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Die unbequemen Basken

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Am 6. Jänner trat der 26jährige baskische Student Josė Luis Zalbide im Provimzialgefängnis von San Sebastian in einen unbefristeten Hungerstreik, weil er als politischer Häftling miit gemeinen Sträflingen eine Zelle teilen muß. Zalibide war im Dezember in Kontumaz wegen illegaler Propaganda und unerlaubter Assoziierung zu einer sechsjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Aus Frankreich kommend, wurde er bei einem Verkehrsunfall verletzt. Man fand eine Schußwaffe und — seine Identität heraus. Eines weiteren Prozesses wegen illegalen Waffenbesitzes dürfte er sicher sein, ebenso wie einer sich daraus ergebenden dreijährigen Haftstrafe. Dies jedenfalls läßt der ähnlich gelagerte Präzedenzfall des vor einem Monat vom Madrider Gericht für öffentliche Ordnung abgeurteilten Bil- bainer Joaquin Garate vermuten, der außerdem noch ein zweites Malwegen des gleichen Delikts vor ein Militärgericht gestellt wurde.

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Fälle wie die Zaibides und Gerätes sind ziwar nicht alltäglich, bilden aber seit langem keine Sensation mehr. Nicht etwa, weil das Interesse der politischen Beobachter an ihnen nachgelassen hätte, sondern eher, weil Prozesse gegen separatistische Banken wie Zalbide und Garate seit 1960 auffallend häufig geworden sind. So wurde zum Beispiel 1964 allein gegen ungefähr 90 baskische Separatisten prozessiert; im Vorjahr waren es mehr als 50, darunter eine 19 Mann starke Gruppe, aus der allerdings 14 Angeklagte freigesprö- chen wurden.

Das Jahr 1960 markiert aus einem plausiblen Grund das Ansteigen der baskischen Separatistenprozesse: Es ist das Gründungsjahr der ETA (Euizkadi ta Azkatasuna), der revolutionären baskischen Befreiungsbewegung, die ihren Aktionsbereich über die drei baskischen Provinzen Spaniens erstreckt und eng mit der Iratxe, der baskisch-navarresischen Separatistenorganisation, sowie der Emibata, dem südfranzösischen Äquivalent, das seine Anhänger aus drei Departements rekrutiert, zu- saimmenarbeiitet. Ihrer Grundsatzerklärung zufolge ist die ETA eine unabhängige Vereinigung mit dem Ziel der Schaffung einer eigenen demokratischen Regierung für die sieben baskischen Provinzen beiderseits der Pyrenäen und der Aktualisierung der positiven Werte desbaskischen Volks. Eine unabhängige baskische Republik sozialistischer Struktur würde — so versichern die ETA-Führer — bestrebt sein, sich in die europäische Gemeinschaft ein- zuigliedem. Nicht in eine europäische Wirtschafts- oder Staatengemeinschaft, sondern in ein Europa der Völ'kerstämme. Zur Verwirklichung dieses baskischen Integrations- bestretoens wäre allerdings erst einmal eine neue Festlegung fast aller europäischen Staatsgrenzen erforderlich.

Das Rätsel der baskischen Sprache

Gewiß, im Europa von heute erscheinen die politischen Ansichten der ETA absurd und überholt, zumindest in ihren außenpolitischen Aspekten. Zieht man jedoch die ethnische Eigenart der Basken in Beitracht, ihre Sprache, die sich in keinen bekannten Sprachenkreis einordnen läßt und deren Ursprung selbst Gelehrten wie Humboldt unklar geblieben ist, und berücksichtigt man weiterhin die zeitweise Unterdrückung des Baskischen und der althergebrachten Bräuche dieser Volksgruppe, dann wird einem eher verständlich, warum die ETA trotz — oder gerade wegen — ihrer Prinzipien heutzutage bestehen kann und offenbar an Anhängern gewinnt.

Das Baskische, das sich durch lange Wörter und eine schwierige Grammatik auszeichnet, wird heute von mehr als einer halben Million Menschen gesprochen. Seinen ersten schriftlichen Niederschlag fand es im 10. Jahrhundert, die erste baskische Literatur taucht im 16. Jahrhundert auf. Ortsnamen nach zu urteilen war es früher auch über die südlichen Provinzen der iberischen Halbinsel verstreut. Offizielle Sprache war es nie gewesen. Daß es sich trotzdem erhalten hat, ist wohl auf den Volkscharakter der Basken, denen Zähigkeit und Dickschädelig- keit nachgesagt wird, zurückzufüh- ren. Während der Republikzeiit war das Baskische in Spanien mehr oder weniger offiziell erlaubt, unter dem jetzigen Regime war es bis vor einem Jahr geächtet.

1964 besann man sich, daß das Baskische ein Kuriosum darstellt, das bei Vernachlässigung aussteiben könnte. Es wurde in der Messe erlaubt, in regionalen Radiosendungen zugelassen. Kurz, Madrid versucht.

Der Einnuß der Priester

In alten Zeiten wurde das Baskenland von einem Ältestenrat regiert, der sich unter „heiligen“ Bäumen zu einer Art Thing periodisch versammelte. Der berühmteste dieser Bäume, der Baum von Guernica, der zusammen mit dem gleichnamigen Ort einem Angriff deutscher Flugzeuge im spanischen Bürgerkrieg zum Opfer fiel, gab der baskischen Hymne, der „Guemikako arbola“ ihren Namen.

Die Führerstellung der Ältesten wird in der Gegenwart weitgehend vom baskischen Klerus eingenommen. Verschiedentlich haben baskische Priester von der Kanzel herab das spanische Regime angegriffen, sich als Befürworter des baskischen Nationalismus hervorgetan. Einige Von ihnen kamen wegen ihrer oppositionellen Tätigkeit vor die Schranken des Gerichts, wie zum Beispiel der Bilbainer Geistliche Alberto Gibicagogeascoa, dessen Fall vor einigen Monaten durch die Sympathiemanifestationen zahlreicher öffentlich den Rosenkranz betender und Psalme singender Amtsbrüder aus dem Baskenland einiges Aufsehen erregte.

Die katholischen Priester des Baskenlandes genießen wegen ihres akzentuierten Nationalismus ein Vertrauen bei den als tief religiös bekannten Basken, wie es nur in wenigen spanischen Provinzen zwischen dem Seelsorger und seiner Gemeinde anzutreffen ist. Gerade dieses gute Verhältnis zwischen baskischem Separatismus und Klerus gibt der nationalistischen Opposition in Nordspanien eine Rückenstärkung, durch die deren Bekämpfung von Madrid aus nicht unbeträchtlich erschwert wird. ETA und Iratxe dürften daher mit ihrer Untergrundtätigkeit der Madrider Regierung noch einigen Ärger bereiten. Vor allem wenn man bedenkt, daß die Basken ein robuster, entschlossener und Terrorakten nicht abgeneigter Volksstamm sind.

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