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Die Wunden heilen

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Als der frühere Bischof von St. Pölten als Erzbischof von Wien durch das Riesentor von St. Stephan feierlich einzog, konnte ihm eine räumlich intakte Kathedrale übergeben werden. Die schweren Kriegsschäden aus dem Jahre 1945 konnten in zwei großen Bauetappen (1945 bis 1948 und 1949 bis 1952) behoben werden.

An vielen Bauteilen aber klafften noch Wunden. An den beiden Längsseiten des Domes standen häßliche Baubaracken, und der Stephansturm war bis zum Ansatz des Helmes eingerüstet. Im Herbst des Jahres 1953 wurde der Bauzustand des Hochturmes genau untersucht. Es wurden höchst gefährliche Schäden festgestellt, deren Behebung nicht hinausgeschoben werden konnte. Durch 14 Artillerietreffer war das Steinmauerwerk aufgesplittert und viele Türmchen gelockert. Durch den Brand des gewaltigen Glockenstuhles der Pummerin waren nicht bloß die Glockenstube, sondern auch große Teile der äußeren Sichtflächen ausgeglüht und zersprungen. Nicht unbeträchtlich waren die Schäden insbesondere an der Westseite des Turmes, die durch Verwitterung entstanden sind, denn die letzte große Restaurierung des Hochturmes war vor ungefähr einem Jahrhundert erfolgt. Unter Bundeskanzler Dipl.-Ing. Figl hatte sich ein Kuratorium für die Erhaltung des Stephansdomes gebildet und sich zur Aufgabe gemacht, die erforderlichen Geldmittel für die Wiederherstellung aufzubringen. Sowohl die österreichische Bundesregierung als auch alle Landesregierungen Österreichs und die Stadt Wien hatten sich verpflichtet, nach einem festgelegten Schlüssel Beiträge zu leisten. Durch die Initiative des Dompfarrers Prälat Dr. Dorr wurde der Domerhaltungsverein reaktiviert, und so hat die Bevölkerung aus Wien und ganz Österreich durch ihre Mitgliedschaft beigesteuert.

Als der neue Erzbischof von seiner Kathedrale Besitz ergriff, waren eben die Steinmetzarbeiten in den obersten Geschossen in der Höhe zwischen 50 und 83 Meter im Gange. Im Jahre 1960 war die Restaurierung in dieser Zone beendet, so daß von dort die Gerüste etappenweise abgetragen und der Turm nunmehr vom Straßenniveau her bis zur 50-Meter-Höhe eingerüstet werden konnte.

In insgesamt 30 Baulosen wurde von Stein-metzflrmen aus Wien und Niederösterreich sowie von den Steinmetzen der Dombauhütte | die Restaurierung mit großer Gewissenhaftig-Jteit,und. Werkstrgue durchgeführt. Den. Umfang der Erneuerungsarbeiten mögen einige Zahlen darlegen: Es wurden zirka 700 Kubikmeter Kalksanidstein aus St. Margarethen im Burgenland verarbeitet. 4000 Krabben, 480 Kreuzrosen, viele Fialen, Wasserspeier und Konsolen wurden erneuert beziehungsweise ausgebessert. Der Versuchung, in den nicht sichtbaren Bereichen des Turmes den reichen Zierat wegzulassen oder bloß durch Rohpossen anzudeuten, wurde widerstanden. Man war es dem schönsten aller gotischen Türme wohl schuldig, keine falsche Sparsamkeit zu üben und ihn in der Schönheit jedes einzelnen Details wiederherzustellen.

Am 26. Juni 1965 konnte der hochwürdigste

Herr Kardinal die Beendigung der großen Restaurierung des Turmes mit einem Tedeum feiern.

Neben den Herstellungen am Hochturm waren aber auch andere dringende Bauaufgaben zu lösen. Die Baracken, in denen nach dem Krieg die Steinmetzen ihre Arbeit verrichteten, waren baufällig und mußten durch ein definitives Werkstättengebäude ersetzt werden. Im Einvernehmen mit dem Bundes-denkmalamt und allen zuständigen Stellen wurde der Bau einer neuen Dombauhütte einr gehend, diskutiert„ geplant., und durchgeführt.

Unter Wahrung aller denkmalpflegerischen

Belange wurde eine den sozialen Verhältnissen des 20. Jahrhunderts entsprechende Arbeitsstätte für die Arbeiter der Dombauhütte geschaffen.

Der Helm des unausgebauten Turmes, von dem der unglückselige Brand im Jahre 1945 seinen Ausgang nahm, wurde durch eine moderne Stahlbetonkonstruktion ersetzt und damit zugleich eine stabile Glockenstube für die Pummerin geschaffen. Die Stahlbetonkonstruktion wurde mit Stein verkleidet und zeigt nun die gleiche Ansicht wie vor der Katastrophe. Im Herbst 1957 fand die Pummerin dort ihren endgültigen Platz. Durch den Einbau eines Schnellaufzuges, der von der Kirche auf das Plateau des Nordturmes führt, kann die Pummerin jederzeit besichtigt werden; außerdem bietet sich von oben ein schöner Ausblick über die Stadt.

Neben diesen großen baulichen Instandsetzungen wurde zur gleichen Zeit vieles zur Verschönerung im Inneren des Domes getan. Im Oktober 1960 konnte das neue Orgelwerk mit 125 klingenden Registern von Kardinal Frings aus Köln feierlich geweiht werden. Am gleichen Tag wurden die Glocken des neuen Geläutes von den Wiener Bischöfen beziehungsweise Stiftsäbten konsekriert. Das Renaissance-Chorgestühl im Presbyterium war stark vom Holzwurm befallen und durch bloß oberflächliche Restaurierungen früherer Jahrzehnte unansehnlich geworden. Es wurde gründlich überholt und bei dieser Gelegenheit durch eine dritte Bankreihe erweitert.

In einem Nebenraum der Sakristei sowie im unteren Geschoß des südlichen Heidenturmes wurden Beicht- und Aussprachezimmer eingerichtet. Diese Einrichtung gewinnt von Jahr zu Jahr größere seelsorgliche Bedeutung. Die Eligiuskapelle, in den letzten Jahrzehnten kaum benützt, wurde restauriert und dient nun der täglichen Eucharistischen Anbetung in der Zeit von 19 bis 22 Uhr. Die Abschlußgitter des Friedrichs- und Frauenschiffes waren für den Gottesdienst eher hindernd als fördernd. Sie wurden in den hinteren Teil der Kirche versetzt und damit die Möglichkeit geschaffen, am Abend den Dom bis 22 Uhr für Beter und Besucher offenzuhalten.

Trotz dieser enormen Anstrengungen zur Wiederherstellung des Wiener Stephansdomes bleiben für die nächsten Jahre noch umfangreiche Aufgaben zu erfüllen. Der südliche Heidenturm ist im Inneren noch immer in dem total ausgebrannten Zustand von 1945. Die durch eine Bombenexplosion zerrissenen Gewölbe der Eingangshalle beim Adlertor drohen noch immer abzustürzen. Das Innere der Barbarakapelle, neben dem Adlertor, ist gleichfalls noch im Zustand des Jahres 1945.

Zur Zeit wird an der Installierung einer Warmluftheizung im Dom gearbeitet, damit im Winter der Aufenthalt erträglicher wird.

Wenn alle öffentlichen und privaten Stellen wie bisher der Wiener Dombauhütte ihre Hilfe schenken, ist zu hoffen, daß die genannten Schäden bis zum 65. Geburtstag Seiner Eminenz behoben sind.

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