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Drei Jahrzehnte zu früh?

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Ein Gespräch mit dem "kleinen" Otto Bauer in New York.

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Ein Gespräch mit dem "kleinen" Otto Bauer in New York.

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Manche Abschnitte der österreichischen Geschichte lassen sich viel anschaulicher und einprägsamer, als es in Wien möglich wäre, in New York studieren. Während des zweiten Weltkrieges liefen die Fäden der verschiedensten Emigrantenorganisationen in New York zusammen, und auch heute leben dort viele Österreicher, die entscheidende Ereignisse in Österreich nicht nur miterlebt, sondern auch mitgestaltet haben.

Am Ostende des Central-Parkes, in der 87. Straße, trifft man in der „Bibliothek für Politische Studien“ des ehemaligen Führers der „Revolutionären Sozialisten“, Joseph Buttinger (alias Richter), den „kleinen“ Otto Bauer. Die Beifügung „klein“ wurde ihm verliehen', um ihn von seinem 1938 verstorbenen Namensvetter zu unterscheiden, der der österreichischen Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit den Stempel seiner mächtigen Persönlichkeit aufdrückte. Der „kleine“ Otto Bauer war der Vorsitzende des „Bundes Religiöser Sozialisten“, einer Organisation, die zwischen den beiden Weltkriegen etwas versuchte, wofür die Voraussetzungen in Österreich erst drei Jahrzehnte später reif wären: Als religiöse Menschen, als Katholiken oder Andersgläubige, in den Reihen der SPÖ eine politische Heimat zu finden und so eine Aussöhnung der Kirche mit dem Sozialismus zu ermöglichen.

Der Schüler Orels

Ein Vortrag über die Soziallehren Carl von Vogelsangs hatte 1912 das politische Interesse des damals 15jährigen Wiener Arbeitersohnes Otto Bauer geweckt. Als Lehrling trat er dem „Bund der christlichen Arbeiterjugend“ in Ottakring bei, der von der radikalen Persönlichkeit Anton Orels geprägt wurde. Zwei Jahre Militärdienst und eine längere Arbeitslosigkeit nach Kriegsende bedeuteten für Bauer einen tiefen Einschnitt, der sich im Beitritt zur damals in Wien sehr aktiven „Deutschen Katholischen Jugendbewegung“ auswirkte — eine Organisation, die, ohne von Orel beeinflußt zu sein, ebenfalls sozial-romantisch in ihrer gesellschaftspolitischen Grundhaltung war, außerdem aber noch als politisch weit linksstehend eingestuft wurde. „Es war damals nicht ungewöhnlich, in den Reihen der .Deutschen Katholischen Jugendbewegung' einem bewußten Kommunisten zu begegnen“, erinnert sich Bauer heute.

Die Gründung des Bundes

Über seine Betriebsorganisation war Bauer — er hatte in der Zwischenzeit als Metallarbeiter eine Stellung gefunden — Mitglied der SPÖ geworden. 1926 gründeten Bauer und seine Gesinnungsfreunde, von denen die meisten ebenfalls aus der Orel-Bewegung, einige auch vom Bund „Neuland“ zum Sozialismus gestoßen waren, den „Bund Religiöser Sozialisten“; Otto Bauer war von Anfang an Vorsitzender. „Wir haben die Partei nicht gefragt, wir haben uns einfach konstituiert. Es war unmittelbar nach dem Linzer Parteitag der SPÖ; wir haben uns innerparteilich auf den dort verkündeten Grundsatz .Religion ist Privatsache' berufen, obwohl für uns die Religion viel mehr als eine Privatsache war.“ Die Parteiführung war überrascht, sie sicherte aber dem Bund ein unbehindertes Arbeiten zu. Später, nach der großen Tagung des Bundes im Jahre 1928, wurde von den „Religiösen Sozialisten“ auch ein Delegierter für den Parteitag nominiert.

Otto Bauer I. und Otto Bauer II.

Im Parteivorstand der SPÖ waren die Meinungen über die Aktivität des „kleinen“ Otto Bauer geteilt. Bauer nennt zwei Spitzenfunktionäre, die sich besonders für die Intentionen dar „Religiösen Sozialisten“ verwendet hätten: Wilhelm Ellenbogen, der auch auf der „Tagung für Christentum und Sozialismus“ 1928 ein Referat hielt, und — den .großen“ Namensvetter. Zwischen Otto Bauer I. und Otto Bauer II. entstand bald eine freundschaftliche Verbindung. Der „kleine“ schildert den „großen“ als einen Sozialisten, der keineswegs als kämpferischer oder auch nur selbstsicherer Atheist auftrat, sondern der ein immer interessierter Gesprächspartner war, den im besonderen das Beispiel christlicher Kriegsdienstverweigerer im ersten Weltkrieg sehr nachdenklich gemacht hatte.

Das Gespräch mit Kardinal Piffl

Von der kirchlichen Hierarchie wurde der Bund zunächst ignoriert. Als aber Bauer einmal um eine persönliche Vorsprache bei Kardinal Piffl ansuchte, war dieser sofort bereit, ihn zu empfangen. Bauer unterbreitete dem Erzbischof eine Resolution, in der die Forderung vertreten wurde, die Kirche solle sich aus ihren Bindungen an die kapitalistische Gesellschaftsordnung lösen.

„Das Klima dieses Gespräches war gut, aber es blieb ohne konkrete Folgen“, erzählt Bauer 40 Jahre später. „Als ich erklärte, Marxist zu sein, sagte Kardinal Piffl: .Wenn Sie als Marxist nur die sozialen Auffassungen von Marx bejahen, habe ich als Bischof dagegen nichts einzuwenden. Wir haben in der Kirche verschiedene Auffassungen." Piffl machte allerdings die Bitte, diese Äußerung nicht zu veröffentlichen.“ Damals wurde auch das Thema Arbeiterpriester erwähnt, „vielleicht zum erstenmal in der Geschichte“: Bauer schlug vor, die Kirche sollte doch Priester zur pastoralen Ausbildung in die Fabriken zur Arbeit senden; ein Vorschlag, der ohne Echo blieb.

Durch die „Sozialistenseeisorge“ Michael Pflieglers, vor allem aber durch P. Bichlmayer SJ blieb Bauer mit der Hierarchie in Verbindung außerdem entstanden damals — Ende der zwanziger Jahre — zahlreiche Kontakte auf der Ebene der Pfarren. Einmal wurde Bauer auch zu einem Vortrag ins Salzburger Priesterseminar eingeladen. Aus dieser Zeit stammen auch viele persönliche Beziehungen zu Priestern.

„Quadragesimo anno“

1930 forderte P. Bichlmayer den Bund auf, eine Denkschrift nach Rom zu schicken; „Quadragesdmo anno“ stand unmittelbar bevor. In dieser Denkschrift präzisierte der Bund seine Vorstellungen. Die Enzyklika selbst wurde dann, vor allem wegen ihrer Formulierung, religiöser Sozialismus sei ein Widerspruch in sich selbst, als („wenn auch nicht hundertprozentige“) negative Antwort auf die Denkschrift gewertet. Dennoch war P. Bichlmayer der Ansicht, die Auffassungen des Bundes seien akzeptabel — aber nur außerhalb der Partei. Viele Katholiken traten auch aus dem Bund und damit aus der SPÖ aus. Doch Otto Bauers Antwort an P. Bichlmayer war ein klares Nein: „Ein Sozialismus außerhalb der Partei ist ein Sozialismus außerhalb des Proletariates.“

Damit war der Bund in seinem Kern getroffen. Die Hierarchie entzog ihm ihr „distanziertes Wohlwollen“ - so könnte man ihre bisherige Haltung umschreiben —, der Bund konnte seine Funktion als Brücke zwischen Kirche und Sozialismus nicht mehr erfüllen. Vor die Wahl gestellt, sein Engagement entweder mit Billigung der Hierarchie außerhalb oder ohne deren Billigung innerhalb der Partei fortzusetzen, entschied sich Otto Bauer für die Partei.

„Quadragesimo anno“ hatte nicht nur die innerkirchliche Position de „Bundes Religiöser Sozialisten“ zerstört, sondern auch dessen innerparteiliche. Im Parteivorstand hatten nun die erklärten Gegner des „kleinen“ Otto Bauer, vor allem die auf ihrer Seite: Mit der Absage der Enzyklika an jeden Sozialismus waren die Aussichten auf eine Versöhnung mit der Kirche und auf einen Einbruch in das katholische Wählerreservoir geschwunden. Die Motive seiner damaligen innerparteilichen Gegenspieler beurteilt Bauer heute sehr konziliant: „Das Freidenkertum der Arbeiter war eigentlich kein Atheismus, sondern Entfremdung von der Kirche.“

Anfang 1934 kam Bauer im Auftrag seiner Partei zu Kardinal Innitzer. Die Bischöfe hatten beschlossen, alle Priester sollten ihr« (christlichsozialen) Parteiämter niederlegen. Vor allem der „große“ Otto Bauer vermutete in diesem Beschluß eine mögliche Bereitschaft der Hierarchie zu einer Verständigung, und so wurde der „kleine“ Otto Bauer zum Kardinal geschickt. Bauer versuchte Innitzer klarzumachen, daß die Sozialdemokratie nicht kampflos resignieren werde, daß also jedes weitere Vorgehen 'der Regierung gegen die SPÖ den Bürgerkrieg bedeute. Innitzer war ergriffen und sagte, mit Tränen in den Augen: „Das alles sollte man dem Bundeskanzler sagen.“ Als Bauer meinte, der Kardinal selbst wäre doch der geeignete Mann für eine Vorsprache beim Kanzler, erwiderte Innitzer: „Ich? Mich empfängt er doch nicht!“

Illegalität und Emigration

Bauer kam nie mehr mit Kardinal Innitzer zusammen, nur P. Bichlmayer hielt den Kontakt aufrecht. In einem Gespräch mit Bauer versicherte der Jesuitenpater, jede Gegenwehr der Sozialisten sei vergeblich, „wir sind entschlossen, reinen Tisch zu machen“. Auf den Einwurf Bauers, der große Gegner sei doch Hitler, antwortete Bichlmayer mit dem bekannten Satz: „Gemessen am polltischen Marxismus mit seiner Zügellosigkeit, ist der Nationalsozialismus mit seinem Autaritätsgedanken das kleinere Übel.“ Als Bauer nun meinte, man dürfe doch den in Deutschland bereits herrschenden Nationalsozialismus nicht unterschätzen, sagte Bichlmayer: „Das kann doch nicht länger als zehn Jahre dauern. Die Kirche hat schon ärgere Sachen überlebt.“

Diese Unterredung mit P. Bichlmayer fand am 12. Jänner 1934 statt. Einen Monat später brach der Bürgerkrieg aus. Zu den ersten Organisationen, die im Anschluß an die Kämpfe behördlich verboten wurdeni, zählte der „Bund Religiöser Sozialisten“.

Mit P. Bichlmayer blieb Bauer auch nach dem Februar 1934 in Verbindung, obwohl es dem Jesuitenpater nicht verborgen bleiben konnte, daß sich Bauer in den Reihen der „Revolutionären Sozialisten“ betätigte. Als Bauer verhaftet wurde — das erste Mal 1936, das zweite Mal 1937 —, intervenierte Bichlmayer für Bauer. Doch im April 1938 mußte Bauer das zur „Ostmark“ gewordene Österreich verlassen. Uber die Schweiz und Frankreich kam er in die USA. Zunächst arbeitete er in einer Fabrik, seit 1944 ist er in der politischen Bibliothek Joseph Buttingers tätig.

Die enge Verbindung mit Buttinger ist einer der Gründe, warum Bauer nach 1945 Österreich nur einige kurze Besuche abstattete, seinen Wohnsitz aber nicht verlegte: Die Opposition des Buttinger-Kreises gegen die Parteiführung während der Emigration, vor allem die 1953 in Buchform publizierte Auseinandersetzung Buttingers mit seinen ehemaligen Parteifreunden machte auch den „kleinen“ Otto Bauer bei der eigenen Partei zur „persona non grata“.

Geänderte Voraussetzungen

Daß Kirche und Sozialismus in Österreich nach 1945 eine Gesprächsbasis gefunden haben, registriert Otto Bauer heute mit dem Verständnis dessen, der eine solche Basis schon unter bedeutend ungünstigeren Voraussetzungen für möglich gehalten hat, und der dafür auch als Katholik und als Sozialist sich voll und ganz eingesetzt hat. Heute sei eben alles anders; die gesellschaftlichen Strukturen, aber auch der Sozialismus. „Wie soll ein Bischof, der nichts dagegen hatte, daß Katholiken Mitglieder der NSDAP wurden, gegen eine Mitgliedschaft von Katholiken bei der SPÖ sein?“ Man ist nicht sicher, was aus diesen Worten des „kleinen“ Otto Bauer mehr herausklingt: Optimismus oder Resignation...

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