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Die Waffen wurden in Schleswig geschärft

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Denn der Abgeordnete Otto von Bismarck-Schönhausen war ein anderer als der spätere Bundestagsgesandte, der 1862 in einem Augenblick der schweren innerpolitischen Krise an die Spitze der preußischep Regierung trat, nachdem er sich als Gesandter in St. Petersburg und

Paris bewährt hatte. Sein Ziel war die Überwindung des Dualismus,

freilich anders, als es sein erster König, Friedrich Wilhelm IV., gesehen, der „Preußen in Deutschland aufgehen“ lassen wollte, eher umgekehrt. Die großen Gedanken der Männer der Piauliskirche hatten sich als nicht sehr konstruktiv erwiesen, aber schon damals hatte die Schles- wig-Hoilsteinsche Frage eine mitbestimmende Rolle gespielt, ihre Lösung sollte nun den Ansatz zur weiteren „Politik der Erfolge und Tatsachen“ bilden. Das gemeinsame Vorgehen der beiden Großmächte gegen Dänemark im Jahre 1864

kritisierte zum Beispiel Napoleon III. als ein reines „Travailler pour le Roi de Prusse“ und einen Beweis für das Versagen der übrigen europäischen Mächte, die eine solch entscheidende Frage nicht einem bewaffneten Austrag hätte überlas sen sollen. Und noch nach fünfzig Jahren bestätigte ein kleindeutscher Historiker, Preußen habe im Kampf um die Elbherzogtiimer die Waffen geschärft, die man zwei Jaihre später erfolgreich gegen Österreich geführt habe.

Das „Condaminium“ der beiden deutschen Großmächte in Schleswig- Holstein steigerte die Reibungen bis zum offenen Konflikt, Österreich rief gegen alle weiteren Übergriffe die Entscheidung des Bundes an, der die Mobilisierung seiner Truppen beschloß. Darauf erklärte Preußen die Bundesakte für gebrochen und den Bund selbst für aufgelöst, unmittölbar darnach erfolgte der Einmarsch preußischer Truppen in Böhmen — wie 1740 — ohne Kriegserklärung. Die entscheidenden Siege dieses kurzen, nur sieben Wochen dauernden Feldzugs waren vom Chef des preußischen Generalstabs, Helmuth von Moltke, sorgfältig vorbereitet worden und sollten ebenso präzise durchgeführt werden. Moltke hatte dem Unternehmen eine klare Deutung gegeben: „Der Krieg von 1866 ist nicht aus Notwehr gegen die Bedrohung der eigenen Existenz entsprungen, auch nicht hervorgerufen durch die öffentliche Meinung und die Stimme des Volkes; es war ein im Kabinett als notwendig erkannter, längst beabsichtigter und ruhig vorbereiteter Kampf nicht für Ländererwerb, Gebietserweiterung oder materiellen Gewinn, sondern für ein ideales Gut — für Machtstellung.“ Diesem „idealen Gut" dienten seine drei Armeen, die „Mainarmee“, die den kaum zum Einsatz gekommenen Widerstand der süddeutschen Staaten zu überwinden hatte. Dazu die „Elbarmee“, die in zähem Vormarsch den Raum um Königgrätz erreichte. Hier, zwischen der Lipa und den Dörfern Chlum und Sadowa, gewann sie, unterstützt durch das rechtzeitige Eintreffen der Armeie des Kronprinzen, am 3. Juli 1866 „den langen Tag von Königgrätz“. Immer wieder stießen die weißen Linien der österreichischen Infanterie vor, ermutigt durch die bunten Einzelgefechte der prachtvollen Kavallerieeinheiten, aber im Gegensatz zur genialen Ruhe Mdltkes litt die Führung des bis dahin auf vielen italienischen Kriegsschauplätzen sieggewohnten Feldzeugmeisters L. v. Benedek unter mangelnder Geschlossenheit und einer letzten Entschlußkraft. So war am Abend dieses heißen Julitages die Entscheidung über die weitere Entwicklung der deutschen Frage gefallen.

„Keinen Qudratmeter..

Bismarck hat in den anschließenden Verhandlungen in Nikolsburg — gegen den Willen der Militärs — und im baldigen Prager Frieden „keinen Quadratmeter österreichischen Boden verlangt“. Dafür hatte er durch die Annexion Hannovers, Hessen-Kassels, Nassaus und Frankfurts den deutschen Norden unter seinen Einfluß gebracht und vor allem die Verdrängung Österreichs aus dem deutschen Raum erreicht. Die während des kurzen Waffenganges neutral gebliebenen außerdeutschen Mächte horchten betroffen auf, als sie die Friedensbedingungen in ihrer ganzen Tragweite vernahmen: „S. M. der Kaiser von Österreich erkennt die Auflösung des bisherigen Deutschen Bundes an und gibt seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des österreichischen Kaiser Staates. Ebenso verspricht S. M. das engere Bundesverhältnis anzuerkennen, welches S. M. der König von Preußen nördlich der Linie des Mains begründen wird." Damit hatte Kaiser Franz Joseph ausdrücklich der Eingliederung der zwischen 1864 und 1866 umstrittenen Herzogtümer Schleswig und Holstein in den preußischen Staat zugestimmt und stillschweigend die Einverleibung Hannovers, Kurhessens, des Herzogtums Nassau und anderer Gebiete durch Preußen anerkannt. Kein Wunder, daß auch die süddeutschen Staaten um ihren Weiterbestand bangten, daß zum Beispiel Königin Olga von Württemberg in zahlreichen Briefen ihren

Bruder, Zar Alexander II. von Rußland, um sein Eintreten für die Souveränität der „ehemaligen Rheinbundstaaten“ bat. Die englische Presse zeigte sich ebenfalls sehr beunruhigt, und Palmerston sprach von einer ernsten Bedrohung des europäischen Gleichgewichts. Ganz zu schweigen von der tiefen Enttäuschung Napoleons III., der wie alle anderen mit dem Siege Österreichs gerechnet hatte und seine Vermittlerbereitschaft sich durch „Kompensationen am Rhein“ hatte honorieren lassen wollen. Nur noch vier Jahre, und der Tag von Sedan sollte seiner schon etwas verbrauchten Herrschaft ein Ende setzen.

Das folgenschwerste Ereignis für die weitere europäische Politik bleibt aber das Ausscheiden Österreichs aus dem gesamtdeutschen Raum und seine Abdrängung nach dem magyarisch-panslawistischen Südosten. Nun sah es sich den Forderungen seiner verschiedenen Nationalitäten ausgesetzt; sie führten schon ein Jahr später zu dem bekannten Ausgleich mit Ungarn, den ein ähnlicher mit den Süd- und Westslawen hätte ergänzen sollen: „Königgrätz“, sagt Werner Richter in seiner Bismarck-Biographie, „schnitt von Deutschland ein Drittel etwa des Territoriums ab, das bisher nie anders existiert hatte als mit dem starken Rückhalt an den übrigen Zweidritteln. Österreich ging unfreiwillig denselben Weg, auf dem sich vor vierhundert Jahren die Schweiz, vor dreihundert die Niederlande freiwillig vom Deutschen Reich getrennt hatten. Etwa zehn Millionen Deutsche hörten auf, in Deutschland, ob es nun Deutsches Reich oder Deutscher Bund hieß, ihre Heimat zu sehen.

Was ist im Vergleich hiermit die Schlacht von Sedan? Sie brachte deutsch-französische Grenzveränderungen, die inzwischen schon wieder rückgängig gemacht wurden, und verdarb die Beziehungen zwischen beiden Ländern und damit die politische Atmosphäre Mitteleuropas für einige Generationen. Königgrätz jedoch griff tief in die Substanz Deutschlands ein, verringerte sie um ein Drittel und ließ seinen geistigen und wirtschaftlichen Einfluß, der zur Zeit des alten Reichs bis zum Schwarzen Meer gelangt war, schon etwa bei Wien enden, das nun deutscher Grenzposten wurde, wie es einst ein römischer gewesen war, als Kaiser Marc Aurels Zelt hier stand.“

Der Verlust der Mitte

Also nicht die Schlacht als solche ist des Gedenkens wert, so sehr sie auch in der Kriegsgeschichte durch die Anwendung neuer Massierungen und neuer Waffen bemerkenswert bleibt. Schwerwiegend sind ihre Folgen, deren es zu gedenken gilt, jener „Verlust der Mitte“, der durch den kurzen Waffengang die alte Ordnung Europas zerstörte. Ein sehr nüchterner Beobachter, der amerikanische Diplomat John Mothley, beurteilte schon zu seiner Zeit die innere Struktur des neuen Norddeutschen Bundes mit einiger Skepsis, wenn er sagt: „Vorläufig ist es eine Union mit einem erblichen Oberhaupt in der Mitte und erblichen Vasallen um ihn herum, mit einem nationalen Zentralparlament und regionaler Autonomie. Beides paßt nicht zusammen, entweder die Spitze oder der Amerikanismus hat zu verschwinden Aber die Vereinigung vieler ehemals unabhängiger Körper zu einem Ganzen muß entweder in militärischem Despotismus oder in einer demokratischen Nationalregierung enden “ Diese Ansicht wird in unseren Tagen durch den in den Staaten wirkenden Historiker Gor- don A. Craig bestätigt, der der Schlacht bei Königgrätz eine ebenso eindringliche wie objektive Monographie gewidmet hat. Er sieht die immer stärker von militärischen Erwägungen beherrschte deutsche Außenpolitik als besonders bedenklich an, die unter Wilhelm II. ziemlich geradlinig in den ersten Weltkrieg hineingeführt habe. Und Wilhelm Schüssler macht sogar die Erscheinung Hitlers von Königgrätz abhängig mit der Bemerkung: „Eine Erscheinung wie Hitler dürfte ohne Königgrätz kaum zu erklären sein, denn die Folge jener Schlacht war für Österreich die immer weitere Schwächung seines deutschen Elementes, der Aufstieg der Slawen und der überhitzte Nationalismus der Grenzkämpfe.“

Eine Schlacht und ein Jahrhundert — so, nur so ist es zu verstehen, wenn wir heute einer Niederlage von gestern gedenken. Das Bewußtsein, daß es heute nicht mehr um „Machterweiterung“ geht, sondern um eine echte, gemeinsame Integration in einer von neuen Mächten bedrohten Welt, zumindest dieses Wissen ist wohl der Erinnerung an Königgrätz wert.

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