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Die Wiederholung des Gewesenen?

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Dreißig Jahre nach Abschluß der militärischen Kampfhandlungen des Spanischen Bürgerkrieges und fast auf den Tag genau dreiunddreißig Jahre nach dessen Ausbruch am 18. Juli 1936 ernennt der Caudillo, Francesco Franco, am 22. Juli 1969 seinen Nachfolger. Es ist Juan Carlos von Bourbon, Enkel Alfons' XIII., jenes letzten Königs von Spanien, der nach einem Sieg der politischen Linken in den Kommunalwahlen 1931 aus dem Lande flüchtete und damit die Epoche der von wilden Kämpfen zerrissenen spanischen Republik eröffnete. Mit dieser Ernennung ist die Frage, wer nach Franco kommen soll, beantwortet; die Frage, was nach Franco kommen wird, ist offen.

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Dreißig Jahre nach Abschluß der militärischen Kampfhandlungen des Spanischen Bürgerkrieges und fast auf den Tag genau dreiunddreißig Jahre nach dessen Ausbruch am 18. Juli 1936 ernennt der Caudillo, Francesco Franco, am 22. Juli 1969 seinen Nachfolger. Es ist Juan Carlos von Bourbon, Enkel Alfons' XIII., jenes letzten Königs von Spanien, der nach einem Sieg der politischen Linken in den Kommunalwahlen 1931 aus dem Lande flüchtete und damit die Epoche der von wilden Kämpfen zerrissenen spanischen Republik eröffnete. Mit dieser Ernennung ist die Frage, wer nach Franco kommen soll, beantwortet; die Frage, was nach Franco kommen wird, ist offen.

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Di Ereignisse des Spanischen Bürgerkrieges 1936 bis 1939 sind ein Kapitel der Weltgeschichte, das noch nicht abgeschlossen ist. Das Ganze ist ein Anfang; ein Anfang des Kampfes zwischen dem, was heute der Spanier und Franco-Gegner Salvador der Madariago den „Westen, Heer ohne Banner“ nennt, und den Kommunismus, sowie dem, was hinter dem Kommunismus als dritte Welle des Marxismus (nach Sozialdemokratie und Kommunismus) auf die Welt zukommt. Ernest Hemingway, der für alle Zeiten einen ersten Platz in Kriegs-literatur der dreißiger und vierziger Jahre behalten wird, erklärt in einem seiner Romane, warum die Angehörigen der „Verlorenen Generation“, zu der sich Hemingway zählt, in Spanien bei den „Roten“ dabeigewesen stind: Wir müssen vor allem den Krieg gewinnen. Denn wenn wir den Krieg verlieren, gibt es nichts mehr zu planen. Die „Verlorene Generation“, die Großväter der heutigen „Erschöpften Generation“ der Beatniks In “ den USA, war die amerikanische Generation, die in den zwanziger Jahren in der Blüte ihrer Jugend stand, und die sich in der amerikanischen saturierten Gesellschaft entwurzelt vorkam. Es waren junge Intellektuelle, die nach dem Ersten Weltkrieg Ihre „Enttäuschung des Friedens“ erlebten; die glaubten, daß der Kapitalismus die amerikanische Demokratie verderbe und die als Intellektuelle von den Fehlern, Unzulänglichkeiten und Lächerlichkeiten der Parteikämpfe genug hatten. Man könnte an dieser Stelle mit der Beschreibung des Phänomens von damals fortfahren und hätte dann zugleich die Geschichte des gegenwärtigen Exodus der jungen Intel-ligenzia aus der Gesellschaft von heute vor sich.

Damals wie heute ist es eine Jugend, bei deren Betrachtung die ältere Generation sich nicht schlüssig wird, ob es eine heitere Illusionslosigkeit oder eine tiefe Enttäuschung ist, die junge Menschen nach einer Phase der Desilluisionierung in neue Formen des Engagements und eines neu entstehenden Establishments treiben. In dem identen Schicksal der Großväter und der Enkel wiederholt sich nicht etwa die Geschichte; es vollzieht sich in der großen Wende, die in Gang bleibt.

Die Schlußrichtung ändert rieh

Im Spaniischien Bürgerkrieg haben zum ersten Mal Katholiken auf Katholiken geschossen. Es war nicht wie in internationalen Konflikten, wenn in den kriegführenden Staaten auch die Staatsbürger katholischer Konfession einrückend gemacht werden und dann auf die Katholiken beim Gegner feuern. In Spanien geschah es vor einer Generation, daß die einen Katholiken sich freiwillig und entschieden zu Franco stellten, um einen militanten Atheismus, der aus den Reihen der „Roten“ entgegenschlug, niederzukämpfen; und daß die anderen Katholiken zu ebendäe-sen „Roten“ stießen, weil sie gegen einen Katholizismus waren, der ihnen nicht mehr zu sein schien als der Bundesgenosse der Reaktion, des Kapitalismus und des Faschismus. Und das wird auch nach Franco bleiben: Der Dialog der Kirche mit

der radikalen Linken, deren Kern die illegale CPE, die spanischen Kommunisten, sind; die Bereitstellung einer neuen Linken hinter der Dek-kung der Kirche, insbesondere des linken Flügels der Jesuiten; der Sinistrismo innerhalb der Kirche selbst, der die Geschichte des Martyriums der Väter sorgfältig unter Verschluß behält, um sich in seinen Anklagen leichter zu tun.

Die Intellektuellen wollen neu und anders denken

Nicht nur innerhalb des Katholizismus stehen seit dem Spanischen Bürgerkrieg viele Verkehrszeichen anders. Es gibt in unserer Generation eine „Neue Linke“, für die der Kommunismus zu wenig radikal und revolutionär ist; es gab und gibt aber auch andere, die von der radikalen Linken genug bekommen haben.

Ernest Hemingway ist einer gewesen,

der genug bekommen hat, nachdem er mit dabeigewesen ist; Andre Malraux, Pilot gegen Franco, Organisator der roten Fliegerei, vor allem Seele des historisch gewordenen „Weltkongresses der Schriftsteller“ (Madrid und Barcelona 1937), rochadierte zu de Gaulle; John Dos Passos, einer von der „Verlorenen Generation“ der Amerikaner, fing nach seinen Spanienbüchern an, umzudenken; viele Kommunisten zogen die Konsequenz, als Stalin während seiner Intervention in Spanien mit den berüchtigten Säuberungen anfing; anderen gab der Hitler-Stalin-Pakt den Rest. Nichts wäre verfehlter als anzunehmen, daß vor 30 Jahren in Spanien die große Zeit der intellektuellen Deserteure begonnen hat. Im Spanischen Bürgerkrieg wurden die großen Probleme des 20. Jahrhunderts für viele zum ersten Mal sinnfällig und spürbar: Der Wert der Freiheit; der Sinn der Demokratie in der Krise; die Gefahr, die jede Form des Totalitarismus bringt; die Schwächen der kapitalistischen Gesellschaft und der Protest derer, die sich vom Kommunismus enttäuscht sehen; die Suche der Christen und der Sozialisten nach einem neuen Humanismus; der unentschiedene Kampf um den Anteil des einzelnen an Besitz und Einkommen, Kultur und Zivilisation. Der geistige Substanzverlust, der nach 1945 in der „freien Welt des Westens eingetreten ist“, die Loslösung der europäischen Kultur von Gott und die Unfähigkeit (oder der

Unwillen), ein Bild vom Menschen zu prägen, ließen diese Motive zunächst vergessen. In den europäischen Brückenköpfen West und Ost dachten die Menschen mehr an die Produktion, an die Verteilung der Güter und an den Wandel des sozialen Standpunktes. Für den „entideologi-sierten Rationalisieruogsf achmann“ im Westen und für den Angehörigen des Apparates im kommunistischen Osten waren solche Probleme und die Problemsucher unerwünscht. So lag die längste Zeit über den Menschen und den Ideen, die im Spanischen Bürgerkrieg gefallen waren, eine ordentliche und haltbare Betonschichte, über die sich der Verkehr des Neuen gut bewegen konnte. Der Beton ist brüchig geworden.

Der Ritt auf dem Tiger

Es sind vor allem Katholiken, die seit dem Spanischen Bürgerkrieg seltsame und gefährliche Wege gehen.

Niemand wird von den heutigen Linkskatholiken gründlicher mißverstanden als Georges Bernanos, katholischer Gegner des Regimes Francos, Leuchte eines großen deutschsprachigen Leserkreises in der Finsternis des Hitlerismus. Denn für Bernanos ist nicht der Gebrauch der Gewalt an und für sich verurteilungswürdig, sondern die Mystifizierung der Gewalt. Gewalt als Ziel, nicht als Mittel, verabscheut er. Diese Tendenz entspricht fast aufs Wort der faschistischen Formel von der Gewalt und sie ist auch Männern

von der „Neuen Linken“ vom Schlag Cohn-Bendit nicht zu „faschistoid“ um sie auszusprechen und auszuüben. Von dem Prinzip der Gewalt, wie es Bernanos sieht, bis zur Theologie der Revolution und zur revolutionären Theologie ist gar kein weiter Weg. Wie nahe stehen einander die katholischen Basken, die auf die katholischen Freiwilligen im Heere Francos schössen und die Priester in Südamerika, die ihre Soutane an den Nagel hängen (oder auch nicht), und auf Katholiken feuern, weil sie,, Bun -desgenossen des Kapitalismus und der Reaktion“ sind. Viele Katholiken wissen nicht oder überhören, was der amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey seinen konservativen Gegnern und der konservativen Sache in der Auseinandersetzung zugute hält: if we once Start thinking no one can guarantee where we shall come out. Für den Christen kann es dieses kalkulierte Risiko nicht geben. Er paktiert nicht mit dem herrschenden Zeitgeist; er flüchtet nicht nach rückwärts oder nach vorwärts, sondern geht im Glauben und in der Liebe durch seine Zeit, die er erlebt, über die Brücke des Reiches Gottes, die Vergangenheit und Zukunft verbindet. Das faschistische Motto: Buch und Gewehr, Macht der Idee und Gewalt der Tatsachen kann, trotz Bernanos, kein katholisches Motiv sein.

Die Sendeprogramme sind bereit

Jetzt wird das sichtbar, was nach Franco ist. Nicht wenige erwarten sich, daß es den spanischen Kommunisten, deren Apparat Im Rumänien Nicolae Ceausescu funktioniert, gelingen wird, mit dem Regime nach Franco ebenso ins Gespräch zu kommen, wie es ihnen gelungen ist, den Dialog mit der Kirche, die in der spanischen Welt zum Teü die härteste Kritik gegen Franco unterhält, politisch ergiebig zu gestalten. Man wird davon bald mehr in den Sendungen der PCE hören, die von den Sendern in der CSSR ausgestrahlt werden.

Die Spanier, deren Stationierungsvertrag mit den USA im nächsten Jahr wieder ausläuft, stehen vor der Frage, die seit 1945 Millionen von Europäern beschäftigt hat: Der Westen oder der Kommunismus, der in der Linken im Untergrund Pivot ist. Camus und Malraux haben sich um 1945 eine ähnliche Frage gestellt. Die Gefahr, daß die Franzosen eines Tages vor einer derartigen Alternative stehen könnten, beruhifte Camus, der als Existenzialis't die Absurdität in einer Welt ohne Gott für sich mit einem kämpferischen „Trotzdem“ beantwortete. Malraux sagte als Franzose „nein“ zum russischen Experiment. Von der amerikanischen Zivilisation meinte der Atheist und spätere Kulturminister, sie sei eine ohne religiösen Gehalt, auch wenn die Amerikaner jetzt gläubige Leute seien.

Angesichts des raschen Wechsels der politischen Szenerie, der im Frankreich vor de Gaulle die Regel gewesen ist, meinte Ortega y Gasset in einem Gesnräeh mit dem Schweizer Carl J. Burghardt, die heutigen Franzosen hätten es schwer, weil sie in der Vergangenheit „schon fast alles gewesen seien“. Der Spanier dachte an die drei Königreiche, vier Republiken, zwei Kaiserreiche und an die verschiedenen Schübe der Revolutionen der Bürger und der Proletarier. „Alles was man ausprobiert hat, ist schwer zu wiederholen“, schloß der Spanier, „zumal für ein gedächtnisstarkes Volk“. Auch die Spanier sind ein gedächtnisstarkes Volk, und nichts geht unter ihnen verloren. Es wird darauf ankommen, daß den Spaniern, aber auch anderen Nationen, nichts verlorengeht; in der Zeit, in die sie jetet eintreten.

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