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Die unheilvolle Salpeterkrise

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Chile nimmt eine Sonderstellung in der Entwicklung der drei letzten Jahrzehnte ein. Bis zum Abschluß des ersten Weltkrieges war es ein Land ohne Steuern, Die Salpetergruben befanden sich und befinden sich zwar in englischamerikanischem Besitz, ebenso wie die Kupferlager auch heute noch von nordamerikanischen Gesellschaften ausgebeutet werden. Bis zum Ende des ersten Weltkrieges waren die Abgaben der Salpetergesellschaften an die chilenische Regierung so groß, daß alle Bedürfnisse des Staates davon gedeckt werden konnten. Nach dem ersten Weltkrieg aber brach die Salpeterkrise herein, die in Chile tiefgehende Veränderungen auslöste. Seitdem haben sich die wirtschaftlichen Gegensätze verschärft, und seit dieser Zeit besteht das, was man ein wirtschaftliches Problem nennen kann. Nur eines ist geblieben: der Gegensatz zwischen arm und reich. Jedenfalls waren für den Ausländer die paradiesischen Zeiten des leichten Verdienens im wesentlichen ,zu Ende. In der Hoch-Zeit des Salpeters floß für gewisse Kreise das Geld in Strö-

men und ergoß sich zwangsläufig auch in andere Kreise, die an dem großen Aufwand der Verdiener verdienten. Nun aber kam die Periode der schwierigen Umstellung, der Ruf nach einer nationalen Industrie und eigener Produktion — und damit auch eine steigende Mißstimmung gegen die ausländischen Gesellschaften, die das Gas, die Elektrizität und die VerkehrsmitT tel mit Ausnahme der Eisenbahn in Händen.hatten. Mit dem Beginn dei eigenen Produktion erhoben sich gleichzeitig auch tausende soziale Fragen. In den zwanziger Jahren schuf Chile eine geradezu vorbildliche soziale Gesetzgebung, die allerdings in der Praxis zum Teil auf dem Papier stehenblieb.

Bei den Präsidentenwahlen im Oktober 1938 siegten zum ersten Male die Männer der Volksfront (Radikale Partei, Sozialdemokraten und Kommunisten) mit einer ganz geringen Mehrheit. Die Kommunisten waren das Zünglein an der Waage, wenn sie auch nicht direkt in der Regierung vertreten waren. Der radikale Umschwung prägte sich in einer radikalen Umgestaltung der Verwaltung aus. Der Verwaltungskörper wuchs und wuchs: die Vorkämpfer der Volksfront mußten untergebracht werden. Damit wuchsen aber auch die Ziffern für den Etat, und es wuchsen die Ausgaben im allgemeinen. Außerdem war diese Volksfront kein einheitliches Gebilde. Sie versagte, sie mußte versagen. Die Sozialdemokratische Partei zerfiel bald in verschiedene Teile. Es würde zu weit führen, Einzelheiten dieses Prozesses von 1938 bis zur Gegenwart aufzuzeigen. Präsidenten wechselten und Regierungen wechselten. Gewiß, der Produktionsprozeß machte Fortschritte. Die Hauptstadt Santiago nahm ein anderes

Gesicht an, und herrliche Bauieü eitstanden. Es wuchs aber auch die Spekulation, und es kam die Inflation. Sie ist jetzt auf einem Höhepunkt angelangt.

Man verschließt vielfach die Augen vor der Gefahr, indem man auf die inflato-rische Tendenz in der übrigen Welt hinweist. Aber die Inflation in Chile begann schon viel früher als anderswo und ist in erster Linie ein Produkt der nicht gerechtfertigten Preisbildung und Spekulation. Der Mittelstand war in Südamerika und Chile nie sehr stark; er wird gegenwärtig vollständig aufgerieben. Für den Volkswirt zeigten sich die Anfänge einer inflatorischen Entwicklung bereits um die Jahreswende 1940/41; sie war bis etwa 1943/44 eine sogenannte kontrollierte Inflation, um dann in ein unkontrollierbares Chaos überzugehen. Im Jahre 1938 beispielsweise wurde durch ein Gesetz das Mindestgehalt für alle Angestellten mit 450 Pesos chilenos festgelegt. Es stieg im Jahre 1941 auf 600 Pesos und beträgt in diesem Jahre 4670. Damit ist alles gesagt. In den letzten Jahren wurde eine Reihe von ausländischen Volkswirten von Rang konsultiert, eine Unmenge von Projekten entworfen, aber bis zum Augenblick konnte das Ei des Kolumbus nicht gefunden werden. Chile ist jetzt das zweitteuerste Land der Welt geworden. Es hat unermeßliche Güter in seinem Boden liegen, deren Ausnutzung für die Gesamtheit bisher nicht gelungen ist. Das hängt zum Teil mit dem Bevölkerungsproblem zusammen.

Chile hat heute zwischen 5,5 und 6 Millionen Einwohner. Davon entfallen allein auf die chilenische Hauptstadt Santiago, die sich mehr und mehr zum Wasserkopf entwickelt, 1,3 Millionen. Es folgt Valparaiso samt Vifia del Mar mit über 300.000 Einwohnern. Beide Städte sind etwa drei Eisenbahnstunden voneinander entfernt. Für das übrige Land bleiben also nur rund 4 Millionen Einwohner, die für die Nützung der Bodenschätze natürlich bei weitem nicht ausreichen.

So wird es verständlich: Augenblicklich hat es Südamerika nicht besser. Die sozialen Umschichtungen treten immer deut-Tcher ans Tageslicht, Diktatoren erheben ihr Haupt, kommunistische Strömungen machen sich bemerkbar, neofaschistische Einflüsse mit deutschem neonazistischem Einschlag treten in Erscheinung. Ganz Südamerika ist in einer großen U m-w ä 1 z u n g begriffen. Trotzdem aber dürften diejenigen recht behalten, die auf Grund eingehenden Studiums der Entwicklung erklären, daß Südamerika nach Abklingen dieser politischen und wirtschaftlichen Umbildungen der Kontinent der Zukunft sein wird.

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