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Die Waffenruhe war kurz

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Unmittelbar danach trafen Nachrichten ein, daß wieder Schüsse gewechselt wurden und sich die Gegner einander beschuldigten und verantwortlich machten. Die ganze Mühe schien dahin zu sein.

Es ist also kein himmlisches Jerusalem, dem Folke Bernadotte im Kreuzfeuer des nationalistischen Hasses begegnet. Die heimlichen Kopfschützen beider Lager, die ausgelegten Sprengladungen, die schon Abgesandte der Vereinten Nationen getötet hatten, erinnern an eine andere Wirklichkeit. Aber noch düsterer als Waffen wirkt das Netz von persönlicher Feindschaft, das sich sofort um ihn schließt, wenn er seinen Auftrag wieder aufnimmt.

Eine eigentümliche Rolle spielt in diesen Monaten die Insel Rhodos. Hier atmet er auf, als hätte er die Freiheit wiedergewonnen. „Was ich bei meiner Ankunft in Rhodos (am 14. Juni) empfand, war eine große Erleichterung. Hier waren wir weit weg von dem unruhigen Teil der Welt, wo wir die letzten zwei Wochen gelebt hatten — weit weg von der Welt, die auf. eine so furchtbare Weise von Haß und Intrigen erfüllt wird...“

Während des Fluges von Tel-Aviv hatte er einem Artikel einer jüdischen Zeitschrift gelesen, der ihm zeigen konnte„ wie übel man dort von ihm dachte. Es mag eine schmerzliche Enttäuschung für ihn gewesen sein, der mit reinen Händen arbeitete und auch mit Recht annehmen durfte, daß sein Einsatz für die 10.000 geretteten KZ-Gefangenen des Jahres 1945 als Bürgschaft für seine Gesinnung aufgefaßt werde. „Der Artikel enthielt eine Reihe von scharfen Angriffen sowohl gegen meine Maßnahmen wie gegen mich. Der Skribent will beweisen, daß ich den Juden meinen Waffenstillstand aufgezwungen hätte und die Angelegenheiten der Engländer und Amerikaner betreibe. Er ging davon aus, daß ich direkten Kontakt mit den Regierungen von London und Washington gehabt hätte, was ja am besten zeigt, wie unzuverlässig der Artikel ist...“

Rhodos schenkt Folke Bernadotte eine 'Atempause, vergönnt ihm noch einmal ein kurzes Privatleben. Er kann seine Frau und beide Söhne dort begrüßen. Der orthodoxe Erzbischof der zwölf Inseln ließ einen Gottesdienst abhalten und ein feierliches Gebet sprechen, daß die' Mission Folke Bernadottes zu einem glücklichen Ende gelange. Alle fielen auf die Knie und sein Name wurde genannt. „In diesem Augenblick fühlte ich ... die Verantwortung, die mir mit neuer Wucht auferlegt war...“

Nach Rhodos erfolgten wieder Verhandlungen wegen der schwer bedrohten Waffenruhe, und vierzehn Tage später flog er nach Lake Success. Hier konnte er sich indessen davon überzeugen, daß seine Auftraggeber nicht weniger leidenschaftlich einander bekämpften als die, denen er, gemäß diesen Auftraggebern, den Frieden zu bringen hatte. Man warf ihm vor, amerikanische und englische Interessen zu fördern — also dasselbe, was er in der jüdischen Zeitschrift gelesen und bei Pressekonferenzen herausgehört hatte. Er antwortete doch, daß er nicht erwartet hätte, in einer solchen Versammlung so beschuldigt zu werden wie in arabischen oder jüdischen Zeitungen. „Herr Vorsitzender, meine Herren“, schloß er, „in jeder Stunde, die wir hier mit der Diskussion dieser Frage verbringen, gehen hunderte arabische oder jüdische Leben verloren. Diese Leben zu retten, zu versuchen, einen Beschluß zu fassen und auf eine Waffenruhe in Palästina zu hoffen, ist viel wichtiger für mich, als mich selbst zu verteidigen.“

Nach Lake Success war Folke Bernadottes Mittlerschaft noch mehr erschwert. Er hatte einsehen gelernt, „daß das politische Spiel zwischen den Großmächten auf die geringsten Beschlüsse einwirkte, hinter deren Wort Macht gestellt werden mußte ... oft fühlte ich mich einfach verzweifelt wegen ihres Unvermögens, in schweren Stunden Prestige zu bewahren“. Es herrscht ja ein recht kriegerischer Waffenstillstand. Die Sprengung des Pumpwerkes von Latrun, die leicht hätte verhindert werden können, fällt gerade in diese Zeit.

Oft wird er sich jetzt des krassen Gegensatzes bewußt, der zwischen der Hölle Jerusalem und dem Heiligen Lande herrscht. „Das Bewußtsein, daß es vielleicht Kopfschützen ringsherum gibt, läßt keine angenehmen Gefühle entstehen ...“, schreibt er im August 1948. „Makaber ist gerade der richtige Ausdruck für den Kontrast zwischen dem heiligen Boden, auf dem wir gingen, und der haßvollen, fanatischen Stimmung, die diesen Boden umgab.“ Als er einmal von der Omarmoschee zur Grabeskirche ging, empfand er „ein eigentümliches Erlebnis, ...die Wanderung von diesem gewaltigen Heiligtum des Mohammedanismus entlang der engen Via Dolorosa anzutreten...“ Aber nicht lange darf er sich besinnlichen Gedanken hingeben. „Ich versetzte mich schnell zurück in die kalte Wirklichkeit. Der Kommandant der arabischen Legion erwartete mich in seinem Hauptquartier ...“

Was ihn besonders beschäftigt, ist die Unmöglichkeit, die jüdischen Führer zu bewegen, die arabischen Flüchtlinge wieder aufzunehmen, deren Zahl er damals auf 200.000 bis 300.000 schätzt, die aber viel höher liegt. Sie befanden sich in der Tat in einer unbeschreiblidien Lage. „Ich habe mit manchen Flüchtlingslagern zu tun gehabt, aber nirgends begegnete mir ein schrecklicherer Anblick als hier in Ramallah. Das Auto wurde buchstäblich gestürmt von aufgejagten Scharen, die mit morgenländischer Glut nach Essen verlangten und schrien, daß sie in. ihre Heimat zurückkehren wollten... Ich entsinne mich einiger schäbiger, abgelebter Greise mit verfilzten Barten, die ihre ausgemergelten Gesichter ins Auto hineinsteckten und uns Bissen eines Brotes hinhielten, das für gewöhnliche Menschen sicher ungenießbar war — ihre einzige Nahrung.“

Obzwar er Minister Shertok davon überzeugen wollte, wie bedeutungsvoll jetzt ein Entgegenkommen in dieser Frage wäre, blieb dieser „unbeweglich“. Auch sonst schienen Übereinkommen nur möglich, wenn er sich dem nationalen Willen unterwarf — eine Bedingung, die für ihn als Mittler ausgeschlossen war. Die Atmosphäre war also nicht hoffnungsvoll, und Folke Bernadotte drückt seine Mißstimmung darüber an mehreren Stellen aus. Um so mehr spricht es für seine Menschlichkeit, wenn er sich mitten in aussichtslosen Gesprächen für die Person seines Partners interessiert. Er läßt sich von Minister Shertok über dessen Lebensgang erzählen. „Er ist ein intelligenter und in vielfacher Hinsicht besonderer Mann ...“. resümiert er. „Sein

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