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Die Wiedereroberung für Österreich

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Der Reinigungsprozeß, der unsere Hodvi schulen von der Hinterlassenschaft des Nation nalsozialismus säubern soll, ist weit vorgeschritten, obschon nicht gefördert durch hemmungslose Kritiken, die zumeist aus ge* trübter Sachkenntnis stammten. Eine große Reihe von Professoren und Dozenten ist suspendiert worden. Niemand, der von dem inneren Aufbau einer Hochschule eine Ahnung hat, kann darüber im Unklaren sein, was solche Eingriffe in einen großen, vielgestaltigen wissenschaftlichen Organismus für den Studienbetrieb bedeuten, ihre Wirkung ist so bedeutend, daß sie nur durch unabweisbare Notwendigkeiten, wie sie in nicht wenigen Fällen vorliegen, motiviert werden können. Es gibt jetzt oft noch an österreichischen Fakultäten für gewisse Disziplinen keine a. o. Professoren mehr, die Prüfungen abhalten können, geschweige denn Ordinarien; lediglich Privatdozenten stehen zur Abhaltung der Examina zur Verfügung. Die Studenten haben Mühe, die geforderte Mindestzahl von Vorlesungen inskribieren zu können. Es ist unumgänglich, daß dieser Krise bald abge-geholfen werde, sollen nicht die schweren Nachteile, die ohnehin unserer studierenden Jugend durch die Herabdrückung des wissenschaftlichen Bildungsniveaus unter dem nazi-1 stischen System und den Entgang von Jahren für den Studienfortgang aufgeladen wurden, noch ins Unberechenbare, vermehrt werden.

Die österreichischen Universitäten werden ihrer doppelten Aufgabe als Bildungs- und Forschungsinstitute nur dann nachkommen können, wenn ihre Lehrstühle von Männern eingenommen werden, die österreichische Gesinnung und ein anerkanntes Fachwissen ver-* einen.

Bei jeder Neubesetzung eines Lehrstuhls und bei jeder neuen Dozentur muß dieser doppelte Anspruch gestellt werden, immer auch mit dem Hinweis, daß wir imstande sein müssen, in dem wissenschaftlichen Wettbewerb mit der Welt zu bestehen, wollen wir nicht Wiens ehrenreichen kulturellen Besitzstand preisgeben.

Nur einen Teil des notwendigen Ersatzes fand man in jenen Hochschullehrern, die 1938 von den Nationalsozialisten aus ihrer Wirksamkeit vertrieben wurden. Es ist erfreulich, daß Gelehrte von hohem Rang wieder auf ihre Katheder und in ihre Institute zurückkehren konnten. Aber ihre Zahl genügt bei weitem nicht, um alle Lehrkanzeln besetzen zu können. Und da es wenigstens einige Jahre dauern wird, bis wir über einen nennenswerten Nachwuchs aus unserem Lande selbst verfügen werden, sind wir gezwungen, ernste Erwägungen über die vorhandenen Möglichkeiten anzustellen, Lehrkräfte von internationalem Rufe für unsere Hochschulen zu gewinnen. Daß es sich um Wissenschaftler von Rang handeln muß, die an unsere Universitäten berufen werden sollen, ist angesichts der bedeutenden wissenschaftlichen Tradition Österreichs eine Selbstverständlichkeit.

Es liegt auch in der Natur der Dinge, daß nicht zuletzt an die Berufung von Dozenten aus dem deutschen Sprachgebiet außerhalb Österreichs zu denken ist. Hier ist vor allem auf die Schweiz zu verweisen, die eine Reihe von angesehenen Namen unter ihren jüngeren Wissenschaftlern besitzt. Ob heute jemand aus der Schweiz nach Österreich zu übersiedeln bereit wäre, mag fraglich sein, müßte aber dennoch versucht werden. Immerhin dürfen wir heute schon mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, daß der große Ethnologe von internationalem Rufe Professor Wilhelm Schmidt und wohl auch sein Fachkollege Wilhelm K o p p e r s schon im nächsten Semester von der Universität Freiburg in der Schweiz nach Österreich zurückkehren werden. Weiters könnte in einzelnen Fällen auf Professoren und Wissenschaftler der ehemaligen Deutschen Universität in Prag zurückgegriffen werden. Wahrhaftig nicht alle waren Nationalsozialisten, manche Professoren waren entschiedene Gegner, die alsbald von den neuen Machthabern kaltgestellt wurden. Hier ist besonders Egon Weiß zu nennen, dieser hervorragende Romanist, Zivil- und Handelsrechtler, auch Egon Maria F o 11 i n, ein geborener Tiroler, Professor für Strafrecht in Prag, der 1938 nach England und später nach Amerika in die Emigration ging; oder Robert Neuner, der Zivilprozeßler, der von den Nationalsozialisten wegen seiner katholischen Weltanschauung als „untragbar“ erklärt wurde und ebenfalls nach Amerika ging. Hier sei insbesondere an den Philosophen Amadeo Silva-Tarouca erinnert, der auf Grund seiner antinationalsözialistischen Einstellung keine Dozentur im Dritten Reich erhalten konnte. Ebenso könnten einige Professoren der Prager deutschen theologischen Fakultät übernommen werden.

Aber auch in Deutschland gibt es eine Reihe Ton Professoren, die ausgezeichnete Wissenschaftler sind und sich als tapfere Gegner des Nationalsozialismus ausgezeichnet haben. Im Kampfe gegen den Nationalsozialismus bewährte deutsche Gelehrte dürften, bei einer Torurteilslosen Betrachtung der Dinge, unserem Staate nur willkommen sein. Schließlich waren die Wahlösterreicher oft beste öster-refcher. Wer dies bestreitet, müßte die berühmtesten Namen aus der Geschichte und dem Leben Österreichs streichen, sei es Beethoven oder Metternich, Prinz Eugen oder Laudon, Heinrich Laube oder Friedrich von Gentz, Johannes Brahms und noch viele andere. Und so hat es auch unter den Professoren eine Reihe von großen Wahlösterreichern gegeben, angefangen von Julius Ficker, dem berühmten Historiker der Innsbrucker Universität, und Theodor Billroth bis zu Friedrich Maaßen, der wie die beiden anderen aus Deutschland kam und der in einer Zeit, wo an den Universitäten um den rechten Vaterlandsbegriff gekämpft wurde, in der vordersten Reihe für die österreichische Idee stand. Wieder wird man vielleicht einwenden, daß dies Beispiele aus längst vergangenen Jahrzehnten seien. Demgegenüber kann auf Alois D e m p f, den gegenwärtigen Wiener Professor für Philosophie verwiesen werden, und auf Professor B a u 1 e, den bekannten Mathematiker der Grazer Technischen Hochschule, die beide geborene Reichsdeutsche sind unddie beide ihrer Einstellung wegen aus ihrer Lehrtätigkeit vertrieben wurden. Sie haben den Nationalsozialismus immer abgelehnt und sind gute Österreicher geworden. Wenn von der Berufung Furt-wänglers nach Wien gesprochen wird, warum nicht auch von der Berufung einwandfreier reichsdeutscher Professoren? Oder wäre es zum Beispiel für die Wiener theologische Fakultät nicht ein außerordentlicher Vorteil, wenn ein Romano Guardini eine Berufung an sie erhielte? Wäre es etwa zu bedauern, wenn an Stelle Professors von Srbik ein Historiker wie Franz Schnabel nach Wien käme, der wissenschaftlich auf der gleichen Höhe wie Srbik steht? Es wäre ein Gewinn für eine österreichische Universität,wenn zum Beispiel der Bonner Kunsthistoriker Heinrich Lützel er an sie berufen würde, einer der entschiedensten Gegner des Nationalsozialismus.

Als Rußland im Jahre 1929 daranging, seinen ersten Fünfjahresplan ins Leben zu rufen, holte es sich aus der ganzen Welt Techniker und Ingenieure, obwohl es wußte, daß die meisten von ihnen nicht Anhänger seines politischen Systems waren. Österreich hat es viel leichter; für den Aufbau seiner Hochschulen kann es sich Gelehrte holen, die, Gegner des Nationalsozialismus, bereit wären, an der geistigen Wiedergeburt Österreichs mitzuarbeiten.

Athen war klein und doch eine geistige Großmacht. Einer der Wege, auf denen Österreich wieder die Stellung einer geistigen Großmacht erringen wird, isc eine vorurteilslose und, bei aller Berücksichtigung der gegenwärtigen schwierigen Finanzlage, großzügige Hochschulpolitik des Staates. Österreich muß alle seine Kräfte entfalten, um eine Blüte seiner Hochschulen nach den schrecklichen Jahren der geistigen Zerstörung durch den Nationalsozialismus vorzubereiten. Wie Doktor Karl Lueger im Jahre 1907 zur Eroberung der österreichischen Universitäten aufrief, um sie von dem unösterreichischen Geist zu befreien, so muß heute erst recht wieder Österreich aufgerufen werden, seine Hochschulen für sich zu erobern.

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