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Die Warschauer Zwölf

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War es eine, Bekennern des Marxismus nicht anstehende, unbewußte Neigung zur Zahlenmystik, die auf dem dritten Parteitag der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei dem Politbüro, deren oberstem Organ, eine Mitgliederzahl von zwölf statt bisher neun bescherte? Jedenfalls sollten die neu Hinzutretenden die zuverlässige Mehrheit Gomulkas innerhalb dieses Polen regierenden Kollektivs verstärken und ihn Vor jeder Ueberraschung durch unsichere Kantonisten schützen.

Das Ausland kennt von dem Dutzend der den polnischen Staat lenkenden Parteigewaltigen nur Gomulka und den durch dessen Plan berühmt gewordenen Außenminister Rapacki, allenfalls noch den Ministerpräsidenten Cyrankiewicz. Es wäre jedoch irrig, anzunehmen, daß die anderen Politbüromitglieder nur Statisten seien. Jeder von ihnen hat sein Ressort, das ihm beträchtlichen Einfluß gewährt, und mehrere aus der höchsten Parteibehörde bestimmen zusammen mit Gomulka die Gesamtpolitik des Landes mit.

Wladislaw Gomulka ist der Weltöffentlichkeit und den Lesern der „Furche" oft genug vorgestellt worden. Daß Gomulka, unbeschadet seiner aus Staatsraison und aus kommunistischem Sentiment quellenden Treue zum Sowjetbündnis trotz seiner großenteils auf mangelnder Kenntnis und auf natürlicher Abneigung beruhenden negativen Seelenhaltung gegenüber dem Westen, allen seinen Lebensformen und dem Katholizismus Zugeständnisse gegeben und sie im wesentlichen aufrechterhalten hat, ist ihm hoch anzurechnen. Er ist sich dessen bewußt, daß die Mehrheit seiner Landsleute anders denkt als er und die echten Kommunisten; er glaubt, diese weltanschaulichen und politischen Widersacher nur dadurch gewinnen zu können, daß er sie zunächst in Ruhe läßt, dann sie als Partner heranzieht. Diese Taktik hat er, offenbar mit Geschick und mit Glück, in Moskau bei Chruschtschow verfochten.

Die schroffe Leugnung alles Uebernatürlichen, p.hcutįgęjjZugęJiorigkeii mJ&šfc K9isfc&§rr Patriotismus und dann noch ein vorzeitiges, durch herbe Kriegserlebnisse beschleunigtes äußerliches Altern, das hat Gomulka mit dem zweitwichtigsten Mann Polens, mit J 6 z e f Cyrankiewicz, gemein. Gomulka, den Vierundfünfzigjährigen, könnte man mitunter für einen Greis an der Schwelle der Psalmisten- jahre halten. Er hat den Typus des durch fleißiges Selbststudium mit Wissen vollgepfropften hohen Gewerkschaftsfunktionärs, der beinahe einem Professor gleicht und den die nunmehrige elegante Kleidung als einen der Großen im Staate bezeigt. Cyrankiewicz. von selbstverständlicher abweisend-arroganter Vornehmheit, jeder Zoll ein Herr, sicher im Auftreten, in Gebärden und Rede, wäre als Regierungschef unter jedem kapitalistischen Regime vorstellbar; auch als Seine Exzellenz der k. k. Ministerpräsident Dr. Josef Freiherr von Cyrankiewicz-Wosadowa im alten multinationalen Oesterreich. Er kommt aus wohlhabendem, feinkultiviertem Großbürgerhaus, in dem Richter, Professoren, Staatsbeamte die Regel waren. 1911 in Tarnow geboren — mithin ebenfalls gewesener Untertan Franz Josephs I. — studierte er an der Krakauer Universität die Rechte und schloß sich dort an die Linke an, freilich an jene sozialistische PPS, deren Führer Daszynski einst einen aus dem Hause Oesterreich auf den polnischen Thron holen wollte und der heiligmäßig starb. Er kämpfte als Artillerieoffizier im Septemberfeldzug 1939, wurde von den Deutschen gefangen, entkam aus dem Oflag, betätigte sich in der Resistance, wurde neuerlich, diesmal durch die Gestapo, geschnappt und verkostete an zwei Orten die Süßigkeiten des Konzentrationslagers. Zum Skelett abgemagert und mit einer ein- drucksamen Glatze als Erinnerung, verließ er Mauthausen. Im betäubend schnellen Aufstieg wurde er Generalsekretär der PPS und, nach den ersten regelrechten Parlamentswahlen, 1947 Premierminister. Er verharrte auf diesem Posten, im Schatten Bieruts, des Staatspräsidenten, bis 1952. Bei der Vereinigung der PPS mit der PPR zur PZPR half er entscheidend im Sinne der Fusion mit. Eineinhalb Jahre lang mußte er sich mit dem Posten eines der stellvertretenden Ministerpräsidenten begnügen, da Bierut die Leitung der Regierung für sich beanspruchte, als gemäß der neuen, dem Sowjetmuster folgenden Verfassung, die Staatspräsidentschaft an ein Kollektiv fiel. 1954 aber trat Cyrankiewicz wieder an die Spitze der Regierung. An dieser

Stelle spürte er das Nahen des Tauwetters. Gemeinsam mit Gomulka führte er die schwierige Umschaltung im Oktober 1956 durch. Seither amtete er unter dem ihm so ungleichen Arbeitersohn aus Krosno mit der gleichen Geschicklichkeit und Wendigkeit wie zuvor unter Bierut. Der Warschauer Witz hat Cyrankiewicz die Meisterschaft im Schwimmen zugesprochen; er sei immer obenauf. Er eilt stets im richtigen Moment dem oder denen zu Hilfe, die nächstens siegen werden. So hat es dieser gescheite Mann verstanden, den Parteijargon abgedroschener Phrasen zu reden, um seine Linientreue zu beweisen, sich mit Menschen zu vertragen, von denen er instinktmäßig durch einen Abgrund getrennt ist, und —- ohne je populär zu sein — als der „ruhende Pol in der Erscheinung Flucht“ stets im Vordergrund der politischen Schaubühne umherzustolzieren. Dabei steht ihm seine Gattin, die nicht minder kluge, ebenso repräsentative hervorragende Bühnenkünstlerin Nina Andrycz, wahlverwandt, aufs gewandteste bei.

Aehnlicher Herkunft wie Cyrankiewicz — und seine aus Adelshaus stammende Gemahlin — ist der Außenminister Adam Rapacki. Ein den gleichen Vornamen führender Ahne hat als Vertreter der Wojwodschaft Leczyca bei der Königswahl Augusts II. mitgestimmt. Wincenty Rapacki war im vorigen Jahrhundert ein sehr geschätzter Bühnenautor und Theaterdirektor. Andere aus der Familie zeichneten sich als Gelehrte, als Maler aus. Der Chef der polnischen Diplomatie, der die Ehre hat, den Namen des nach ihm benannten Planes zu tragen, ist ein Weihnachtskind des Jahres 1909 aus Zwierzyniec bei Lublin. Temperamentvoll, seit der Studentenzeit mit Cyrankiewicz befreundet und ein Führer der sozialistischen Jugend, hat er nach dem zweiten

Weltkrieg seinerseits eine rasche Karriere gemacht. Mehrmals Minister während der Aera Bieruts, fand er rechtzeitig zu der im Oktober 1956 siegenden Strömung hinüber. Damals war er bereits seit einem halben Jahr Ressortchef der Außenpolitik. Sprachenkundig, gesellschaftlich gewandt, mit Ost und West gleichermaßen vertraut, versteht er es, je nachdem, den linientreuen Kommunisten und Vorkämpfer der Sowjetallianz oder den friedensbereiten, zum Vermittler berufenen Befürworter des Kompromisses herauszukehren. Was den berühmten Rapacki- Plan betrifft, so sind von seinem Paten zwanglos die mannigfachsten Varianten erörtert worden, die den Kern dieses Projekts westlichen Partnern akzeptabel erscheinen lassen könnte. Auf Reisen in die angelsächsischen Länder hat Rapacki erhebliches diplomatisches Geschick bewiesen. Die britisch-polnische Annäherung geht nicht zuletzt auf seine Rechnung.

Weit weniger in der schlimmen kapitalistischen Welt bekannt als (der eben vorgestellte) Ueberläufer aus adelig-bürgerlichen Kreisen zum Kommunismus, ist Aleksander Zawadzki, dem Buchstaben nach Oberhaupt des kollektiven polnischen Staatsoberhaupts, der Rada Panstwa (Staatsrat). Im Kohlenrevier zu Dabrowa G6r- nica, 1899, geboren, Bergarbeiter, während des ersten Weltkrieges Soldat des Zarenheeres, dann Offizier der Roten Armee, in Polen als Sowjetagent und kommunistischer Agitator verhaftet und sechs Jahre lang im Kerker, wurde er kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges nochmals als rückfälliger Emissär gefaßt und zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Bald aber befreiten ihn die im Herbst 1939 eindringenden Sowjettruppen. Er wurde Oberst, dann General in der Košciuszko-Division, Mitglied des auf sowjetischer Seite wirkenden polnischen „Patriotenkomitees“ unter Wanda Wasilewska. Geeichter Stalinist und Bierut blind ergeben, stellte ihn dieser, der ja als Ministerpräsident und Erster Parteisekretär die reale Macht in der Hand behielt, an die Spitze des Staatsrats. Kränklich, schmächtig und linkisch, wirkt der unansehnliche, bleiche Mann mit den funkelnden Brillengläsern im hageren Angesicht nicht sehr imponierend.

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