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Die zahme deutsche Opposition

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Seit am 18. März, spät in der Nacht, die aus allen Windrichtungen herbeigeholte CDU/CSU-Fraktion die drohende Niederlage im Streit um das Röhrenembargo nur dadurch abwenden konnte, daß sie durch Auszug aus dem Parlament den Bundestag beschlußunfähig machte, ist die Frage nach der Stärke des deutschen Parlamentarismus wieder überall laut geworden. Hämische Kommentare aus Schweden, der Schweiz und Dänemark haben obendrein gezeigt, daß die Zweifel an der Festigkeit des parlamentarischen Systems nicht nur in Deutschland diskutiert werden.

Der Sachverhalt, um den es bei dieser blamablen Sache ging, ist mit wenigen Worten erzählt: Im November vergangenen Jahres erließ die NATO mit Unterstützung Deutschlands ein Embargo für die Lieferung von Röhren in die Ostblockländer. Kurz vorher hatten deutsche Firmen mit der Sowjetunion einen Liefervertrag über 163.000 Tonnen Röhren abgeschlossen. Um die Gültigkeit dieses Vertrages ging es in der stürmischen Nachtsitzung. Die Bundesregierung, die offenbar mit ihrer betonten Vertragstreue gegenüber der NATO das Aufsehen beschwichtigen wollte, das die deutschfranzösische Freundschaft in Washington erregt hatte, spielte auf Zeit, unterrichtete keinen der zuständigen Ausschüsse und handelte, als wenn es keinen Bundestag gäbe. Sie wurde durch den Antrag der SPD, auf einer Sondersitzung, die am Montag, dem 18., um 24 Uhr ablaufende Einspruchsfrist des Bundestags zu wahren, so erschreckt, daß selbst Adenauer 24 Stunden nach seiner Ankunft im Urlaubsort Cadenabbia nach Bonn zurückkehrte. Inzwischen hatte sich nämlich herausgestellt, daß auch die FDP auf dem Standpunkt der SPD stand, die vorher abgeschlossenen Verträge müßten eingehalten werden. Auch Adenauer konnte den Koalitionspartner nicht umstimmen, und so stand man vor einer Koalitionskrise, als schließlich die CDU durch ihren Auszug die drohende Niederlage verhinderte.

SPD - die „beste CDU“

Nun wird niemand im Ernst dieses Ergebnis für eine Katastrophe halten. Die Affäre enthüllt nur, bis zu welchem Grad die Entmachtung des Parlaments inzwischen gediehen ist, wobei eine ganze Reihe von Ereignissen der letzten Zeit geeignet ist, diesen Übelstand noch deutlicher zu machen. Abgesehen davon, daß die Regierung diese Debatte durch ihr ungeschicktes Verhalten provoziert hatte, haben sich auch die beiden anderen Parteien nicht gerade mit Lorbeeren bedeckt. Die FDP nämlich zeigte sich mit dem Ausgang sehr zufrieden. Sie hatte wieder einmal ihre eigene Meinung gezeigt und sich vor der Industrie bewährt, aber gleichzeitig eine Regierungskrise vermieden, die unweigerlich ausgebrochen wäre, wenn die FDP zusammen mit der SPD gesiegt hätte. Viel schlechter erging es der SPD, die sich vor einem Sieg gesehen hatte.. Anstatt der Regierung zu beweisen, wie gefährlich diese Mißachtung des Parlaments ist, mußte sie eine Niederlage hinnehmen, die sie um so mehr schmerzt, als sie auch die einmalige Chance ausließ, die schwache Rede Außenminister Schröders zu zerpflücken.

Allerdings war dies kaum ein Zufall. Wer die Verhältnisse im Bundestag aufmerksam verfolgt, weiß, daß das böse Witzwort „Die SPD? Die beste CDU, die es je gab“ nicht unberechtigt ist. Es müßte bei der Dauerkrise der CDU um die Kanzlernaehfolge ein Vergnügen sein, im deutschen Bundestag Opposition zu machen. Die Ereignisse des letzten halben Jahres zeigen aber, daß die SPD unter dem Einfluß Wehners so sehr darauf bedacht ist, die CDU, in der sie ihren künftigen Koalitionspartner sieht, nicht zu vergrämen, daß sie zu einer wirklichen Opposition nicht fähig ist.

Spiegel, Spiegel an der Wand

Der deutlichste Beweis dafür war die Spiegel-Affäre, deren Nachlese der SPD zur Zeit viel Ärger bereitet. Obwohl ganz offen zutage lag, daß mehrere Regierungsmitglieder in dieser Angelegenheit dem Parlament bewußt die Unwahrheit gesagt hatten, begnügte sich die SPD mit einem Bericht, in dem die Unwahrheiten der einzelnen Kabinettsmitglieder, darunter des Bundeskanzlers, aufgezählt wurden. Sie zog daraus aber keine Konsequenz, sondern erklärte auch noch, daß sie die Angelegenheit damit auf sich beruhen lassen wolle.

Ein Spielball der Parteien

Hatte die SPD also zugegeben, daß sie sich mitunter auch einmal von der Regierung ganz gerne anlügen läßt, so sollte sie gleichzeitig erfahren, daß die CDU/CSU keineswegs bereit ist, die lammfromme Haltung der SPD zu honorieren. Auf irgendwelchen Wegen war nämlich der CDU bekanntgeworden, daß zwei der in der Redaktion des „Spiegel“ gefundenen Geheimprotokolle des Verteidigungsausschusses des Bundestages offenbar von dem stellvertretenden Vorsitzenden, dem SPD-Abgeordneten Mertens, stammten.

Tatsächlich gab der stellvertretende Geschäftsführer der SPD, Jahn, zu, das Protokoll unter einem Vorwand von Mertens erhalten zu haben. Da Jahn dazu an sich berechtigt war, so konnte Mertens deswegen kein Vorwurf gemacht werden. Jahn zog aus seinem Verhalten auch die Konsequenzen'und trat als stellvertretender Geschäftsführer zurück. Die CDU/CSU ließ sich aber die Gelegenheit nicht nehmen, der SPD einen Teil der Spiegel-Affäre anzuhängen, und konstituierte den Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß, der das Verhalten von Jahn und Mertens zu prüfen hätte. Es half der SPD wenig, daß sie sich unter dem Hohngelächter der CDU im Bundestag von Bundesjustizminister B u c h e r und Bundestagspräsident Gersten-m a i e r in schon fast peinlich wirkenden Fragen bestätigen ließ, wie korrekt sie sich bei der Untersuchung des Vorfalls verhalten habe.

Der Fall Barth

Zeugt schon die Geschichte dieses Untersuchungsausschusses von der geradezu gigantischen Ungeschicklichkeit der SPD, die es versäumte, die gravierenden Fragen der Spiegel-Affäre zu untersuchen, um schließlich über eine Nebenfrage zu stolpern, so ist die Geschichte des weitergegebenen Protokolls nicht minder bezeichnend. Bei diesem Geheimprotokoll handelte es sich nämlich um die Aussage des damaligen Bundesverteidigungsministers Strauß vor dem Verteidigungsausschuß über den Fall des Oberstleutnant Barths. Barth war wegen des Verfliegens zweier deutscher Düsenjäger nach West-Berlin von Strauß in ungerechtfertigt scharfer Weise gemaßregelt worden. Die Aussage von Strauß vor dem Verteidigungsausschuß war in wesentlichen Teilen, wie Jahn wußte, falsch. Anstatt nun Strauß vor dem Ausschuß der Unwahrheit zu überführen, gab Jahn das Protokoll, das er sich von Mertens ausgeborgt hatte, an den Spiegel weiter. Hier zeigt sich die ganze Problematik der Spiegel-Affäre, die eigentlich nur deshalb zu dem umstrittenen Geheimnisverrat führte, weil die SPD ihre Rolle als Opposition ungenügend erfüllt hatte.

Ein Bumerang?

Die SPD hat sich übrigens für die Errichtung des Untersuchungsausschusses gegen Jahn und Mertens insofern gerächt, als sie für den Fall Barth ihrerseits einen Untersuchungsausschuß durchgesetzt hat, vor dem der eben aus Spanien zurückgekehrte ehemalige Bundesverteidigungsminister Strauß sicher einige unangenehme Stunden erleben wird. Allerdings ist es auch hier zweifelhaft, ob die SPD damit nicht wieder einen Fehler gemacht hat. Sie greift nämlich damit von außen in die seit Monaten schwelende Krise der CSU ein. Nach allen Erfahrungen mit dem bayerischen Nationalcharakter dürfte das die Stellung von Strauß in Bayern nur stärken, also das Gegenteil von dem bewirken, was die SPD eigentlich erreichen will.

Ein Exempel statuieren

Daß die CSU über den erzwungenen Rücktritt von Strauß in eine Krise geraten werde, war vorauszusehen. Strauß gehörte ja zu dem liberalen Flügel dieser Partei, der sich schon immer in einem scharfen Gegensatz zu dem streng konservativen katholischen Flügel um Dr. H u n d h a m m e r befand, der sich etwa seit zwei Jahren im sogenannten Petrakreis besonders konstituiert hat. Was die Krise verschärft, ist die Tatsache, daß Strauß sich in der CSU-Landesleitung in München einen Kreis unbedingter Anhänger verschafft hatte, der aber, was zu der Inseriosität dieses eigentümlichen Mannes gehört, aus einer Reihe höchst zwielichtiger Gestalten besteht. Diese Gruppe fühlte sich durch den Sturz von Strauß in ihrer Existenz bedroht. Sie glaubte, ihre Stellung nur halten zu können, wenn sie allen parteiinternen Diskussionen vorbaute, indem sie ein Exempel an einem Mann statuierte, der zu Strauß in offener Opposition stand.

Dazu wählte sie sich den oberfränkischen CSU-Bundestagsabgeordneten Frhr. v. Guttenberg aus. Gutten-berg schien dazu besonders geeignet, da er einmal über persönliche Beziehungen zu Bundeskanzler Adenauer verfügte, was man in der Landesleitung nicht gerne sieht, und anderseits durch sein arrogantes Auftreten keinen wirklichen Anhang in der CSU hatte. Es ist nun ein Zeichen dafür, wie erschüttert die Stellung von Strauß und der Landesleitung in Bayern ist, daß sich Guttenberg, der sicher einer der klügsten und scharfsichtigsten jungen Männer in der CSU ist, gegen die Landesleitung in einem offenen Konflikt durchsetzen konnte. Zu Hilfe kam ihm dabei der bayerische Episkopat, der in einer ganzen Reihe von Artikeln in den Kirchenzeitungen sowohl das Vorgehen gegen Guttenberg wie die Zusammensetzung der Landesleitung und das Verhalten von Strauß rügte. Es blieb der Landesleitung nichts anderes übrig, als das groß eingeleitete Verfahren durch einen ziemlich üblen Trick niederzuschlagen.

Auf dem Scheideweg

Die Taktik, die Strauß einschlagen will, um die konservativ-katholische Opposition in den eigenen Reihen zu überfahren, zeigte sich in der Tatsache, daß er zuerst nach Bonn fuhr und dort die überraschende Forderung anmeldete, als Dritter neben Brentano und Dufhues in das Gremium aufgenommen zu werden, das dem CDU-Parteivorstand im April den Nachfolger Adenauers nennen soll. Diese Forderung kann dem Landesvorsitzenden der CSU kaum abgeschlagen werden, anderseits erhält er aber dadurch nicht unbeträchtliche Rückenstärkung in seinem Kampf mit seinen Gegnern in der CSU, die sich bisher noch nie durch besondere Geschicklichkeit ausgezeichnet haben. In dieser Situation kann auch der von der SPD über den Fall Barth einberufene Untersuchungsausschuß günstige Rückwirkungen für ihn haben. Es geht ja um lange zurückliegende Dinge. So ist es gut möglich, daß sich die SPD verrechnet hat.

Die SPD befindet sich auf einem Scheideweg. Wenn sie so weiter ihre Rolle als Opposition vernachlässigen will, dann wird sie 1965 bei den Bundestagswahlen eine böse Quittung erhalten. Praktisch heißt dies ja, daß sie sich nicht zutraut, die nächste Wahl zu gewinnen, obwohl ihr die Dauerkrise der CDU alle Chancen eröffnen müßte. Der Gewinner dieser Scho-nunsjstaktik wird in allen Fällen, wie in den vorgetragenen, die CDU sein, die sich der schwächlichen Haituns: der SPD bedient, ohne der SPD auch nur einen Schritt entgegenzukommen. Nicht zuletzt ist aber durch diese Art der Opposition auch das Ansehen des Bundestags in Gefahr!

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