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Die vielen Stimmen

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Daß ein Land andere Völker durch spezielle Radiosendungen in deren Sprachen anspricht, um sie mit seiner Kultur, seinen Auffassungen und seinem Wesen bekannt zu machen, hat etwas Nobles und Großherziges an sich. Es wäre in früheren Zeiten nicht nur aus technischen Gründen undenkbar gewesen und entspringt einem Zeitalter, in welchem Volksmeinungen ernster als früher genommen werden. Das steht nicht in Widerspruch zu dem Mißbrauch, der mit diesem Massenbeeinflussungsmittel auch gegenüber fremden Völkern betrieben wurde und wird — etwa zu lügenhaftem, eitlem Selbstlob der eigenen Einrichtungen und zur Herabsetzung derjenigen des angesprochenen Volkes, um es an seiner Fähigkeit, sein Schicksal auf die ihm entsprechende Weise zu bestimmen, irrezumachen. Trotzdem trauen heute wenigstens die in be-zug auf Meinungsfreiheit führenden Staaten — dem einzelnen Bürger zu, selber zu bestimmen, welchem Einfluß er sich auszusetzen wünscht oder nicht wünscht. Dieses Vertrauen wird im Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Organisation der Vereinten Nationen wie folgt ausgedrückt: „Jedes Individuum besitzt das Recht auf Meinungsund Redefreiheit auch durch das Recht. Informationen und Ideen auf jede beliebige Weise zu suchen, zu empfangen und weiterzuverbreiten.“

Diese Erklärung wurde in einer Zeit beschlossen, in der tatsächlich alle europäischen Länder (außer zweien) und alle nur irgendwie dessen fähigen in den anderen Weltteilen Rundfunk-Auslandsdienste unterhalten. Darunter befinden sich so kleine Länder wie Albanien und Island, Libanon und Israel. Marokko und die Türkei, Liberia, Haiti und Ekuador.

WER SOLL ZAHLEN?

Die zwei Ausnahmen in Europa waren bisher Irland und Österreich. Bei uns soll das nun anders werden, unser.Kurzwellen-Auslandsdienst soll am 1. Jänner 1961 seine Tätigkeit aufnehmen. Worin diese bestehen wird, wie viele Sendungen, von welcher Art und Länge, in welchen und wie vielen Sprachen, in welche Länder, Gebiete und Teile der Welt ausgestrahlt werden soll — all das wird in erster Linie von der Höhe der Geldsumme abhängen, die man dem Auslandsdienst bewilligen wird. Man spricht von 40 Millionen Schilling im ersten Jahr, die für Programme sowie die technischen und administrativen Erfordernisse aufzubringen wären. Der Auslandsdienst kann kaum aus dem normalen Budget des Österreichischen Rundfunks erhalten werden: Man kann den österreichischen Hörern schwerlich zumuten, ihre Gebühren für etwas einzuzahlen, das nicht für sie, sondern für ausländische Hörer bestimmt ist. Selbstverständlich soll der Auslandsdienst letzten Endes dem ganzen österreichischen Volk und seinen staatspolitischen Interessen zugute kommen; aber das österreichische Volk besteht nicht nur aus Radiohörern, und daraus ergibt sich, daß der Staat für den Auslandsdienst herhalten muß Das ist auch nahezu überall andernorts so. Ausnahmen sind nur jene Länder, in denen die Sendungen privaten Werbezwecken dienen, und außerdem die Sowjetunion und die Schweiz, wo die Auslandsdienste aus den Hörergebühren bestritten werden. Gerade in der letzten Zeit aber hat der Verband schweizerischer Radiohörer an die Rundfunkleitung eine energische Protestresolution gerichtet, in der verlangt wird, daß der Auslandsdienst fernerhin nicht mehr aus den Gebühren der heimischen Hörer bestritten werde.

In den übrigen demokratischen Ländern entscheidet zumeist das Parlament über die Summe, die dem Auslandsdienst alljährlich eingeräumt wird — so in Großbritannien. In Frankreich steuern alle am Betrieb des Auslandsdienstes unmittelbar interessierten Körperschaften zu dessen Erhaltung bei — zum Beispiel die Ministerien für wirtschaftliche, auswärtige und Übersee-Angelegenheiten. In den USA wird die „Stimme Amerikas“ aus dem Budget des allgemeinen staatlichen Informationsdienstes gespeist.

DIE GIGANTEN DES ÄTHERS

Vier Riesen ragen heute unter den Auslandsdiensten der Welt hervor; sie werden hier nach der Zeit ihrer Entstehung angeführt: „Radio Moskau“, der „External Service“ (Außendienst) der BBC, „Die Stimme Amerikas“ und „Radio Peking“.

Die Geburt des sowjetischen Auslandsdienstes datiert mit dem berühmten Funkspruch Lenins „An alle“, in welchem am 8. November 1917 die Regierungen, Armeen und Völker sowohl der Alliierten als auch der Mittelmächte zu einem Waffenstillstand und zur Beendigung des Weltkrieges aufgefordert wurden. Darüber hinaus war es nur selbstverständlich, daß ein politisches Regime, zu dessen innerstem Wesen (und vielleicht auch äußerem Bestand) die internationale Verbreitung seiner Staatsphilosophie gehört, sich des hierfür so geeigneten Rundfunks ausgiebigst bedienen würde. So stand „Radio Moskau“ bereits in den zwanziger Jahren als eine mächtige Organisation mit tausend Angestellten und einer (von ausländischen Ingenieuren) hervorragend entwickelten Technik da; bis zum heutigen Tag jedoch leiden die sowjetischen wie die Sendungen der anderen kommunistischen Länder unter Schematismus, Schwerfälligkeit und langatmiger Offiziosität.

Nach eigenen Angaben aus dem Jahre 1959 betrieb die Sowjetunion zu jenem Zeitpunkt 92 Lang- und Mittelwellensender sowie 160 Kurzwellenstationen (darunnter die zwei mächtigsten Sender der Welt mit je 500 Kilowatt), um täglich nach Europa 66 Sendungen und in außereuropäische Länder 69 Sendungen auszustrahlen. Außerdem werden von Regionalsendern wie Baku, Stalinabad, Eriwan, Kiew, Taschkent, Wilna und anderen täglich 34 Sendungen in angrenzende oder sonstwie leicht erreichbare ausländische Gebiete emittiert. So strahlte die Sowjetunion bis 1959 täglich insgesamt rund 170 Sendungen in 36 Sprachen auf 120 Sendestunden aus. Seither liegen Angaben und Meldungen vor, wonach die Zahl der sowjetischen Sendungen, insbesondere nach Asien und Afrika, um 15 Prozent erhöht worden ist. Eine Vorstellung von dem hierbei in Anspruch genommenen Personal erhält man durch eine jüngste Nachricht, wonach Radio Moskau allein die Zahl seiner indischen Übersetzer auf vierzig erhöht hat.

Es ist nicht uninteressant, daß der sowjetische Auslandsdienst nicht darauf verzichtet, in polnischer, chinesischer, tschechischer und in den anderen Sprachen der übrigen kommunistischen Länder zu senden, obwohl deren Auslandsdienste durchaus koordiniert mit dem sowjetischen erscheinen. So sind Ungarn und die Tschechoslowakei die „Spezialisten“ für Sendungen nach Österreich (letzteres mit täglich 100 Minuten in drei Sendungen), obwohl wir auch aus Moskau täglich mit zwei einstündigen Sendungen versorgt werden.

LÜGE UND WAHRHEIT

Als zweiter folgte ein Staat, der heute nicht mehr existiert — und das vielleicht deshalb, weil er seine Existenz zu sehr auf Propaganda aufgebaut hatte: Hitlerdeutschland. Die Nationalsozialisten haben die Rundfunkpropaganda auf eine bis dahin unbekannte raffinierte Weise noch mit den kleinsten taktischen Zügen ihrer politischen und militärischen Kriegführung zu verbinden gewußt. Noch in Friedenszeiten war der gesamte Auslandsapparat der NSDAP mit zahlreichen Stützpunkten sowie der diplomatische und Außenhandelsdienst mit der' Tätigkeit des Auslandsdienstes des Reichsrundfunks auf das engste verquickt. Völlig skrupellos in bezug auf Wahrheit in ihrer Nachrichten- und Programmpolitik verlor die deutsche Radiopropaganda in dem Augenblick, da die militärischen und politischen Rückschläge ihre eigene Sprache zu sprechen begannen und der aufgenommene moralische Kredit sich als überzogen erwies.

Nichtsdestoweniger war die Auswirkung dieser Propaganda vor und zu Beginn des Krieges so ungeheuer, daß sie als eigentliche Taufpatin des „Europäischen Dienstes“ der BBC zu betrachten ist, der schon im Schatten des Krieges, im September 1938, hastig improvisiert wurde, um der deutschen Propaganda einigermaßen zu begegnen.

Der Auslandsdienst der BBC ist während des Krieges zu einem der wirksamsten Faktoren der Alliierten-Politik, mehr noch: zu einem Inbegriff der Demokratie für die ganze Welt geworden. In der Zeit höchster Gefahr für England, während der Katastrophe von Dünkirchen und der massiven deutschen Luftangriffe, während der schweren Rückschläge in Griechenland und Afrika, und später im Hagel der V-l- und V-2-Bomben und während der entscheidenden Riesenschlachten nach den Landungen in Italien und in der Normandie, hat die BBC an ihrer aufrichtigen und unabhängigen Programm- und Nachrichtenpolitik festgehalten und damit das Vertrauen auch der Völker des Feindes gewonnen. Der verstorbene französische Sozialist und Ministerpräsident Leon Blum, der den Krieg zuerst in einem Gefängnis Petains und dann in einem wenn auch „Prominenten“-KZ Hitlers verbrachte, wurde dort einmal von einem seiner „Betreuer“ darauf aufmerksam gemacht, daß aus den Sendungen, welche die französische Exilregierung in London über die BBC durchgab, schwere politische Differenzen zwischen de Gaulle und der britischen Regierung ersichtlich seien. „Nicht Sie haben Ursache, darüber zu triumphieren“, sagte Blum damals zu dem Deutschen, „sondern ich; ein Prinzip, welches ermöglicht, daß derlei trotz des Krieges gesendet wird, zeigt hiermit, daß es stärker ist als das Ihrige, und wird siegen.“

Diese Haltung wurde durch den unabhängigen Status der BBC unterstützt; er ist heute noch immer Vorbild und Traum für den Rundfunk anderer Länder. Die britische Regierung hat in bezug auf die Auslandsdienste der BBC nur ein gesetzlich zugestandenes Recht: die Sprache und die Länge der Sendungen in diesen Sprachen zu bestimmen. In bezug auf den Inhalt der Sendungen genießt die BBC völlige Unabhängigkeit. Und die Regierung nimmt, wie aus einem die BBC betreffenden Weißbuch hervorgeht, selber dazu folgenden Standpunkt ein: „Nach Ansicht der Regierung stellt gerade die Unparteilichkeit und Objektivität der BBC ein nationales Plus von großem Wert dar, und die Unabhängigkeit der BBC muß auf jeden Fall erhalten bleiben. Diese Unabhängigkeit ist ohne weiteres mit einer engen Verbindung zwischen den mit der Außen-und Überseepolitik betrauten Departements der Regierung und der BBC auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens und Verständnisses in Einklang zu bringen.“

Das internationale Prestige und die Bedeutung des Auslandsdienstes der BBC für Großbritannien sind so groß, daß trotz aller durch die veränderten Verhältnisse des Inselreiches erzwungenen Einsparungen nach dem Kriege der Auslandsdienst der BBC nahezu intakt gelassen, zum Teil sogar vergrößert wurde. Großbritannien läßt sich seinen Auslandsdienst heute alljährlich 378 Millionen Schilling kosten; hierin sind nicht die 36 Millionen Schilling für den Abhördienst der BBC eingerechnet, der jede ausländische Radiosendung von einiger Bedeutung festzustellen und aufzunehmen imstande ist. Von den 16.108 Angestellten der BBC sind 3450 im Auslandsdienst beschäftigt Die Auslandssendungen gehen aus 3 5 Studios in 40 Sprachen über 39 Sender während 81 Programmstunden pro Tag in die Welt. Außer Programmen aller Art werden vom Auslandsdienst täglich allein 140 Nachrichtenbulletins durch 100 Redakteure herausgebracht.

„Die Stimme Amerikas“ hat ihre hauptsächliche Entwicklung erst tiach dem zweiten Weltkrieg erfahren. Sie verfügt über ein Budget von 237,5 Millionen Schilling, sendet gleichzeitig auf 78 Sendern 208 Emissionen in 36 Sprachen pro Tag aus. Sie bedient sich dabei außer den in Amerika befindlichen Sendern einer beträchtlichen Zahl im Ausland aufgestellter Sender und Relaisstationen in Westdeutschland, Griechenland, den Dodekanes-Inseln, Großbritannien, Tanger, Ceylon, Hawaii, den Riukiu-Inseln und den Philippinen. Zwei dieser Sender befinden sich auf dem ständig vor der Insel Rhodos postierten Kreuzer „Courier“, von wo von vier Uhr früh bis Mitternacht in arabischer, armenischer, persischer, türkischer und englischer Sprache gesendet wird. 1962 wird die „Stimme Amerikas“ allein auf dem Territorium der USA unter anderen über vier 500-Kilowatt- und sechs 250-Kilo-watt-Sender verfügen.

Der jüng'te der Radiogiganten ist „Radio Peking“, das täglich 70,5 Stunden lang 66 Sendungen in 23 Sprachen ausstrahlt Auch diese Angaben stammen aus dem Jahr 1959. Seither hat auch Radio Peking die Zahl seiner Sendungen, insbesondere nach Asien, Afrika und Südamerika, stark erhöht, und dies unter anderen In so ausgefallenen Sprachen wie Swahili und Thai. Der ganze Ostblock hat seine Sendetätigkeit im letzten Jahr enorm verstärkt. Außer dem Hauptstoß, der nach Afrika, nach Asien gerichtet ist, gibt es eine Sonderoffensive der rumänischen, bulgarischen, albanischen und ungarischen sowie sowjetischen Dienste gegen Iran, die Türkei und Griechenland. Die DDR hat eigene mehrstündige arabische und persische Sendeblöcke, und die Tschechoslowakei errichtet derzeit in Kairo Relaisstationen, damit die Sendungen aus Prag wirksamer im arabischen Raum verbreitet werden können. Da sich in Prag die Hauptquartiere einer Reihe internationaler kommunistischer Organisationen, zum Beispiel des Weltgewerkschaftsbundes, befinden, dürfte es dem tschechoslowakischen Auslandsdienst nicht an geeigneten Mitarbeitern fehlen.

DIE KREISCHSÄGEN

Leider gestehen die Ostblockländer den anderen Ländern nicht die Radiofreiheit zu, die sie für sich in Anspruch nehmen. Auf der jüngsten

Sitzung des Straßburger Europarates wurde berichtet, daß die kommunistischen Länder heute mehr als 2000 Störsender betreiben. Sie hemmen damit nicht nur den Empfang westlicher Sendungen auf ihren eigenen Gebieten, sondern auch zum Beispiel in Finnland, Israel, Iran und der Türkei, weil die Sprachen dieser Länder zufälligerweise auch von einigen auf dem Gebiet der Sowjetunion lebenden nationalen Minderheiten gesprochen oder verstanden werden. Der Betrieb eines Störsenders ist ungemein kostspielig und wohl die unfruchtbarste Geldausgabe, die sich ein Staat leisten kann. Als Polen im Verlauf der „Tauwetterperiode“ nach dem Oktober 1956 den Betrieb seiner Störsender einstellte, erfuhr man, daß damit 52 Kurzwellen- und elf Mittelwellensender für normale Zwecke freigeworden waren. Die Aufstellung der Störsender hatte 112 Millionen Zloty gekostet und ihr jährlicher Betrieb 30 Millionen — ungefähr ein Drittel der gesamten Betriebskosten des polnischen Rundfunks. Mit der verwendeten Energie hätte man eine mittlere Stadt mit Licht- und Arbeitsstrom versorgen können. Die polnische Presse gab zu, daß „der politische Effekt von Störsendern gefährlicher für die einheimische Bevölkerung ist, als alle Nachrichten aus dem Ausland sein können. Der Störbetrieb ruft Gerüchte-macherei, Unruhe und Mißtrauen gegen die eigene Regierung hervor“, schrieb „Zycie Warszawy“. „Es gibt nur ein Mittel, um den Argumenten der ausländischen Rundfunkdienste zu begegnen: bessere Argumente der eigenen Massenkommunikationsmittel, nicht aber sinnlosen Lärm.“

Der Österreicher mag sich zu alldem denken: All das ist Großmacht- und Blockpolitik im Äther. Was geht das uns an? Wozu braucht ein kleines und neutrales Land wie das unsrige einen eigenen'Auslandsdienst? Was für einen Zweck kann das schon haben, wer hört denn überhaupt im Ausland zu? Von den Erfahrungen solcher kleiner und neutraler Länder, zum Beispiel der Schweiz, die ihren Auslandsdienst schon seit 20 Jahren betreibt, soll in einem weiteren Artikel berichtet werden.

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