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Diplomatie,Chance derNeutralen

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Vor kurzem ging durch die Weltpresse die Meldung, daß das Welt-raumkomitee der Vereinten Nationen, das mehr als ein Jahr durch die Gegensätze der Großmächte blockiert war, nun endlich seine Tätigkeit aufgenommen und den ständigen Delegierten Österreichs bei den Vereinten Nationen, Botschafter Dr. Matsch, zu seinem Vorsitzenden gewählt habe. Diese Nachricht von der Wahl eines Diplomaten, der den einzigen der UNO angehörenden ständig neutralen Staat bei der Weltorganisation vertritt, zum Vorsitzenden eines Komitees, das eine ebenso heikle wie neue, in ihren Dimensionen eigentlich kaum faßbare Materie zu behandeln hat, regt zur Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen der Diplomatie von heute an. Welches sind in der weltpolitischen Konstellation des Jahres 1962 die Chancen und Schwierigkeiten der Diplomatie im allgemeinen und der Diplomatie des ständig neutralen Staates im besonderen?

Ein Umschlagplatz für Abmachungen

Oft sind in den letzten Jahren Stimmen laut geworden, die von einem Bankrott der Diplomatie gesprochen haben. Der Diplomat sei ein bloßer Briefträger geworden, war zu hören; die eigentlichen internationalen Entscheidungen würden auf den so zahlreich gewordenen Konferenzen auf Ministerebene oder auf den eigentlichen Gipfelkonferenzen getroffen. Dieses Argument läßt allerdings zwei Erwägungen außer acht: erstens die oft entscheidende Bedeutung der vorbereitenden Detailarbeit, des Materials, das den Konferenzen auf höchster Ebene dann vorgelegt wird. Die Genauigkeit der Information, die klare Herausarbeitung der Alternativen, das alles sind Aufgaben, die in keiner Weise als „Briefträgertätigkeit“ abgetan werden können, Aufgaben, deren Lösung die Entscheidungen der Minister oder gar Staatschefs entscheidend beeinflussen kann. Weiter setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, daß Gipfelkonferenzen erst nach entsprechender Vorbereitung auf diplomatischer Ebene stattfinden sollen. Als Beispiel sei etwa auf die Rolle hingewiesen, die der ja auch in Wien bestens bekannte jetzige amerikanische Botschafter in Moskau, Llewellyn Thompson, in den letzten Jahren gespielt hat.

Manche Beobachter der internationalen Politik haben auch die schädliche Wirkung einer Idee kritisiert, die seinerzeit von Präsident Woodrow Wilson mit großen Hoffnungen gepredigt worden war: die Idee der „offenen Diplomatie“. Nun hat sich tatsächlich bald herausgestellt, daß

„offene Diplomatie“, die sich nach parlamentarischen Spielregeln früher im Völkerbund und jetzt in den Vereinten Nationen entwickelte, den Hoffnungen Wilsons gar nicht entsprach: Die Generalversammlung der UNO ist nur allzuoft der Platz, einfach „zum Fenster hinauszusprechen“, und der Demagogie sind ungeheure Möglichkeiten eröffnet worden. Die von Wilson als Werkzeug aller bösen Machtpolitik gegeißelte Geheimdiplomatie besaß — und besitzt — doch ein wesentliches Mittel der erfolgreichen Verhandlung: die Vertraulichkeit. Und so hat sich bald schon beim Völkerbund und mehr noch bei den Vereinten Nationen eine zweite Funktion herausgebildet, die mit der oft demagogisch gefärbten öffentlichen Rhetorik nichts zu tun hat: die Funktion einer „diplomatischen Börse“, eines Umschlagplatzes für diplomatische Abmachungen verschiedenster Art, Abmachungen, die durchaus nach den alten Methoden der „geheimen“ oder, positiv ausgedrückt, „vertraulichen“ Diplomatie getroffen werden. Ein bedeutendes Beispiel hierfür sind etwa die vertraulichen Besprechungen zwischen dem -amerikanischen UN-Delegierten Jessup und seinem russischen Kollegen Malik, die 1949 zur Aufhebung der Berliner Blockade führten.

Das Gleichgewicht des Schrecken

Zu diesen Überlegungen kommt eine weitere grundlegende Erwägung: Harold Nicolson, der bedeutende englische Diplomat und Essayist, hat einmal gesagt, daß der Ausbruch eines Krieges das Fiasko der diplomatischen Profession bedeute. Krieg, das bedeutet den Primat einer neuen Logik, der Logik des Militärs; Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln im Sinne Clausewitz' bedeutet, daß die Mittel der Diplomatie nicht ausgereicht haben, um die Wahrung nationaler Interessen auf friedlichem Wege, auf dem Wege des Gesprächs, der Verhandlung, des Kompromisses vorzunehmen. Die klassischen Zeitalter der Diplomatie waren daher jene Epochen, die bloß begrenzte Kriege kannten, Kriege, bei deren Ausbruch bereits von den Diplomaten mit der Vorbereitung eines Ausgleichs nach Ende der Feindseligkeiten begonnen wurde. Anderseits bedeuten Katastrophen, wie die Napoleonischen

Kriege oder der erste und insbesondere der zweite Weltkrieg, die Entmachtung der eigentlichen Diplomatie.

Es gehört nun zu den Paradoxien der unmittelbaren Gegenwart, daß die Schaffung der Kernwaffen, die Bereitstellung der unerhörtesten Massenvernichtungsmittel und die Entstehung des „Gleichgewichts des Schreckens“ ein neues goldenes Zeitalter der Diplomatie ermöglichen. Das atomare Gleichgewicht des Schreckens, die hohe Wahrscheinlichkeit des gegenseitigen Selbstmordes der feindlichen Weltmächte im Falle eines totalen Krieges, haben den berühmten Clause-witzschen Satz von der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln seiner Gültigkeit beraubt. Rüstungen dienen mehr denn je zuvor nicht der tatsächlichen Kriegführung, sondern der Abschreckung. Rüstungen und Rüstungsbereitschaft sind in höchstem Maße ein psychologisches Faktum geworden.

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