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Doktrinär oder liberal

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An der Jahreswende 1965/66 präsentierte sich die SPÖ unter dem „Fuchs“ Dr. Pittermann als konservative sozialistische Partei, die nur die Führung in der Koalition, aber nicht die absolute Mehrheit als Wahlziel des 6. März 1966 anstrebte und die die Wahlempfehlung der KPÖ für 24 Wahlkreise in der Hoffnung, es werde ihr nützen, unwidersprochen akzeptierte. Wo steht die

SPÖ nun unter ihrem Vorsitzenden Dr. Kreisky an der Jahreswende 1969/70 vor dem entscheidendsten Wahlkampf der Zweiten Republik und einem neuen Jahrzehnt? Dr. Kreisky benötigte nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 1966 etwa ein Jahr, um vor allem die konservativen Spitzenpolitiker der SPÖ davon zu überzeugen, daß die SPÖ nur dann bei den Nationalratswahlen reüssieren könne, wenn es ihr gelingt, von sich das Image einer liberalen „sozialdemokratischen“ Partei aufzubauen und in der Öffentlichkeit zu verankern. Der erste Anlauf zur Imageverbesserung war der ehrliche Versuch, mit einem Wirt-

Schaftsprogramm der SPÖ die neue liberalere Haltung der Sozialisten zu demonstrieren. Nach einem vielbeachteten Rohentwurf der Experten regten sich erstmals wieder die konservativen Sozialisten, die ihr Ziel durch zu viel Liberalismus gefährdet sahen. Der Parteitag, auf dem dann das Wirtschaftsprogramm offiziell beschlossen wurde, nahm denn auch eine wesentlich entlibera-

lisierte Fassung zur Kenntnis. In der Folge zeigten auch die Meinungsforschungskurve und die Landtagswahlergebnisse, daß die ruhige Art des von seinem Rivalen Pittermann eine Zeit lang überhaupt nicht inkommodierten SPÖ-Vorsit-zenden Dr. Kreisky großen Teilen der Bevölkerung die Angst vor dem tiefroten Sozialismus zu nehmen begann. Kreisky erwies sich auch als geschickter innerparteilicher Taktiker, der sich relativ gut mit für ihn günstigen Kompromissen gegen die Konservativen und auch seinen konservativen Aufpasser in der Parteizentrale, Exverkehrsminister Zentralsekretär Probst, durchsetzen

konnte: Die SPÖ wechselte von der Aggression gegen die Alleinregierung langsam, aber stetig zur orangeroten Sympathiewerbung und zur Erstellung von Alternativen zur Regierungspolitik.

Beraten von einer amerikanischen Werbeagentur, versuchte der SPÖ-Vorsitzende seine Partei als sympathisch, jung und ohne Fesseln des konservativen Sozialismus zu präsentieren. Diese Linie wurde bis herauf zur jüngsten Budgetdebatte gehalten, bei der die SPÖ peinlich jede allzu starke Aggression gegen die Regierungspartei vermied. Die Alternativenerstellung der SPÖ ging allerdings den etwas bequemeren Weg, sich nicht unmittelbar mit den vorliegenden Gesetzen und Maßnahmen der Regierungspartei zu beschäftigen, sondern — vor allem beim Budget — in die Zukunft des Jahres 1971 auszuweichen. Ein Programm nach dem anderen wurde von den Experten ausgearbeitet. Mit der Beschlußfassung wurde es allerdings schwieriger. Am deutlichsten zeigte sich dies beim Wohnungsprogramm der SPÖ, als der von Kreisky in der „Arbeiter-Zeitung“ lancierte Entwurf mit einer wirklich modernen Regelung der Mietenfrage eine Abkehr von der bisherigen sozialistischen Wohnungspolitik verhieß. Dieser Passus fiel jedoch im Feuer der Wiener Altsozialisten.

„Alte Garde bleibt

Von der öffentlichen Meinung ge-

dränigt, die die mehr als zehn Programme ohne Finanzierungsplan für deren Verwirklichung immer mehr als Luftschlösser zu betrachten begann, ließ Kreisky dann von den Experten ein 22seitiges Finanzierungskonzept erstellen, von dem durchsickerte, daß es empfindliche Steuererhöhungen vorsehe. Dr. Pittermann verhinderte die Beschlußfassung des SPÖ-Parteirates über dieses detaillierte Finanzierungsprogramm: Es wurden nur drei Seiten vager Andeutungen parteioffiziell gemacht.

Aber nicht nur bei der Programmerstellung witterten die Konservativen in der SPÖ Morgenluft: Klubobmann Dr. Pittermann steuerte die SPÖ-Fraktion in der ORF-Debatte beim Budgetkapitel „Oberste Organe“ so, daß es zu einem für Kreisky empfindlichen Ausrutscher kam. Kreisky gelang es hingegen nicht, seinen Rivalen Dr. Pittermann vom Nationalrat in den Bundesrat abzuschieben. Sein Bestreben, die „alte Garde“ aus den Kandidatenlisten für die Nationalratswahlen zu verdrängen, wurde von der Wiener SPÖ ins Gegenteil verkehrt: Broda, Czernetz, Probst, Waldbrunner und Pitter-maon kandidieren ganz vorne.

Bei einer kurzen Bilanz der SPÖ-Entwicklung in den letzten vier Jahren hat man den Eindruck, als wären zwei Schritte nach vorne, in Richtung „Sozialdemokratische Partei“ nach skandinavischem Vorbild, aber auch wieder ein Schritt zurück in Richtung des ideologisch bestimmten Pdttermann-Kurses extrem konservativer Prägung getan worden. Die SPÖ unter Dr. Kreisky geht erstmals mit dem Ziel einer absoluten SPÖ-Mehrheit und mit einer deutlichen Absage an den Kommunismus („Eisenstädter Erklärung“) in die siebziger Jahre. Noch ist es der SPÖ aber nicht gelungen, die Eierschalen des Austromarxismus völlig abzustreifen, immerhin aber kann Kreisky für sich buchen, daß die SPÖ unter seiner „Regentschaft“ eine Wandlung durchgemacht hat, wie sie in der bisherigen Geschichte der österreichischen Sozialdemokraten nicht möglich war. Der Wahlkampf, in dem bekanntlich den Werbemanagern zum Trote vor allem in der SPÖ immer wieder die tatsächlichen Machtverhältnisse transparenter werden, wird zeigen, ob sich Kreisky auf Dauer durchsetzen konnte.

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