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Die Zeit drängt

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Als die österreichische Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vom 26. November dem Nationalrat den Beitritt unseres Landes zur Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) bekanntgab, wurde damit eine außenpolitische und wirtschaftliche Bindung bestätigt, die unter allen Umständen weitreichende Folgerungen nach sich ziehen wird. Als die Verträge von Rom am 25. März 1957 zwischen den Partnerländern der Montanbehörde geschlossen wurden, nahm die öffentliche Meinung Oesterreichs davon so gut wie keine Notiz. Es wurde angenommen, daß dieser Versuch der europäischen Integration an der reservierten Stellung Frankreichs scheitern werde. Durch den Zusammenbruch der Vierten Republik und einen in den römischen Verträgen zuerst gar nicht erkannten Mechanismus hat sich in kurzer Zeit aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ein politisch-wirtschaftlicher Körper ersten Ranges gebildet.

Die EWG ist der Ausdruck einer technischen Entwicklung und, nach Bildung großer Wirtschaftsräume, wirtschaftliche Notwendigkeit. Es ist von nun an möglich, den Kreislauf der Arbeitskräfte und Kapitalien, die Zusammenlegung und Rationalisierung der Produktionsmittel beschränken zu wollen. Vollkommen ausgeschlossen ist jede anachronistische Autarkie, da neue Energiequellen, die Verbesserung der Transportmittel, die Nachrichtenübermittlung u. a. der Wirtschaft ein verändertes Gesicht geben. Die Dynamik der freien Wirtschaftsordnung ist so stark, daß dieser Sog der Vereinheitlichung nicht mehr unterdrückt werden kann.

Es mag bedauerlich erscheinen, daß die übrigen Länder der OEEC sich aus verschiedensten Motiven der EWG nicht anschließen konnten. Wir erinnern an die Versuche, eine umfangreiche europäische Freihandelszone zu schaffen, die allerdings gescheitert sind. Die EWG hat derzeit nicht nur wirtschaftliche, sondern, und das muß unterstrichen werden, auch politische Zielsetzungen. Es ist allerdings zu überlegen, ob nicht die Teilnahme der neutralen Staaten Schweden, Schweiz und Oesterreich der EWG von Anfang an ein anderes Gesicht gegeben hätte. Durch das Fehlen neutraler Elemente könnte sich die EWG zu einem Instrument der atlantischen Gemeinschaft entwickeln und dadurch eine endgültige Teilung des westlichen Europa herbeiführen. Die Stellungnahme für oder gegen die EWG hat in Oesterreich zu einer nicht ungefährlichen Polemik geführt. Unsere wirtschaftliche und staatliche Existenz ist durch die Auseinandersetzung hinsichtlich der Position Oesterreichs in der EFTA in Frage gestellt. Daher müßten alle Momente in einer leidenschaftslosen Atmosphäre abgewogen werden.

Nehmen wir an, die Zweiteilung Europas würde einen Wirtschaftskrieg hervorrufen. Es genügt, nur eine Zahl anzuführen, um die damit verbundene Gefahr einzusehen. Der Gesamtexport der Länder der kleinen Freihandelszone innerhalb ihrer Gruppe wird mit 2822 Millionen US-Dollar 1958 beziffert. Ihre Ausfuhr nach den sechs EWG-Ländern beträgt 3690 Millionen US-Dollar. Selbst Großbritannien führt mehr nach den Ländern der Sechsergruppe als der Siebenergruppe qus, nämlich 1295 gegen 926 Millionen US-Dollar. Es ist sicher, daß der Leidtragende des Antagonismus der beiden europäischen Wirtschaftsblöcke in erster Linie Oesterreich sein würde. Außenminister Doktor Kreisky erklärte nicht zu Unrecht, daß Oesterreich mit der Teilnahme an der EFTA von allen Mitgliedstaaten das größte Risiko übernommen hat.

Die wirtschaftlichen Vorteile einer Assoziierung Oesterreichs an der EWG stechen ins Auge. Niemals könnte die EFTA einen Ersatz für die Exportverluste bringen, die Oesterreich erleidet, wenn es von den Märkten der EWG ausgeschlossen wird. Nehmen wir an, daß ein zehnprozentiger Rückgang der Exporte in die EWG 1,2 Milliarden Schilling beträgt, so stellen wir gegenüber fest, daß die Ausfuhr in die EFTA mit 11 Prozent des österreichischen Gesamtexportes nur 2,5 Milliarden Schilling bedeutet. („Die Industrie", Nr. 47.)

Die Wirtschaftsstruktur der skandinavischen Staaten sowie Englands lassen eine Steigerung der österreichischen Exporte, von wenigen Luxuswaren abgesehen, so gut wie unmöglich erscheinen. Es gilt daher, die Exporte Oester reichs in die EWG-Staaten von 50,5 Prozent auf alle Fälle zu halten.

Welche Schwierigkeiten sich für den österreichischen Export ergeben, zeigen die Ausführungen des Generaldirektors der Oesterreichi- schen Alpine Montangesellschaft, Ober egger, der für die Assoziierung Oesterreichs an die CECA plädierte, da dies nach seiner Meinung der einzige Ausweg für die österreichische Stahlindustrie sei.

Die österreichische Regierung hat den EFTA- Vertrag unterzeichnet, da eine Uebergabe gewisser österreichischer Souveränitätsrechte an die EWG nicht möglich ist. Allerdings läßt ein genaues Studium der einschlägigen Vorschläge und Anregungen österreichischer Wirtschaftsfachleute, Publizisten und Politiker ausdrücklich die Feststellung zu, daß von keiner Seite, mit Ausnahme der „Freiheitlichen", ernsthaft eine Vollmitgliedschaft Oesterreichs innerhalb der EWG angestrebt wurde. Die weitere „Assoziierung" hat nichts mit einem Anschluß im Stil von 1938 zu tun, sondern besagt, daß jedes Land die Möglichkeit besitzt, sich die Vorteile der Zollsenkung der EWG zu sichern, ohne gleich sämtliche sich aus den römischen Verträgen ableitenden Verpflichtungen zu übernehmen. Der § 23 8 der EWG-Ver- träge, der sich mit dieser Frage beschäftigt, weiß über die Form der Assoziierung so gut wie nichts zu berichten. Ueberhaupt sollten die römischen Verträge der österreichischen Oef- fentlichkeit besser kommentiert zugänglich gemacht werden.

Seit dem Besuch Hallsteins in Wien im Februar 1958 sind von österreichischer Seite keine wie immer gearteten ernsthaften Versuche unternommen worden, sich mit der EWG auseinanderzusetzen. Während selbst Israel einen ständigen Vertreter in Brüssel besitzt, Griechenland ab 16. November und die Türkei ab 2. Dezember mit der Kommission Hallstein Verhandlungen eingeleitet hat, glaubt sich Oesterreich ejner solchen Prozedur nicht- unterwerfen zu müssen.

Die Schweiz hat vor kurzem in Brüssel bei der EWG-Kommission einen Botschafter ernannt, Oesterreich stellt die Schaffung eines solchen Beobachterpostens bisher nur in Aussicht.

Aber auch Rußland dürfte ein großes Interesse daran haben, daß die EWG nicht zu einem Instrument gegen die Sowjetunion ausgebaut wird, und die wirtschaftliche europäische Integration ausschließlich der NATO dient. Der Handel der Sowjetunion mit der EWG ist von

195 5 um 11.259 Millionen Rubel auf 19.724 Millionen Rubel 1958 gestiegen. Im Zuge der Koexistenz wird die Sowjetunion sicherlich ihre Bestrebungen verstärken, den Ostwesthandel auszudehnen. Aus den bisherigen Erklärungen offizieller russischer Stellen geht hervor, daß sie die EWG als Tatsache hinnehmen und als internationalen Faktor anerkennen.

Der österreichische Außenminister sprach von der Kluft zwischen theoretischen Erwägungen und der tatsächlichen Situation eines Landes, das sich den internationalen Kräfteverhältnissen anpassen muß. Diesen Ausführungen ist nichts hinzüzusetzen. Trotzdem sollte sich Oesterreich überlegen, in welcher Weise es in den Genuß der Zollsenkung der EWG kommen kann, ohne die Verpflichtungen, die es jetzt in der Freihandelszone übernehmen wird, zu opfern. Der Vertrag von Stockholm ist unterzeichnet worden, ohne daß die österreichische Oeffentlichkeit die letzten Konsequenzen erkannt hat. Es wird daher die Pflicht Oesterreichs sein, seine Position neuerlich zu durchdenken und auch größtes Augenmerk auf die Entwicklung innerhalb der EWG zu lenken. Oesterreich kann der sehr ernsten Aufgabe und Pflicht nicht ausweichen, eine Art Brückenfunktion zwischen EFTA und EWG zu übernehmen.

Seitdem Frankreich vorgeschlagen hat, den Prozeß der Zollsenkung innerhalb der EWG zu beschleunigen, werden die Anstrengungen dieser Seite, den gemeinsamen Markt funktionsfähig zu machen, nur noch größer werden. Es sei auch auf das letzte Memorandum der Kommission Hallstein hingewiesen, das die Eineliederung der Landwirtschaft und damit eine vollständige Veränderung der Agrarstruktur der Mitgliedstaaten der EWG vorsieht.

Schließlich sucht der französische Staatschef, entgegen den Erwartungen in der EWG die Plattform, auf der er als Sprecher Gesamteuropas auftreten kann. Die jüngste Reise des englischen; Außenministers nach Paris haif ‘bewiesen. daß Frankreich nicht bereit ist. die bisherigen Etappen der Integration zugunsten einer sehr nebelhaften allgemeinen Assoziierung zu opfern.

Die Stockholmer Konferenz der Aeußeren Sieben beeilte sich mit der Versicherung, daß sofortige Kontakte mit der EWG aufgenommen würden. Vor allzu großen Hoffnungen einer multilateralen Assoziierung der EFTA an die EWG sei auf alle Fälle gewarnt. Eine multilaterale Lösung, die es nicht eindeutig versteht, die Fragen nach dem Ursprung der Erzeugnisse zu klären, wird immer wieder auf den Widerstand Frankreichs stoßen.

Die Teilung Europas wird auch von maßgebenden Kreisen der EWG mit Besorgnis betrachtet. So wurde von der EWG erst kürzlich ein Kontaktkomitee geschaffen, um die Lösung der Schwierigkeiten gegenüber Staatsgruppen zu finden, die durch die Zollsenkung und die Kontingenterhöhung innerhalb der EWG entstehen werden. Gerade dieses Instrument sollte von österreichischer Seite her verwendet und ihr Funktionieren mit Nachdruck gefordert werden.

Es gilt auch, keine Zeit zu verlieren, um eine österreichische permanente Delegation bei der EWG zu nominieren. Es wird gut sein, dorthin Persönlichkeiten zu senden, die nicht nur aus dem personellen Reservoir des Außenministeriums stammen, sondern mit der Problematik und den Aufgaben der österreichischen Wirtschaft auf das intimste vertraut sind und das vollste Vertrauen der Wirtschaft genießen.

Der Verfasser erlaubt sich, einen seinerzeitigen Vorschlag wiederaufzunehmen, dem bisher kein Erfolg beschieden war. („Oester- reichische Monatshefte Nr. 7 8, 1959.)

Es möge ein der Bundesregierung direkt unterstelltes Büro geschaffen werden, das alle mit der EWG und der EFTA zusammenhängenden Fragen ordnet, die wirtschaftlichen Perspektiven studiert und als Koordinierungsstelle zwischen den einschlägigen Ministerien, den Kammern, dem Industriellenverband und dem Gewerkschaftsbund auftritt.

Als Federführender könnte das allseits anerkannte Institut für Wirtschaftsforschung dienen. Dieses Institut und sein derzeitiger Leiter besitzen das Vertrauen der Sozialpartner und sind als berufene Kenner der österreichischen Wirtschaft zu betrachten. Diese Stelle wird auch ein Maximum an Publizistik zu entwickeln haben, um die österreichische Oeffentlichkeit in entsprechender Form aufzuklären.

Nicht genug damit wird aber auch Oesterreich darangehen müssen, neue Märkte zu erschließen. Dies wird allerdings nicht dadurch geschehen, daß man auf eine Initiative der staatlichen Stellen wartet. Die unternehmerische Leistung würde dadurch herausgefordert; Oesterreich muß den Anschluß an die Härten der internationalen Geschäftspraktiken wiederfinden und sich der Dynamik der Weltwirtschaft ein- ordnen. In den sogenannten Entwicklungsländern bietet sich Oesterreich eine einmalige Chance. Allerdings sind wit’ mif dem besten-Weg; durch .NachlässigkeitHttJjd Schlamperei das,Feld)ivitale- ren Kräften zu überlassen. Wenn wir schon aus freien Stücken die Neutralität auf uns genommen haben, müßte man aus diesem außenpolitischen Statut auch gewisse Gewinne erzielen können. Derzeit besteht der Eindruck, daß wir nur Nachteile zu fühlen bekommen, ohne die staatsrechtliche Situation restlos auszuschöpfen.

Die österreichische Staatsführung und die Männer der Wirtschaft werden eine schwere Prüfung zu bestehen haben.

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