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Diplomatie am Goldenen Horn

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Zu den interessantesten Kapiteln m der Geschichte des großen Weltkonfliktes zählt das diplomatische Spiel der Türkei während der großen Verwicklung.

Wer hätte geglaubt, daß sie, so nahe den größten Ereignissen und an den Schnittpunkten wichtigster Interessengegensätze gelegen, nicht nur glücklich, sondern sogar ohne Schwertstreich aus dem Tumult herauskommen werde!

Als im Laufe des Krieges Rumänien und Bulgarien an die Seite Deutschlands traten und dessen Armeen Jugoslawien und Griechenland niederwarfen und der Iran und der Irak Aufmarschgebiet wurden, war die Türkei diplomatisch in erster Linie als Mitglied des Balkanbundes und führend im Pakt von Saadabad gebunden, der die Türkei, Iran, den Irak und Afghanistan umfaßte, dann aber auch durch den Ankara-Pakt mit Großbritannien vom Oktober 1939. Die türkische Außenpolitik hatte vorher unter Ausnützung dieser Beziehungen durch Erwerbung des Sandschaks von Alexandrette einen großen, sichtbaren Erfolg erzielt.

Als der Gazi Mustafa Kemal, der Begründer und erste Staatspräsident der Türkei, der sich bei Abschaffung der arabischen Namen dann A t a t ü r k, „Vater der Türken“, nannte, im November 1938 starb, wurde General Ismet Inönü Staatspräsident. Er entließ Ministerpräsident Dschelal B a y a r, einen Bankmann, und berief einen Mann der , alten politischen Schule, Dr. Refik S a j d a m, und von Smyrna Schukri' Saradschoglu zum Außenminister. Während sich nun in der inneren Politik eine gewisse Milderung der radikalen Gesetzgebung Atatürks, besonders auch der Laisierung, Bahn brach, blieb die Außenpolitik äußerlich der Neutralität treu, die formell gar keine war, da die Türkei in der Stille ein Alliierter Englands geworden war.

„Ein Glück für Hitler, daß Atatürk nicht mehr lebte!“ pflegte man damals in Istambul zu hören, „er hätte bestimmt Deutschland den Krieg erklärt, noch bevor ein deutscher Soldat an der thrazischen Grenze aufgetaucht wäre!“ Denn entgegen der Darstellung der deutschen Propaganda, war Atatürk inmitten des deutschen Militarismus im ersten Weltkrieg ein persönlicher Feind Hitlers und ein verbitterter Feind Deutschlands geworden.

Aber die berühmte alte Diplomatie des Goldenen Hornes fand in seinen Nachfolgern würdige Jünger. Beim Abschluß der englischtürkischen Allianz waren 1959 die Deutschen zu spät gekommen, weil die törichte Prestigepolitik Ribbentrops wegen eines belanglosen Zwischenfalles den Botschafterposten in Ankara unbesetzt gelassen hatte. So wurde am 12. Mai 1939 in Ankara die englisch-türkische Allianz abgeschlossen, der am 23. Juni eine französisch-türkische Erklärung und am 19. Oktober ein englisch-türkisches Wirtschaftsabkommen folgten. Damit hatte sich die Türkei formell ihrer Neutralität begeben, „um zur Rettung des . Friedens beizutragen“. Als daher die „Kanone“ von P a p e n als Botschafter eintraf — er, der in Berlin als der Gerisseriste galt, um erfolgreich gegenüber den Türken das Spiel aufnehmen zu können —, da war es schon zu spät, und es dauerte bis Juni 1941, bis der deutsch-türkische Freundschaftsvertrag zustande kam. Refik Sajdam erklärte damals vor der Gan, der Nationalversammlung, die innere und äußere Verteidigung des Landes sei zur vollsten Zufriedenheit organisiert, die Außenpolitik habe die besten Resultate gezeigt, wie die „Besserung der Beziehungen zu Deutschland bezeuge“. Und Außenminister Saradschoglu versicherte, der Vertrag sei „kein oberflächliches Werk, sondern ein wichtiges Dokument“. Erst 1944, beim Bruch, enthüllte Saradschoglu, daß die Deutschen 1941 angefragt hatten, ob die Türken sich gegen sie schlagen wollten, und die Antwort erhielten, das hänge von ihnen ab. Darauf schlugen die Deutschen den Pakt vor, wovon die alliierten Engländer von den Türken verständigt wurden.

Das war in den Tagen, da die deutschen Waffenerfolge gegen Rußland und eine mit Hochdruck arbeitende deutsche Propaganda die türkische Diplomatie zur größten Zurückhaltung zwangen. Darum hatte sie sich auch schon vor den deutschen Truppenansammlungen an der thrazischen Grenze durch eine türkisch-bulgarische Erklärung, die einem Nichtangriffspakt gleichkam, den Rücken gedeckt. Beim Ausbruch des deutsch-russischen Krieges unternahm sie durch ihre Neutralitätserklärung den vielleicht noch schwierigeren Versuch, sich um jeden Preis aus dem Kriege fernzuhalten — solange keine Entscheidung gefallen war.

Dabei hatte sie auch im Innern keinen leichten Stand. Die Türken sind ein tapferes Volk mit einer großen, gepflegten Tradition und der deutsche Einfall auf dem Balkan, besonders schon der italienische Überfall auf Albanien, hatte große nationale und politische Erregungen geschaffen, die verschiedene Wege gingen.

Die „Turanier“,eine nationalistische Bewegung, deren Organ „Bozkurt“, immer wieder verboten, eine „Groß-Türkei“ mit 65 Millionen — gegen etwa 18 Millionen der gegenwärtigen Türkei — propagierte, verlangten den Kriegseintritt gegen Rußland. Ihre Gebietsansprüche bezogen sich zum Beispiel auf Azerbeidschan, dessen türkischen Charakter sie ebenso wie den der Krim und Ost-Thraziens behaupteten. Gefährlich wurde diese Propaganda besonders auch' durch ihre Versuche, die religiösen Kreise heranzuziehen, die sich wegen der Laisierung des Staates, wegen der Ausschaltung der mos-limischen Hierarchie von den Staatsgeschäften, wegen des Verbotes des Religionsunterrichtes in den Schulen und dergleichen verletzt fühlten, und denen man außerdem verhieß, daß nach Aufhebung der Religionsgesetze Atatürks der türkische Einfluß unter den Moslims Asiens und Afrikas wiederbelebt würde. Die tüchtige türkische Polizei hatte zeitweise viel zu tun, diese Leute zu überwachen und ihnen gelegentlich „den Prozeß zu machen“.

Offiziell aber durfte die von strengen Pressegesetzen gebundene türkische Presse vom Ansprüche auf den Dodekanes sprechen. Man darf daher annehmen, daß die Türkei in dieser Hinsicht aus den Verhandlungen über ihren Kriegseintritt gewisse Hoffnungen abgeleitet hatte.

Nach der Vierer-Konferenz von Teheran erschien Churchill in A d a n a, nm Inönü, seinen Alliierten, über die Ergebnisse zu informieren.

Die Erwartungen aber, daß die Türkei nun einen entscheidenden Schritt tun werde, wurden wieder nicht erfüllt. Man deutete an, daß die Türkei nicht genügend gerüstet sei, weil die versprochenen Waffenlieferungen der Alliierten ausgeblieben seien. Ferner hob die türkische Presse hervor, daß schon die Neutralität der Türkei den Alliierten ungeheure Vorteile gebracht habe, weil sie den beabsichtigten Durchmarsch der Deutschen nach Syrien und Ägypten verhindert habe. Man muß anerkennen,- daß es zur Zeit, da die Deutschen vor El Alamein und am Elbrus standen, nidit leicht“ war, solchem Drucke zu widerstehen. Die Niederlage von Stalingrad besiegelte dann das diplomatische Fiasko Berlins in Ankara. Vorher hatten die Türken einige Panzerzüge und Flugzeuge aus Deutschland erhalten als Gegenwert für

die für die deutsche Rüstung wichtigste Folg* des Wirtsdiaftsabkommens von 1941 mit der Türkei. Allerdings dauerten diese Lieferungen nicht lange. Erst waren sie unmöglich, da die Maritza-Brücke von Edirne-Adrianopel gesprengt war — nach offizieller Darstellung von den rückziehenden Griechen, und erst im August 1944, beim Abbruch der Beziehungen, rühmte sich Saradschoglu, daß die Tür k e n alle thrazischen Brücken beim Einzug der Deutschen in Bulgarien gesprengt hatten. Als die „Organisation Todt“ endlich im Juni 1942 die Brücke hergestellt hatte, ergab sidhi Waggonmangel, bis auch hier die Deutschen nachgeholfen hatten. Sir Knatchbull-Hug* gessen, der britische Botschafter in Ankara, protestierte unablässig gegen diese indirekte Unterstützung der deutschen Kriegsindustrie durch seinen Alliierten, unterstützt vom USA.-Botschafter Lawrence Steinhardt, aber die Türkei erwiderte, daß sie auf die Einfuhr deutscher Industrieprodukte und auf die Ausfuhr ihrer Erzeugnisse, besonders von Rosinen und Tabak, nach Deutsdiland angewiesen sei. Nachdem sich die Nervosität wegen der Gerüchte um die Weygand-Armee in Syrien etwas gelegt hatte, erfolgte sogar eine Reise türkischer Journalisten nach Deutsdiland, die mit einer ebensolchen nach England ausbilanziert wurde.

Wieder fand eine Begegnung mit Churchill statt, diesmal nach der Vierer-Konferenz von Moskau in Kairo mit Saradschoglu und Menemendschoglu, und der Verlautbarung war zu entnehmen, daß die Türken wieder auf ihren R ü s t u n g s r ü c k s t a n d verwiesen, wieder neue Waffenlieferungen versprochen erhielten. Englische Ingenieure bauten indessen im Süden den Hafen von Alexandrette und die Straßen aus, modernisierten die türkischen Kohlenminen und die türkische Industrie, die in dieser Zeit bedeutende Fortschritte gemacht hat.

In der vielberedeten Dardanellenfrage machte die Türkei eine der ersten Konzessionen, als sich der Zusammenbruch Deutschlands immer deutlicher, abzeichnete. Schritt für Schritt löste sich die Türkei im Jahre 1944 von ihrer Neutralitätspolitik los. Eine Verschärfung der Pressevorschriften, durch welche die deutsche Propaganda gehemmt wurde, war das erste Zeichen. Dann verstand sie sich im Juli 1944 dazu, den Montreux-/ Vertrag zuungunsten der deutschen Schiffe* welche die Dardanellen durchfahren wollten, auszulegen. Schon vorher war die Erzausfuhr nach Deutschland eingestellt worden und am 3. August beschloß die Gan den Abbruch der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland und die Ausweisung der Deutschen. Es war nicht zuletzt der Eindruck des Salzberger Attentates auf Hitler, der im türkischen Volke dii Sdiwäche des abgleitenden Regime hü Deutschland zum Bewußtsein brachte. Die Alliierten Deutschlands waren hiebei nicht einbezogen. Menemendschoglu ging als Gesandter nach Bern. '

Saradschoglu erklärte in dieser denkn würdigen Sitzung, daß der britische Alliiert der Türkei Zusicherungen für eine wirtschaft-i liehe und finanzielle Unterstützung, für die! Lieferung des erforderlichen Kriegsmaterials und für die Abnahme der türkischen Pro* dukte gegeben habe, und daß es nun von der anderen Seite abhänge, ob dieser Schritt zum Kriege führen werde. „Niemand kann sagen,“ äußerte sich Churchill im Unterhause, „ob Deutschland oder Bulgarien die Türkei nun angreifen werde. In solchem Falle werden wir alles tun, was wir können, um der noch bestehenden Gefahr entgegenzutreten. Es ist möglich, daß die türkischen Städte bombardiert werden wie die unseren. Die Völker aber werden nach der Rolle beurteilt werden, die sie in dieser Krise gespielt haben.“ Die Panik aber, die in diesem Augenblick in Istambul ausbrach, erwies sich als gegenstandslos: es erschienen keine deutschen Bomber, und der Auszug der Deutschen vollzog sich in aller Form. Die Deutschen verzichteten auf einen neuen Gegner, eine allgemeine Amnestie für Angehörige der Vereinten Nationen, einschließlich der wegen des Attentates auf P a p e n Verurteilten, wurde gleichzeitig verkündet.

So hat die Türkei, von beiden Seiten bedrängt, zeitweilig umworben und besdienkt, im Kriege ihre Maxim befolgt, „Niemanden anzugreifen “und sich gegen jedermann zu verteidigen“.

Ihre heutige Lage wird am besten durch eine an Reuter gegebene Erklärung des türkischen Botschafters in London, Cevat Aschikalin, gekennzeichnet, daß die Türkei bereit sei, eine Revision des Montreux-Vertrages hinzunehmen, aber nur im Wege einer internationalen Übereinkunft, einschließlich der USA., und ihr Heer von e i n e r M i 11 i o n a u s g e b i 1 d e t e r Truppen der UNO., für die Aufrechterhaltung des Friedens zur Verfügung zu stellen, andererseits aber Gebietsabtretungen ablehnen müsse.

Lord Palmerstons Geist, der sich 1809 beim Abschlüsse des ersten Dardanellen-Vertrages weit vorausblickend erwies, schwebt heute noch über diesen Gewässern, und die im Londoner Vertrage von 1841 in Bezug auf die Dardanellen ausgesprochene „solidarische Verpflichtung der Mächte“ besteht heute noch.

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