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Diskret, diplomatisch, dienstbereit

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Unter Benedikt XV. empfing Montini 1920 in der heimatlichen Kathedrale von Brescia die Priesterweihe. < Wenig später schon schickte ihn sein Bischof Gaggia zum Studium nach Rom. Man empfahl dem Kardinalstaatssekretär des soeben gewählten Pius XI. den stillen jungen Priester für die diplomatische Laufbahn. Kardinal Gasparri und sein Substitut Pizzardo schickten ihn auf die päpstliche Diplomätenschule. 1923 bereits arbeitete er an der Nuntiatur in Warschau. Seine anfällige Gesundheit erzwang schnell die Rückkehr nach Rom, das ihm endgültig zur Heimat wurde.

Es gab in diesen Zwanzigerjahren nur wenige politisch denkende Kreise in Italien, die dem Rausch auf Dauer widerstanden, der von Mussolinis Faschismus ausging. Die in Machtkategorien denkenden Großen hatten sich mit dem Duce mehr

oder weniger arrangiert. Das einzige Blatt des intellektuellen Widerstandes, des prüfenden Zweifels, das Benedetto Croce herausgab, trug den Titel „Crdtica“ und erschien im Verborgenen, zu Zeiten heimlich beschützt von der lautlosen Diplomatie des Vatikans. Der Philosoph Croce stand dem Christentum fern. Aber das, was der junge Monsignore Montini, von Pius XI. neben seiner diplomatischen Tätigkeit zum „Nationalseelsorger“ der Universitätsjugend bestellt, der jungen Generation empfahl, war den Prinzipien der „Critica“ nicht fremd. „Wenn/ wir auch heute nicht mit wehenden Bannern losziehen können, so laßt uns in der Stille arbeiten.“ Montini gab diese Parole aus, als das faschistische Regime die öffentliche Arbeit einer katholischen — und deswegen der Regimegegnerschaft von vornherein verdächtigen

— btuidentenorganisation mit tiewait unterband.

Bei den traditionsbewußten klerikalen Familien Italiens und bei manchen Maßgeblichen im damali-

gen Vatikan machte man sich mit solcher Arbeit nicht eben beliebt. Der von Stufe zu Stufe in der lautlosen Hierarchie der Kurie aufsteigende Diplomat übte sich in der asketischen Schule der dHscretio — die nicht das dumpfe und phlegmatische Schweigen zum Ziel hat, wohl aber die Zucht des Redens, das immer nur am rechten Ort und zur rechten Stunde erfolgen darf.

Schweigend dürfte Montini der problematischen Unterzeichnung des Konkordats beigewohnt haben, das mit Hitlers frisch etabliertem „Reich“ geschlossen wurde. (Auf diesem Photo erscheint er als „Mann im Schatten“ zum erstenmal in einer im Bild festgehaltenen Funktion.) Er dürfte sein Schweigen und sein Reden auch in Jahren des Krieges richtig dosiert haben, als ihn Pius XII. immer stärker zu seiner persönlichen Beratung in kirchenpolitischen Dingen heranzog. Der Pacelli-Papst liebte keine wortreichen Konferenzredner. Oft erreichte den unermüdlichen Schreibtischarbeiter Montini nur seine Telephonstimme. Der Monsignore hatte präzise zu antworten, zu informieren — keinen Rat zu erteilen. Pius XII. wußte, daß sein Staatssekretär die Welt gern von den „Montes“ her ansah, aus dünner, kühler Luft, von kritischer Warte.

„Mein Segen ist erfüllt von vielen Erinnerungen seines langen Dienstes für die Kirche, in dem Freude und Leid abwechselten. Er ist getragen vom Geist des Glaubens und der Hoffnung für die Zukunft des neuen Hirten, der berufen ist, auf dem Stuhl des heiligen Ambrosius einen so großen Teil des lieben lombardi-schen Volkes zu leiten“. Pius XII. sprach diese Worte über das Mikrophon vom Krankenlager aus in den Petersdom, wo Montini die Bischofsweihe für das vornehmste Amt der Kirche Italiens — nach dem römischen Sitz — empfing. Er wurde Erz-bischof von Mailand. 1955 fuhr er in seine lombardische Geburtsheimat zurück — im überfüllten D-Zug-Abteil. Immer noch eher der dienstbereite Monsignore aus dem Vatikan als der herrschaftliche Oberhirt der volkreichsten Diözese Italiens.

Sorge um Arbeiter, Arme, Abseitsstehende

„Ist es möglich, daß wir uns verstehen, wenn wir miteinander sprechen und einander zuhören? Wie mir scheint, ist das die Grundfrage: Zwi-

scnen oer weit aer Aroeit una uns, der Welt der Kirche, des Glaubens, der Religion, scheint es eine unaus-füllbare Kluft zu geben. Ich gebe mir ein wenig Mühe, mich in eure Lage zu versetzen, eure Gedanken zu erraten. Eure Anstrengung erfüllt mich mit Bewunderung, Überraschung und schafft zwischen uns noch eine Art von psychologischem Problem: Werden wir einander verstehen können?“

So hatte noch kein Kardinalerzbischof Italiens mit den Arbeitern unter seinen Diözesen gesprochen. Wieder setzte Montini sein prüfendes, dem Grund der Erscheinungen nachforschendes „Warum“. Er dozierte in den guten acht Jahren seiner Mailänder Zeit nur selten die Thesen der katholischen Gesellschaftslehre, und ihm fehlte die romanische Geste der grandseigneu-ralen Caritas, die man seit uralten Tagen in Italien von den in den Gebetstexten darob erwähnten „Wohltätern“ gewöhnt ist. Auch der Erzbischof Montini tat in seiner

Diözese viel Caritatives. Aber wichtiger als Stiftungen und Bauten seiner „Memoria“ war ihm etwas anderes: „Warum ist dieser, dein Bruder, abständig? Weil er nicht genügend geliebt wurde. Weil er vielleicht wegen unserer Fehler dazu gekommen ist, daß ihn die Religion anekelt, daß er die Religion verachtet und haßt.“ Es ging diesem Bischof, dem Papst Johannes XXIII. bei seiner ersten Kreation den Kardinalshut verliehen hatte, um die Ergründung dessen, was man früher achselzuckend als „mysterium ini-quitatis“ auf sich beruhen ließ: Warum verschließen sich Getaufte, Gefirmte, Unterrichtete in immer größerer Zahl dem angebotenen Heil? Seine Beiträge zu den Konzilsberatungen kreisten um solche Fragen, um Pastoral, Mission, um Rettung der Seelen.

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