6743174-1966_50_01.jpg
Digital In Arbeit

Disteln für den Staatsanwalt

Werbung
Werbung
Werbung

„Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden“, heißt es in der österreichischen Verfassung. Franz Novak hat seine gesetzlichen Richter bekommen, Beim Obersten Gerichtshof, der den über Franz Novak von der ersten Instanz verhängten Schuldspruch aufgehoben und so den Freispruch von „Eich- manns Fahrdienstleiter“ erst möglich gemacht hatte, sahen — wie erst jetzt bekannt wurde — die gesetzlichen Richter so aus: Ein Senatspräsident, der zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Staatsanwalt beim Sondergericht Wien arbeitete, und ein Berichterstatter, der in der gleichen Ära Referent zur „Behandlung der vom Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof abgegebenen politischen Strafsachen“ war.

Ein Mann, der ein Todesurteil beantragt und auch erreicht hatte, weil ein Angeklagter des Kapitalverbrechens „schuldig“ war, für die Ehefrauen politischer Häftlinge gesammelt zu haben; ein Jurist, der sich zur Teilnahme an „Justizkomödien“ (so der hingeriehtete Chorherr Karl Roman Scholz) hergegeben hatte, die nicht nur Komödien, sondern vor allem auch blutig waren; ein Österreicher, der Österreicher des „Hochverrats“ bezichtigt hatte, weil sie Österreichs Unabhängigkeit wiederherstellen wollten; dieser Jurist, dieser Österreicher richtete als Berichterstatter, als Hofrat des Obersten Gerichtshofes einen Angeklagten, der an der Ermordung von Hunderttausenden Menschen mitgewirkt hatte. Franz Novak hatte seine Taten auf Grund der gleichen Weltanschauung begangen, zu der sich einmal auch der frühere Staatsanwalt Adolf Hitlers und jetzige, über Novak zu Gericht sitzende Höchstrichter der Republik Österreich bekannt hatte.

Das sind Tatsachen, österreichische Tatsachen. Man müßte an diesem Staat verzweifeln, würden diese Fakten nur dieser kleinen Minderheit ein Ärgernis sein, die man so gerne als „Gespensterseher“ geringschätzt. Gerade diejenigen, die an den Hebeln der Macht sitzen, müßte das zum Nachdenken bringen: Daß man zwar versucht, Opfer des Nationalsozialismus für befangen zu erklären, über des Massenmordes Angeklagte urteilen zu können; daß es aber sehr wohl möglich ist, daß einer, der seine Dienste der Mordmaschine des Dritten Reiches, die sich „Justiz“ nannte, zur Verfügung gestellt hatte, über einen anderen ohne Befangenheit richten kann, der in einer anderen Mordmaschine des gleichen Regimes tätig war.

Wenn auch anzunehmen ist, daß sich der genannte Höchstrichter in seiner (meistens entscheidenden) Funktion als Berichterstatter ausschließlich von rechtlichen Aspekten leiten ließ, daß er nichts anderes tat, als den festgestellten Sachverhalt dem Recht gegenüberzustellen, bleibt ein Unbehagen, bleibt auch ein Gefühl dek Zornes zurück, und zwar aus zwei Gründen.

• Söhon die Möglichkeit, es könnte der Verdacht aufkommen, zwischen dem Höchstrichter der Republik Österreich und dem eines „Verbrechens gegen die Menschheit“ (Karl Jaspers) dringend Verdächtigen könnten unausgesprochene und unbeweisbare Bande der Kameraderie noch vorhanden sein, müßte doch besonders bei den Theoretikern des Rechtsstaates Bestürzung hervor- rufen. Wir warten auf ihren Aufschrei; wir hoffen, ihn bald zu hören.

• Der zweite Grund ist der: Kann und darf ein Österreicher seinem Vaterland als Höchstrichter dienen, eine der verantwortungsvollsten Positionen einnehmen, ein Österreicher, der früher als Staatsanwalt diejenigen verfolgt hat, die für Österreich kämpften? Verliert nicht der von vielen geforderte und von manchen bereits als existent betrachtete Richferstaat dadurch jede Glaubwürdigkeit? Mit welcher moralischen Legitimation spricht ein solcher Richter Recht im Namen der Republik, deren Vorkämpfer er dem Schafott zuführte?

Man verstehe uns nicht falsch. Es hätte wenig Sinn, den erwähnten Hofrat des Obersten Gerichtshofes nochmals zur Verantwortung ziehen zu wollen — wenn man auch die vier Jahre, während der dieser Höchstrichter unserer Republik seine Laufbahn unterbrechen mußte, für eine allzu kleine Sühne hält. Wir wollen keineswegs, daß der frühere NS- Staatsanwalt, der gegenüber österreichischen Patrioten keine Milde gekannt hat, in seiner Ėxistenz getroffen wird. Aber es muß das Ansehen unserer Justiz untergraben, wenn diejenigen in höchsten Positionen richten wollen, die einmal an prominenter Stelle ein blutiges, gegen Österreich gerichtetes Handwerk verrichtet haben. Nicht Vergeltung, sondern Sauberkeit ist zu fordern.

Adressat dieser Forderung sind sie alle: die Justiz, die genügend Selbstheilungskräfte entwickeln müßte; das Parlament, dessen Gesetze die Justiz vollzieht; die Regierung, die faktisch am Schalthebel der Gesetzgebung sitzt; wir, die wir nicht gleichgültig sein dürfen. Die Stellungnahme des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, die sich auf rein formale Standpunkte zurückzieht und so klingt, als wäre die Teilnahme an der Ermordung österreichischer Patrioten ein durchaus standesgemäßes Verhalten, darf jedenfalls nicht die letzten Worte zu dieser beschämenden Affäre sein. Wir könnten uns vorstellen, daß ein letztes, abschließendes Wort von dem genannten Richter selbst kommt, daß er selbst die Konsequenzen zieht und aus seinem Amt in den Ruhestand hinüberwechselt. Wenn das, was man etwas nebulös „Ehrgefühl“ nennt, vorhanden ist, müßte diese Lösung gangbar sein. Das wäre nicht zuletzt ehrenhaft gegenüber denjenigen gehandelt, die aus einem Gefühl der Kollegialität heraus sich vor den Betroffenen stellen. Von dem Respekt, den wir jenen schuldig sind, die für Österreich ihr Leben gäben, wollen wir ganz schweigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung