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Diplomatie auf zwei Geleisen

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In der Julinummer der als Sprachrohr des State Department geltenden Zeitschrift „Foreign Affairs” war ein Artikel zu lesen, der die Grundsätze einer neuen amerikanischen Politik gegenüber Osteuropa darlegte. Die beiden Autoren dieser Ausführungen, Professor Zbigniew Brzezinski von der Columbia-Universität und W. E. Griffith vom Zentrum der Internationalen Forschungen in Cambridge, Mass., befürworteten darin eine zweigeleisige Diplomatie, die einerseits mit den derzeitigen Inhabern der wirklichen Gewalt in den sowjetischen Satellitenländern auf möglichst guten Fuß kommen solle, anderseits die dadurch gewonnenen Möglichkeiten eines umfänglicheren Kontakts mit der Bevölkerung und vor allem mit der heutigen Elite der kommunistisch beherrschten Staaten dazu benützen könnte, um bei dieser größeren und tieferen Einfluß zu erlangen und, was zwischen den Zeilen des Aufsatzes zu erraten ist, die jetzigen sowjethörigen Regime aufzulockern. In ähnlicher Weise wird einerseits Zugeständnissen an einige Forderungen der Volksdemokratien das Wort geredet, anderseits klar herausgesagt, daß man dadurch sich zu nichts verpflichten dürfe. So wünschen die beiden Verfasser des Artikels, die USA mögen in Stettin und in Breslau Konsulate errichten und damit andeuten, daß man die Oder-Neiße-Grenze anerkenne, gleichzeitig aber, daß man sich davor hüte, diese Anerkennung formell auszusprechen.

Wieder einmal: angelsächsische Illusionen?

Auf den ersten Blick scheint das Rezept der zwei Professoren der politischen Wissenschaft jenen Illusionen zu huldigen, die in der angelsächsischen Publizistik nicht selten sind. Das Echo auf die Vorschläge der Dioskuren war so, wie man es bei einiger Sachkenntnis erwarten mußte. Überall war man unzufrieden, und ein schon vorhandenes Mißtrauen Traffi” bekräftigt, ‘ neues wurde rege. In der Deutschen Bundesrepublik sah man den Artikel als Sondierung an, die auf ein Abrücken Washingtons vom bisherigen Standpunkt in bezug auf die deutsche Ostgrenze, im weiteren Verlauf auch von dem gegenüber der Zweiteilung Deutschlands, der Nichtbeachtung der „Pankower Zonenregierung” und der Verteidigung West- Berlins hindeutete. Doch auch im Osten weckte das neue Programm sehr geringen Beifall gerade in den Kreisen, wo es ihn erwartete. Daß die kommunistischen Regierungen wenig davon entzückt waren, schien begreiflich. Sie mußten offiziell mit vielem Eifer gegen eine Entwicklung protestieren, die eine Lockerung der engen Bande zwischen der UdSSR und den Satelliten zum Ziele hatte. Ungeachtet aller Kautelen, die von Brzezinski und Griffith angebracht worden waren, war deren Hauptbestreben deutlich: Das auf friedliche Weise zu erreichen, was durch die polnischen Oktoberereignisse und die ungarische Erhebung von 1956 nicht geglückt war: die Sprengung des Warschauer Pakts.

In diesem Punkt sind die Moskauer Machthaber besonders empfindlich. So hielten es die Parteigewaltigen, zumal in den stets mit starkem sowjetischem Mißtrauen betrachteten Ländern Polen und Ungarn, für nötig, von der nunmehrigen amerikanischen Lesart der Ostpolitik ebenso scharf abzurücken wie von den früheren, die unter den Schlagworten „Zurückdrängen” und „Befreiung” verfochten worden waren. Als bezeichnend sei eine Stellungnahme des dem Primas Kardinal Wyszyriski nahestehenden „Tygodnik Powszechny” zitiert, darin soeben, am 8. Oktober, Zustimmung zu den Thesen der „Foreign Affairs” als glatter Verrat verurteilt wird, und zwar im Hinblick auf die darin angeblich enthaltene Preisgabe der Oder-Neiße- Linie. Damit sind wir aber bei einem springenden Punkt angelangt, der bei oberflächlicher Analyse der Lage übersehen wird. Vorher sei noch schnell angemerkt, daß die zwischeneuropäischen Emigrationen der schärferen Richtungen — Polen um General Anders, fast alle Ungarn, Slowaken, einst Benesch-feindlichen Tschechen voran — über die Wendung in Washington ebenso entrüstet sind wie die Männer im Kreml und aufrichtiger als die derzeit Regierenden in einigen Volksdemokratien.

Bei genauer Prüfung sind die in den „Foreign Affairs” vorgetragenen Methoden gar nicht so plump und so aussichtslos, wie das dünken mag. Die Ostpolitik Rusks und damit die des Präsidenten Kennedy geht nämlich von ein paar Grundtatsachen aus, die allesamt von den vordringlich Beteiligten vertuscht oder geleugnet werden, die aber weit wichtiger sind als das amtliche, wenn auch noch so feierliche und mit dem Brustton der unerschütterlichen Überzeugung verkündete Gerede und Geschreibe. Die jetzigen amerikanischen Staatslenker haben gegenüber ihren Vorgängern jedenfalls ein doppeltes Plus: sie kennen die Situation in Zwischeneuropa besser, und sie betrachten die dortigen Probleme weder mit starrer Dogmatik noch mit unbeteiligter Kühle. Präsident Kennedy ist speziell über Polen aufs beste und unmittelbar unterrichtet. Sein Schwager, Fürst Radziwill, und zwei Schwestern, die — ohne viel Aufsehen — im September in Polen als sorgsamst betreute Gäste geweilt haben, tragen sehr zum Verständnis der wahren und heiklen Lage dieses Landes bei, dem man in den USA unter allen Signataren des Warschauer Pakts am meisten Sympathien entgegenbringt. Ungeachtet der tiefen weltanschaulichen Gegensätze ist ferner die mindestens sechs Millionen Köpfe zählende polnische oder von Polen stammende Bevölkerung der Vereinigten Staaten jetzt fast geschlossen für den außenpolitischen Kurs der Warschauer Regierung wenigstens insoweit eingetreten, als er die Oder-Neiße-Grenze und das Verhalten gegenüber Bonn betrifft. Das hatte zur Folge, daß man in Washington darauf verzichtet, dem Regime Gomulkas Schwierigkeiten zu bereiten. Die gegenseitige Radiopropaganda läuft nur noch auf schwachen Touren.

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