Hierbei sind gewisse gefährliche Entwicklungen nicht ausgeschlossen. Da es sich bei deren Parteigängern zum großen Teil um Analphabeten handelt (zirka 80 Prozent der Bevölkerung können weder lesen noch schreiben), können die Tudeh-Konspirateure sich mit den ebenfalls nationalistischen Zielsetzungen der Baghai-Partei mühelos identifizieren, ohne ihre Abhängigkeit von Moskau und ihre feindliche Haltung gegenüber dem Schah aufzudecken. Mit dieser Taktik kann es ihnen paradoxerweise gelingen, selbst im Schatten der kaisertreuen „Partei der Werktätigen der Iranischen Nation“ durch das Personenwahlsystem ins Parlament zu kommen.

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