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Die Zermürbung

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Der Monat Mai dieses Jahres brachte seit langem für Israel die größten Verluste. Es hatte 60 Tote zu beklagen, die bei den verschiedenen militärischen Aktionen sowie bei den Terroranschlägen aus libanesischem und jordanischem Territorium umkamen. Der Beginn des Monats Juni war nicht weniger blutig. Zweimal wurde das Städtchen Beth Shaan beschossen, und einmal geriet der Kurort Tiberias unter Artilleriebeschuß. Israel setzte seine Luftwaffe auf das intensivste ein. Sie flog Dutzende von Einsätzen über der Umgebung von Port Said und belegte diese mit etwa 4000 Bomben. Die jordanischen Stellungen und Terroristenbasen wurden ebenfalls bombardiert. Trotz der militärischen Erfolge ist in Israel eine gewisse Kriegsmüdigkeit zu verzeichnen. Dutzende von Beerdigungen von 18- und 20jährigen, Zeitungen mit hunderten von Todesanzeigen, die immer neuen Todesopfer, die alle Familien des Landes treffen, lassen die Frage aufkommen: „Wie soll es weitergehen?“ Heute, drei Jahre nach dem 6-Tage-Krieg, ist der Frieden mehr in die Ferne gerückt denn je. Vom militärischen Standpunkt aus hat Israel bessere strategische Positionen, die einen Untergang des Staates fast un-

möglich machen. Doch die täglichen Opfer zermürben auf die Dauer mehr als ein verlustreicher Blitzkrieg.

Man befindet sich hier in Vorkriegsstimmung, ohne zu wissen, wann der neue Krieg — die vierte Runde! — beginnen soll. Jedenfalls bereiten sich alle Parteien intensiv auf diese Stunde vor. Die Armeen werden ausgebaut, moderne Waffen aufgekauft, neue Befestigungen angelegt, und der Großteil des Nationaleinkommens wird für nichts anderes verwendet, als für die Vorbereitung eines neuen Krieges. Trotz der wirtschaftlichen Entwicklung Israels und dem Gefühl des Friedens im Inneren des Landes liegt eine gewisse Depression in der Luft. Das ganze Land lechzt nach einem wahren Frieden, und keiner weiß, ob er ihn jemals erleben wird.

Das Bewußtsein des immer nahen Todes hat sich auch der israelischen Jugend bemächtigt. Man liest darüber in allen Schülerzeitungen. Dies hindert die Jungen aber nicht, sich freiwillig zu den Eliteeinheiten zu melden. Es gibt immer mehr Anwärter als freie Plätze bei diesen kämpfenden Einheiten. Das 18. bis 21. Lebensjahr verbringt jeder Israeli beim Militär, an der Front. Zu hunderten fahren, sie per Autostopp, mit ihren Maschinenpistolen bewaffnet, in den Urlaub.

Die drei Jahre seit dem 6-Tage-Krieg sahen eine andauernde Anspannung und Ausweitung der militärischen Situation. Im ersten Jahr sprach Nasser von der Phase des „Wiederaufbaus der Armee“. Die zweite Phase war die „Präventiwer-teidigung“, und nun schreitet er mit Hilfe aktiver russischer Unterstützung in die „Befreiungsphase“. Seit Juli 1969 wird die israelische Luftwaffe eingesetzt, 101 ägyptische — gegenüber 11 israelischen — Maschinen wurden abgeschossen. Der Versuch der Araber, Israel aus den Stellungen, die es seit dem 6-Tage-Krieg bezogen hat, zu verdrängen, ist mißlungen.

Nur dank den russischen Piloten und Bodenabwehrmannschaften konnte Nasser seinen Verschleißkrieg fortsetzen. Trotzdem kamen bei den verschiedenen Aktionen an allen Grenzen 725 Israeli um und wurden einige tausend verletzt. Der Versuch der Freischärler, Terror in den besetzten Gebieten zu säen, ist ebenso mißlungen. Im Gegenteil, in Zisjordanien ist wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen. Rund 30.000 arabische Arbeiter sind in Israel selbst beschäftigt, weitere tausende fanden bei neuerrichteten Industrien in Zisjordanien und im Gazastreifen Arbeit. Nur innerhalb der Flüchtlingslager, deren Bevölkerung weiter unter äußerst schwierigen Bedingungen lebt und nichts zu verlieren hat, konnten Terrororganisationen irgendwie Fuß fassen. Hier ist der Terror mehr gegen die arabische Bevölkerung als gegen Israel gerichtet. Mangels eines anderen Ausweges versuchten diese Organisationen, israelische Grenzsiedlungen von jenseits der Grenze zu beschießen und Terroranschläge auf israelische Botschaften und Flugzeuge im Ausland zu lancieren. 1625 Terroristen kamen in Kämpfen gegen Israel um, 2500 sitzen in israelischen Gefängnissen. Die militärischen Erfolge allein ermöglichen Israel derzeit, sich über Wasser zu halten. Aber sie sind in jeder Hinsicht kostspielig. Und drei Jahre nach dem 6-Tage-Krieg weiß man nur, daß wieder ein neuer Krieg vor der Tür steht.

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