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Die UdSSR und Österreich

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ln wenigen Tagen wird der Vorsitzende des Präsidiums des obersten Sowjets, Podgorny, zu seinem vor Monatsfrist aus Krankheitsgründen kurzfristig verschobenen Besuch in Wien eintreffen. Es ist dies die erste Visite eines Staatsoberhauptes der UdSSR in Österreich. Und auch in der Geschichte wird man weit zurückgehen müssen, will man den Besuch des damaligen Zaren aller Reussen am Kaiserhof in Wien verzeichnen. Grund genug, um eine Woche die Beziehungen zwischen Rufjland und Österreich in den Mittelpunkt der politischen Diskussion zu stellen. Aus diesem Grund dachten wir, dafį es einmal von Interesse wäre, die Ansichten eines namhaften Sowjetbürgers über die Beziehungen zwischen der Weltmacht UdSSR und unserer i-Mlllionen-Donau- und -Alpenrepublik zu hören. Deshalb haben wir durch die freundliche Vermittlung der Agentur Nowosti Professor WladimirTurok, von dem uns wohlbekannt ist, da er seit seiner Jugend stets großes Interesse für Österreich bekundet, gebeten, einige Gedanken über Vergangenheit und Zukunft der russisch-österreichischen Beziehungen zu Papier zu bringen. Prof. Wladimir Turok (geb. 1904) ist Doktor der Geschichtswissenschaften, Mitarbeiter des Institutes für Slawistik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Prof. Turok weilte zweimal in Wien, das erste Mal in der Zeit der Ersten Republik, das zweite Mal als Teilnehmer des XII. Internationalen Historikerkongresses im September 1965. Professor Turok ist Autor der Abhandlungen „Locarno , „Abrisse der Geschichte Österreichs (1918—1929)", „Abrisse der Geschichte Österreichs (1919—1938)’, und Mitglied des Vorstandes der Sowjetisch-Österreichischen Gesellschaft. — Der „österreichischen Perspektive” dient der nebenstehende Beitrag des Cftėf- redakteurs der „FURCHE", der nach einer durch Krankheit erzwungenen Pause von zwei Monaten damit seine Arbeit wieder aufnimmt. „DIE FURCHE'

Das Schicksal j des Österreich!- Į scheu Volkes war kompliziert und in vielem dra- ; matisch. Während der Habsburgermonarchie mußte das Volk mehrmals zu den i Waffen greifen und für ihm gar» fremde Interessen kämpfen.

Das Bündnis Österreichs mit dem kaiserlichen Deutschland und die Unterordnung der österreichischen Regierung unter die militärischen Ziele des deutschen Imperialismus zog Österreich im Jahre 1914 in einen langwierigen, blutigen Krieg gegen Rußland hinein. Der erste Weltkrieg führte bekanntlich zur völligen Niederlage und zum Zusammenbruch des habsburgischen Nationalitätenstaates und rief etine langwierige wirtschaftliche und politische Krise hervor. Zwei Jahrzehnte lang konnte sich die auf den Ruinen der Habs- burgermonarchie entstandene Erste Republik nicht von den Folgen dieser Krise erholen.

In den Jahren der Massen arbeits- losagkeit und der langen Wirtschaftskrise existierten viele Branchen der österreichischen Industrie hauptsächlich dank dem Export in die Sowjetunion. Es gab keine objektiven Faktoren, die die Entwicklung freundschaftlicher sowjetischösterreichischer Beziehungen gestört hätten. Die besten sowjetischen Diplomaten der eisten Generation leisteten ihren Beitrag zur Schaffung der Grundlagen für wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen der UdSSR und Österreich. Die

Namen des hervorragenden sowjetischen Diplomaten Georgi Tschitsche- rin und der ersten sowjetischen Botschafter in Wien, Alexander Schlichter und Juri Kozjubinski, sind untrennbar mit dieser ersten Etappe friedlicher Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Österreich verbunden. Als bei der ersten Internationalen Wiener Messe der sowjetische Pavillon eröffnet wurde, besichtigten ihn viele tausende Wiener. Im Mauz 1924 eröffnete der Direktor des Staatsverlages der UdSSR, Otto Schmidt, die Ausstellung sowjetischer Bücher auf der Wiener Messe. Sie hatte ebenfalls großen Erfolg.

Die Führer der Ersten Republik verwandelten Österreich, das zu den demokratischsten Ländern Westeuropas zählte, allmählich in einen autoritären, klerikofaschistischen Staat, der zuerst zum Satelliten de« faschistischen Italien und später Nazideutschlianids wurde. Im Februar 1934 schlugen die Kanonen von Dollfuß, Fey und Starhemberg in das Gebäude der österreichischen Staatlichkeit eine Bresche, durch die im März 1938 die Hitler-Truppen strömten. Das von Hitler-Deutschland eroberte Österreich wurde in einen Lieferanten von Kanonenfutter für die deutsche Armee verwandelt und die gesamte Volkswirtschaft des Landes in den Dienst der Hitlerschen Kriegsmaschinerie gestellt. Die Unterordnung Österreichs unter den deutschen Imperialismus hatte schwere Folgen. Der Anschluß stieß das österreichische Volk in den Abgrund. Im März 1938 war die Sowjetunion die einzige Großmacht, die die Eroberung Österreichs unverzüglich und bedingungslos verurteilte. In der Erklärung des Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, Maxim Litwinow, vom 17. März 1938 wurde der Standpunkt der Sowjetregierung dargeilegt. Litwinow verwies darauf, daß die Sowjetregierung wiederholt auf der Notwendigkeit einer kollektiven Abwehr des Aggressors bestand und erklärte unter anderem: „Die Sowjetregierung hat dabei gewarnt, daß die internationale Passivität und die Straflosigkeit der Aggression in einem Fall die Wiederholung und Vermehrung solcher Fälle zur Folge haben wird. Die Ereignisse des internationalen Lebens bestätigten leider die Richtigkeit dieser Vermutungen. Sie wurden durch die militärische Invasion in Österreich sowie dadurch aufs neue bestätigt, daß das österreichische Volte gewaltsam seiner politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Unabhängigkeit beraubt wurde.“

Im Namen der Sowjetregierung schlug der Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR vor, unverzüglich eine Konferenz einzuberufen, um „mit anderen Mächten im Völkerbund oder außerhalb desselben praktische, von den Umständen diktierte Maßnahmen zu erörtern. Morgen kann es bereits zu spät sein.“

Diese feste und konsequente Haltung der Sowjetregierung leitete einen systematischen und beharrlichen Kampf der Sowjetunion für die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich ein. Die wichtigste Etappe dieses Kampfes war die Befreiung Österreichs durch die Sowjetarmee. Der Kampf endete auf Anregung der Sowjetregierung mit der Unterzeichnung eines Staatsvertrages. Im Zusammenhang mit dem Abschluß der Verhandlungen schrieb die „Wiener Zeitung“, Moskau habe eine neue Ära für Österreich eingeleitet.

Das österreichische Volk erhielt wieder die Schlüssel zu seinem Geschick. Mit der Signierung des Staatsvertrages wurde eine Lösung gefunden, die sowohl den Interessen des österreichischen Volkes als auch der Festigung des Friedens und der Sicherheit entsprach. Der Staatsvertrag und das Gesetz über die immerwährende Neutralität eröffneten Österreich die Möglichkeit für Fortschritt und Prosperität.

Gegenwärtig entfalten sich zwischen der UdSSR und Österreich erfolgreiche Beziehungen auf dem Gebiet des Handels, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur.

Die kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern wurzeln tief in der Geschichte und dürfen nicht bloß an Hand einzelner Tatsachen verfolgt werden. Letzten Endes kam es nicht darauf an, daß Anton Tschechow in Wien weilte, Johann Strauß Konzerte in Rußland dirigierte und das Moskauer Künstlertheater in Wien gastierte. Es kommt auf die gegenseitige Verständigung an, die in den Beziehungen zwischen dem russischen und dem österreichischen Volk, und insbesondere zwischen den Intellektuellen dieser wohl verschiedenen Länder, mehrmals und eindrucksvoll in Erscheinung trat. Das Vorhandensein dieses gegenseitigen Verständinisses kann man in den verschiedensten historischen Perioden feststellen.

Was die Musik betrifft, so genügt eine einfache Erwähnung der weltberühmten Namen. Mozart ist in Rußland ebenso populär wie in Österreich. Johann Strauß wurde, könnte man sagen,, zu einem „russischen“ Komponisten. '

Dasselbe betrifft auch einige österreichische Schriftsteller. Als Stefan Zweig im Jahre 1928 in Moskau zu den Feierlichkeiten anläßlich des 100. Geburtstages von Leo Tolstoj eintraf, empfingen ihn die sowjetischen Leser als ihren Schriftsteller. Hinsichtlich der Gesamtauflage von Zweigs Werken nimmt die Sowjetunion einen führenden Platz in der Welt ein.

Als 1892 im Kleinen Theater Moskaus die Erstaufführung von Franz Grillparzers „Sappho“ stattfand, spielte die Titelrolle die berühmte russische Schauspielerin Jermolowa. Sie betrachtete diese Rolle als eine der bestgelungenen in ihrem Leben. Der große Schauspieler Alexander Moissi interpretierte seinerseits glänzend die Fjodor- Protassow-Rolle im „Lebenden Leichnam“ von Leo Tolstoj auf der Bühne des Wiener Burgtheaters.

Die Traditionen der russisch- österreichischen Beziehungen wurden nach dem zweiten Weltkrieg intensiv entwickelt. Jedes Jahr findet ein Austausch von Wissenschaftlern, Künstlern und Künstlertruppen, Sportlern usw. statt.

Wir freuen uns über die Vielseitigkeit der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Österreich. Eine noch größere Freude bereitet uns die Hoffnung, daß diese Kontakte sich künftighin noch mehr intensivieren werden.

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