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Drei Monate nach der Koalition

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Die Frühjahrssession des Nationalrates ist beendet; seit 20. April hat Österreich eine Bundesregierung, die nur von einer Partei im Parlament unterstützt wird. Die Frühjahrssession der XI. Gesetzgebungsperiode der . Republik Österreich war die erste, die unter diesem Vorzeichen stand. Für diese vergangenen 23 Sitzungen soll Bilanz gezogen werden. Es ist zu untersuchen, welche Stellung der Nationalrat heute in der politischen Wirklichkeit unseres Landes einnimmt. Es müssen Überlegungen angestellt werden, welche Möglichkeiten die neue innenpolitische Situation dem Hohen Haus eröffnet.

Überraschte Koalitionspartner

Es kann zunächst festgestellt werden, daß die österreichische Volkspartei keine Vorbereitungen von langer Hand getroffen hat, allein die

Regierungsverantwortung zu übernehmen. Niemand kann behaupten, daß die Koaiitionsvehhandlungen seitens der ÖVP darauf angelegt waren, die SPÖ aus der Regierungsverantwortung zu drängen. Die erste Regierungspartei der Koalition hat daher auch jene Vorlagen im Parlament eingebracht, die das Ergebnis eines neuerlichen Arbeitsübereinkommens mit der SPÖ gewesen wären. Sicher waren für die SPÖ viele Umstände maßgebend; interessant ist jedoch, daß alle ihre Regierungsmitglieder aus der Zeit der Koalition bereits vor dem 18. April — dem Datum des Schei- terns der Verhandlungen — dem Hauptausschuß des Nationalrates angehört haben. Also hat man bereits vor dem Beginn der Verhandlungen Zeichen dafür sehen können, daß starke Kräfte in die Opposition drängen.

Geschäftsordnung als Bestseller

Die Rollen sind nun seit dem 20. April neu verteilt. Die ÖVP kann von sich behaupten, schnell in die Verantwortung hineingewachsen zu sein. Die FPÖ wieder hat gezeigt, daß mehr als zehn Jahre Opposition eine taugliche Schule dafür sind, mit sechs Abgeordneten auch einem stärkeren Partner in dieser Rodle die besten Möglichkeiten abzujagen. Die SPÖ hat ihren Stil der Opposition noch nicht gefunden. Stimmenauszählungen und Verzögerungstaktik allein machen noch keine starke Alternative zur Regierungspartei.

In den ersten Tagen der neuen Gesetzgebungsperiode war die Geschäftsordnung plötzlich zum Bestseller geworden. Die vorhandenen Bestände waren bald ausverkauft. Zunächst glaubte die Opposition ihr Heil darin suchen zu müssen, adle Möglichkeiten und Ducken des Geschäftsordnungsgesetzes auszunützen, um erste Erfolge der Regierungspartei zu verhindern. An Beispielen fehlt es nicht:

• Die Bestimmungen bezüglich der Beschickung von Unterausschüssen sind mangelhaft; die SPÖ entsandte daraufhin niemanden in den Unterausschuß, der das Problem der Sicherheitsdirektionen behandeln sollte.

• Die Zuweisung von Regierungsvorlagen und -anträgen ist in der Geschäftsordnung unklar formuliert. Die Präsidialsitzung des Nationalrates hat diesen Punkt sozusagen authentisch interpretiert; es wird damit ein Weg eingeschlagen, der dem Nationalrat eine überstürzte Geschäftsordnungsreform erspart und eine schrittweise Kommentierung garantiert.

• Die Spielarten der Abstimmungsweise wurden von der SPÖ reichlich in Anwendung gebracht. Allein bei der Novelle zum Einkommensteuergesetz dauerte der formale Vorgang auf Grund der zahlreichen namentlichen Abstimmungen fast eine Stunde. Damit ist wohl ein Instrument dem Mißbrauch ausgeliefert, da ein einmaliger Versuch genügt hätte, die Geschlossenheit der ÖVP- Fraktion festzustelilen.

Mißbrauchte Möglichkeiten

Viele Einrichtungen der Geschäftsordnung erfuhren eine Belebung. Wer die Protokolle des Nationalrates aus der Ersten Republik studiert, kann feststellen, daß dort die „dringliche Anfrage“ ein beliebtes Instrument der Opposition war. Wenn mindestens 20 Abgeordnete eine Anfrage unterstützen, ist sie als dringlich anzusehen und muß in derselben Sitzung von dem befragten Regierungsmitglied beantwortet werden, in der sie eingebracht wurde. Die Beantwortung muß überdies vor der „5. Stunde des Nachmittags“ erfolgen. Die Sozialdemokraten haben damals oft eine Unterbrechung der Debatte durch solche Anfragen um 5 Uhr nachmittags erreicht; die SPÖ hat bisher viermal davon Gebrauch gemacht.

Häufiger beanspruchte die Opposition das Recht der ersten Lesung ihrer Anträge. Ein Initiativantrag von Abgeordneten muß dann in erste Lesung genommen werden, wenn das der Antragsteller ausdrücklich verlangt. Er erhält dabei das Wort zur Begründung; hierauf wird eine Besprechung der allgemeinen Grundsätze des Antrages durchgeführt. Die Opposition erreicht damit, daß ihre Anliegen und Forderungen vor dem Plenum besprochen werden. Sinnvoll ist dieses Instrument jedoch nur, wenn die Ahträge auch glaubwürdig sind. Die Aufhebung der Steuern zu beantragen, wird wohl niemand als taugliche Initiative ansehen.

Die Opposition hat diesen Vorschlag zwar nicht gemacht, doch ist sie einen ähnlichen, vielleicht demagogischen Weg gegangen. Neun von 13 Anträgen brachten vor allem soziale Forderungen, die mit erheblichen Kosten verbunden sind. Man schätzt, daß die Erfüllung dieser Wünsche sicher mehr als 3,2 Milliarden Schilling kostet. Da diese Anträge auf der Tagesordnung der letzten sechs Sitzungen standen, kann man bestimmt nicht davon reden, daß ein Beschluß darüber — den die Opposition ja anstreben muß — zum jetzigen Zeitpunkt wirtschaftlich verantwortbar ist.

Ähnlich war es auf dem Gebiet der von der Opposition gemeldeten Redner. Bei einigen Budgetgruppen wurde stundenlang nur noch von seiten der SPÖ gesprochen. Es gab zahlreiche Wiederholungen, Nebensächlichkeiten, Details, die den Rahmen einer Budgetdebatte sprengen. Man kann ruhig zugeben, daß alle Parteien noch dazulernen müssen, eines ist jedoch sicher, die Multiplikation der Redner vertieft keineswegs die Debatte.

Aufwertung des Parlaments

In der letzten Zeit wurden viele Maßnahmen mit der angeblich notwendigen „Aufwertung“ des Parlaments etikettiert. Der Ausdruck selbst ist irreführend. Die Veränderungen im politischen Spiel der Republik haben vielmehr natur gemäß dazu geführt, daß das Parlament haute der Ort der politischen Entscheidungen in Österreich ist. Nicht nur das Interesse der Öffentlichkeit an den Sitzungen zeigt uns, daß im Haus am Ring wichtige Vorgänge stattflnden, sondern auch die Tatsache, daß Politiker, Beamte und Journalisten für Wochen in diesem Gebäude festgehalten sind. Damit ist aber auch die wiederholte Forderung der Opposition, mehr Information von der Regierungspartei zu erhalten, erfüllt, weil ja das Parlament der Brennpunkt des politischen Lebens in einer parlamentarischen Demokratie ist. Die Rechte der Opposition müssen von ihr selbst ausgenützt und nicht von der Regierungspartei angeboten werden. Die Aufgabe der Klubs rückt damit stärker in den Vordergrund; es mußte nicht nur materiell, sondern es wird auch politisch dieser Tatsache Rechnung getragen werden.

Das Parlament wird sich noch mit Problemen einer eigenen Öffentlichkeitsarbeit auseinanderzusetzen haben, da das Hohe Haus mehr als bisher in das Bewußtsein der Staatsbürger eindringen soll. Es muß alles dazu getan werden, ein Bild des modernen Parlamentarismus in der

Öffentlichkeit zu geben und verständlich zu machen.

In Hinkunft wird auch die Rolle der Abgeordneten im Parlament eine Wandlung erfahren. Mehr als bisher werden Sitzungen den ohnehin sehr belasteten Stundenplan unserer Mandatare ausfüllen. Eine gewisse Spezialisierung auf Probleme des kulturellen Lebens, der Wirtschaft usw. hat bereits stattgefunden und wird noch um sich greifen. Die Mitarbeit der Abgeord-

neten an der Entstehung von Regierungsvorlagen wird ein intensives Gespräch zwischen Verwaltung und Gesetzgebung eröffnen. Aufgabe der Budgetdebatte — und letztlich die eigentliche Budgethoheit — wird es sein, die grundsätzlichen Bezüge zwischen gestelltem Problem und staatlicher Verwaltung herzustellen und weiter spezielle Fragen zu erörtern. Demnach wird die Regierungspartei in Hinkunft zu jedem Kapitel einen Hauptredner zu den Grundsatzfragen und mehrere Redner für Spezialprobleme steilen.

Mehr Bedeutung als bisher erhält die Arbeit in den Ausschüssen des Nationalrates. War es in der Koalition bisher nur möglich, jene Vorlagen zu ändern, die „freibleibend“ — also ohne Bindung — ins Haus kamen, wird jetzt das Spiel von Regierungspartei und Opposition zu einem sachlichen Ringen um die beste Lösung führen. Die Opposition beklagte sich bisher, zu oft niedergestimmt worden zu sein; die Art ihrer Vorschläge ließ vielfach keine andere Möglichkeit zu. Es ist ein Unterschied, ob man Vorschläge einbringt, um niedergestimmt zu werden oder um mögliche Alternativen aufzuzeigen. Mehr als bisher wird man Abgeordnete brauchen, die über Spezialkenntnisse verfügen und sachliche Erörterungen im kleinen Kreis des Ausschusses durchhalten. Damit wird der Stil des Parlaments und der Politik einschneidend verändert. Die Polemik, wer welches Gesetz verhindert oder ermöglicht hat, hat ein Ende gefunden. Politische Maßnahmen müssen sachlich begründet oder sachlich äbgelehnt werden; die Frage nach den Argumenten muß von den Staatsbürgern ständig gestellt werden.

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