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Die unbekannten Politiker

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Man hört immer wieder von den Beschwerden der Fernsehteilnehmer, daß man in den aktuellen Berichten allzusehr die Persönlichkeit gewisser Minister in den Vordergrund stelle. Das Interesse der Zuschauer sei bei „Zeit im Bild“ und bei den „Streiflichtern aus Österreich“ auf die neueröffnete Straße oder die neuerrichtete Schule, nicht aber auf die eröffnenden Politiker gerichtet. Diese Argumentation scheint ziemlich allgemein anerkannt zu werden, und auch die Zeitungen haben mit Genugtuung die Feststellung Fernsehdirektor Dr. Freunds zur Kenntnis genommen, daß hier künftig eine Änderung eintreten werde.

Dieser anscheinend allgemeinen Freude kann sich der Lehrer oder Erzieher, der die jetzt so oft beschworene staatsbürgerliche Erziehung ernst nimmt, nicht anschließen. Ist doch das Hervorstellen der Persönlichkeit der einzelnen Politiker im Fernsehen und in den Wochenschauen der Kinos

— abgesehen von den verschiedenen Wahlkämpfen — eine der wenigen Möglichkeiten, die Gesamtbevölkerung in einer wirklichen Breitenwirkung mit der Person der einzelnen Politiker bekanntzumachen. Mag auch einer Reihe von Erwachsenen das oftmalige Erscheinen der Spitzen unseres Staates auf dem Fernsehschirm manchmal unangenehm sein und mag es sie in gewisser Hinsicht auch ermüden, so muß man das vom Standpunkt der Jugend aus anders sehen.

Wer ist Bundeskanzler?

Bei den im Bundeskonvikt für Knaben in Horn von Prof. Ernst P l e s s l schon seit längerer Zeit durchgeführten regelmäßigen Befragungen der Zöglinge über ihr Wissen auf staatspolitischem und heimatkundlichem Gebiet (mit anschließender Belehrung) war bei den Neueintretenden eitie oft erschütternde Unwissenheit der primitivsten Dinge auf dem Gebiete der österreichischen Politik festzustellen. Wenn auch der Name Dr. Schärfs den meisten bekannt war, so wurde doch auch auf die Frage nach dem österreichischen Bundespräsidenten der Name Eisenhower genannt — und das von einem Vorzugsschüler! Bei der Frage nach dem derzeitigen österreichischen Bundeskanzler konnten von den Zöglingen der 1. Klasse des Gymnasiums nur etwa 40 Prozent auf Doktor Gorbach hinweisen (auch nach der Belehrung haben manche noch den Namen falsch geschrieben, was zeigt, daß er ihnen völlig unbekannt gewesen sein muß!), während etwa 25 Prozent den Namen Dr. Adenauers nannten. (Überhaupt gab es in jeder Altersstufe einzelne, die den österreichischen mit dem deutschen Bundeskanzler verwechselten.) Daß Chruschtschow und Kennedy sich erst kürzlich in Wien getroffen haben, war fast durchweg bekannt, die Namen der Minister für Land- und Forstwirtschaft und für soziale Verwaltung kannte von den jüngeren Zöglingen aber keiner.

Diese Beispiele zeigen deutlich, daß die Unwissenheit auf dem Gebiete der österreichischen Politik keineswegs auf einer politischen Unwissenheit an sich oder auf einer Uninteressiertheit in politischen Dingen überhaupt beruht, sondern daß es sich um eine spezielle Wissenslücke auf dem Gebiete der österreichischen Politik handelt. Daß die kleinen, erst von der Volksschule kommenden Schüler mit dem Begriff des Bundeskanzlers vielfach den Namen Adenauer verbinden, kommt eben daher, daß auch in den Schlagzeilen der österreichischen Zeitungen öfter vom Kanzler Adenauer als vom Kanzler Gorbach die Rede ist.

Bei diesen Befragungen hat sich gezeigt, daß von allen Ministern die Person des Unterrichtsministers Doktor Drimmel weitaus am bekanntesten war, und das bestimmt nicht deswegen, weil er der Minister ist, dem das Schulwesen untersteht, sondern deswegen, weil Dr. Drimmel in der Öffentlichkeit wohl am meisten hervortritt. Daher waren auch Vizekanzler Dr. Pittermann und die Minister Dr. Bock und Dr. Kreisky einem großen Kreis der Befragten bekannt, während die weniger im Blickpunk) der Öffentlichkeit stehenden Ministei (zum Beispiel die Minister Afritsch

Dipl.-Ing. Hartmann und Proksch) weithin unbekannt waren. Die Person Ing. Figls aber, den viele als „den Figl“ oder auch als den Unterzeichner des österreichischen Staatsvertrages kannten, war den meisten ein Begriff.

Die hier angegebenen Ergebnisse gehen größtenteils auf die ersten Befragungen der Neueintretenden zurück. Bei den bereits längere Zeit an der Anstalt und im Heim weilenden Gymnasiasten und Aufbaumittelschülern war das Ergebnis natürlich weitaus erfreulicher. Die Maturanten konnten fast durchweg (auch vor der Behandlung in der Staatsbürgerkunde) alle Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung aufzählen. Die konsequente Belehrung auf diesen Gebieten hat selbstverständlich die entsprechenden Folgen gehabt und hat auch das private Interesse der Schüler geweckt. Trotzdem darf man nicht übersehen, daß es falsch ist, die gesamte staatsbürgerliche Erziehung der Schule und den ihr angeschlossenen Institutionen zu überlassen. So wie es beim „Tag der österreichischen Fahne“ ist, der als Schul- und Bundesheerfeiertag nicht seine Aufgabe erfüllen kann, so ist es auch hier. Freilich werden viele durch die staatsbürgerliche Erziehung in der Schule zu einer gewissen Anteilnahme am politischen Geschehen geführt, wie viele aber werden das Gesagte als etwas betrachten, das eben „auch zu lernen" ist!

Die großen Unbekannten

Betrachtet man die Erkenntnisse der Befragungen bei den Neueintretenden und rechnet man das auf Grund einer speziellen Betreuung erworbene Wissen der älteren Schüler weg (wir dürfen unseren Blick ja nicht nur auf die Mittelschuljugend richten!), so kann man letztlich von unseren Politikern als den großen Unbekannten bei einem Teil unserer Jugend sprechen. Man muß sich nun fra gen, wie diese jungen Menschen einmal eine nähere Beziehung zur Politik bekommen sollen, wenn nicht schon früher ein echter Kontakt zwischen ihnen und den an der Spitze unseres Staatswesens stehenden Politikern hergestellt wurde. Helmut Schelsky hat in seiner bekannten soziologischen Studie „Die skeptische Generation“ festgestellt, daß die abstrakte Regierungsform des demokratischen Staates „mit seinem rational ausgewogenen und ausgeklügelten Gefüge gegenseitiger Machtkontrollen“ und „seiner Einschaltung von Gremien und Organisationen an die Stelle tragender Einzelpersonen in die Führungs- una Repräsentationsstellen“ die höchsten Anforderungen an die heranwachsende Jugend stellt. Das Symbolbedürfnis der Jugend verlangt eine Personifizierung des Staates, soll ein echtes Inter esse der Jugend am politischen Leben geweckt werden. „Der Jugendliche braucht, um zu einem echten Kontaktverhältnis zu kommen, einen deutlich sichtbaren Kontakrpartner. Eine gesellschaftliche oder politische Ordnung an sich, die immer notwendigerweise abstrakt sein muß, kann diese Funktion nicht erfüllen, solange sie nicht eine symbolische Verkörperung findet“ (Heinz Kluth).

Gegen das „Ohne uns“

Schelsky spricht von einer „unpolitisch demokratischen“ Einstellung unserer Jugend, einer Einstellung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sie nicht gegen die Staatsform gerichtet, aber durch das „Ohne-uns“-Schlag- wort charakterisiert ist. Daß diese Feststellung auf die studierende Jugend in Österreich nur in einem geringen Maße zutrifft, wird jeder Lehrer und Erzieher bestätigen können, der sich bemüht hat, in unaufdringlicher, aber bestimmter Weise das staatspolitische Verantwortungsgefühl der Jugendlichen zu wecken. Lehrer und Erzieher dürfen dabei aber nicht allein stehen. Es ist die Aufgabe der öffentlichen Beeinflussungsmittel (Zeitungen, Fernsehen, Kino, Rundfunk) und nicht zuletzt der Politiker selbst, hier mitzuhelfen, um bei den Jugendlichen — ohne jede Beeinflussung in parteipolitischer Hinsicht — über die Beziehung zu den politischen Persönlichkeiten eine Beziehung zum österreichischen Staat herzustellen. Einem vorhandenen Desinteresse am politischen Leben kann nicht mit dem Eintreten in das Wahlalter durch „Sofortmaßnahmen“ abgeholfen werden. Auch die positive Haltung zur Politik muß anerzogen werden, wobei die heute so wichtigen außerschulischen Erziehungsmittel in entsprechender Form mithelfen müßten. Das hat in keiner Weise etwas mit einer Erziehung zur Parteipolitik fu tri. DiV’ Familien; solche.

Erziehung durchführen wollen,- führen diese ohnehin in ihrem Sinne; durch, die Mehrzahl der Jugendlichen aber kommt aus Familien, die ihre Kinder in dieser Hinsicht unbeeinflußt lassen. Rein vom österreichischen Standpunkt aus soll in den Jugendlichen das Interesse am Staatswesen über die Bekanntschaft mit den Politikern geweckt werden. Der Staat soll für die Jugendlichen nicht nur ein (mehr oder minder) gut funktionierendes, unpersönliches Räderwerk darstellen, sie sollen hinter diesem Räderwerk auch die Männer sehen, die durch ihre Tatkraft die auftretenden Erfolge ermöglichen. Die Vergnügungsindustrie versteht es — oft unbemerkt von Eltern und Kindern —, durch eine gezielte Propaganda von klein auf, sich neue Konsumenten heranzubilden. Warum sollte dasselbe im Interesse des Staates nicht auch auf dem politischen Gebiet gemacht werden können?

Die Persönlichkeit der Politiker tritt immer mehr in den Vordergrund. Nach dem Vorbild Kennedys wurden auch in Österreich bei den letzten Landtagswahlen inzelne Persönlichkeiten in den Mittelpunkt gestellt. Das darf aber nicht allein bei den parteipolitischen Kämpfen der Fall sein, auch in der Ausübung ihres Amtes sollen die Spitzen unseres Staates nicht nur auf die Pflichterfüllung zum Wohle des Staates bedacht sein, sondern bewußt auch eine größtmögliche Popularität anstreben. Das Ergebnis der oben angeführten Befragungen (von denen übrigens hier nur der Punkt über die österreichischen Politiker der Gegenwart berücksichtigt wurde) rechtfertigt diese Forderung. Daß dabei die heute zur Verfügung stehenden Massenbeeinflussungsmittel eingesetzt werden müßten, ist selbstverständlich. In den autoritären Regimen werden die Politiker bewußt glorifiziert, und man weiß schon, warum man das macht. Ein gewisses Maß einer gesunden Hervorstellung der Politiker wäre vom erzieherischen Standpunkt auch in der Demokratie zu begrüßen. Ohne unwahre Verherrlichung soll sich der Politiker ;o geben und so herausgestellt werden, daß er im positivsten Sinn des Wortes anspricht und als Vorbild einer echten staatsbürgerlichen Haltung feiten kann.

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