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Eduard Benesdi

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Selten ist ein europäischer Staatsmann wie Eduard Benesch durch volle 30 Jahre hindurch auf führenden Posten seines Volkes gestanden; auf allen internationalen Tagun-“ gen, die in so reicher Zahl dem ersten Weltkrieg folgten, war er der Sprecher seines Volkes, fast alle politischen Dokumente jener Zeit tragen seinen Namen. Seine Kenntnisse und Erfahrungen, seine persönlichen Beziehungen und die Routine, die ihn gegenüber den rasch und häufig wechselnden Politikern anderer Länder auszeichnete, haben dem von ihm vertretenen Staat mehr internationales Gewicht gegeben, als ihm durch seine Größe und Volkszahl zukam.

1884 war Eduard Benesch als Sohn eines kleinen Handwerkers in der Pilsner Gegend geboren worden; mit 21 Jahren begann er. mit einem Stipendium der Alliance Franęaise seine Universitätsstudien in Paris und Dijon.

— London, Berlin und die 30 Jahre später von ihm „für ewige Zeiten“ geschlossene Prager deutsche Universität wurden weitere Stationen seiner Studienlaufbahn. 1912 habilitierte sich der junge Professor der Handelsakademie an der Prager tschechischen Univer. sität, aber bald nach Kriegsausbruch folgt er seinem Lehrer Thomas G. Masaryk nach Paris, wo er Generalsekretär des Conseil National des Pays tcheques wird.

Weniger als Masaryk, der die entscheidendsten Jahre seines Lebens in Wien zubrachte, ersah Benesch in dem alten Österreich den natürlich gewachsenen Organismus. . Zwar hatte er noch in seiner Dissertationsarbeit („Le probleme Autrichien et la question Tcheque“) eie Föderalisierung Österreichs gefordert, aber im Weltkrieg verlangt er als Herausgeber der Propagandazeitschrift „La nation tcheque“ die völlige Unabhängigkeit seines Volkes und 1916 läßt er seine bekanntgewordene Kampfschrift unter dem Titel „Detruisez l’Autriche-Hongrie!“ erscheinen.

Die Verwirklichung dieses Zieles trägt ihm nicht nur yden Außenministerposten des neu entstandenen tschechoslowakischen Staates ein

— ein Amt, das er durch fast zwanzig Jahre ununterbrochen einnehmen sollte, für kurze Zeit bekleidete er auch das Amt eines Ministerpräsidenten. Sein Erfolg prädestiniert ihn auch zu einem der tonangebendsten Männer der Völkerbundära. Er liefert in seinen Denkschriften den alliierten und assoziierten Mächten das nur zum Teil, den Tatsachen entsprechende Zahlenmaterial über die Nationalitätenverhältnisse Österreichs, das die Grundlage für den unheilvollen Vertrag . von St.-Germain bilden sollte; er ist der Initiator der Kleinen Entente, Seele der Zusammenarbeit mit Frankreich und schließlich auch mit Rußland.

Parteipolitisch war aus dem Mitarbeiter der Partei Masaryks, der Realisten, der Führer der tschechischen Nationalsozialisten, einer national-marxistischen Partei, geworden, der erst am Tag vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten aus dieser Partei austrat. Diese Wahl stand allerdings schon unter keinem ganz glücklichen Stern mehr und erst nachdem man die Zustimmung des zögernden Slowakenführers Hlinka gewonnen hatte, war seine Kandidatur gesichert. Eine Million deutscher Stimmen repräsentierten bei dieser Wahl die sudetendeutschen Abgeordneten, die damals ihre Stimmen für Benesch ab- gaben. Das reichverzweigte Bündnis- und Paktsystem, das er bereits als Außenminister aufgebaut, hatte die unmittelbaren Nachbarn außer acht gelassen. Das Verhältnis zu Deutschland, Ungarn und Polen war fast ständig gespannt, zu Österreich war es leidlich. Zu den Deutschen des eigenen Staates fand er wenig gute Beziehungen; die auf eine großzügige Verständigung abzielende Politik des Ministerpräsidenten Dr. Hodža, den er als Rivalen fürchtete, behinderte er. Immer von der Furcht vor einer Restauration der Habsburger besessen, machte er kein Hehl, daß ihm der Anschluß Österreichs an Deutschland als erträglich erscheine. Indirekt wurde er so ein Wegbereiter für Hitlers Pläne. Der nächste Schritt Hitlers zertrat dann seinen Staat, der ebenso ein Völkermosaik war wie das von ihm aus diesem Titel bekämpfte Österreich. Er dankte ab und verließ zwei Wochen

„Ruf der Jugend”. In dem Gedicht, dos wir unter diesem Titel in der Nr. 9 vom 28. Februar, Seite 3, veröffentlichten, ist durch ein technisches Versehen die Satzzeile mit dem Autor verwechselt worden. Das Gedicht stammt, nicht von Josef Rud. Woworsky, Graz, sondern von Waltraut Oberleitner, Haideia- hofen.

später, wenige Tage vor dem 20. Gründungstag der Tsdiedioslowakei, zum zweitenmal seine Heimat. War während der ersten Emigration Paris und später Amerika das Hauptwirkungsfeld der tschechischen Exilpolitiker, so war es diesmal zunächst London, später Moskau. Von hier kehrte er an der Spitze der von ihm gebildeten Regierung über Kaschau, den ersten tschechischen Regierungssitz im eigenen Lande, am 16. Mai 1945 nach Prag zurück, um sich von der provisorischen Nationalversammlung als Staatspräsident bestätigen zu lassen; gleichzeitig erhielt er weitgehende, beinahe diktatorische Vollmachten, die ihn zur Erlassung seiner Dekrete über die Bodenreform, die Industrieverstaatlichung, die Deutschen aus Weisung und ähnliche, das Staats- und Volksgefüge grundlegend umgestaltende Maßnahmen ermächtigten.

Und doch war der Höhepunkt der Laufbahn des 60jähr!gen bereits überschritten: er hatte sein Volk zu Extremen geführt, für die es nun keine Steigerungen mehr gab, außer in dem — Heute. Seine mahnenden Botschaften verloren allmählich an Widerhall. Nun, da viele die einstige ausgleichende Rolle der Donaumonarchie anerkennen, werden auch die Fehler seiner ersten gefeierten poli tischen Tat, der Zertrümmerung dieses Raches, deutlich. Er, der im Herbst 1938 seinem Nachfolger Dr. Hächa ein von niemandem erwartetes, herzlich gehaltenes Glückwunschschreiben gesandt hatte, hat sieben Jahre später dessen Mitarbeiter hinrichten lassen. Heute, beim „Übergang von einer nationalen Revolution in die andere“ muß er seine eigenen politischen Freunde aus der Zeit der Emigration und der dritten Republik preisgeben. Welch ein Sturz. Ein zweiter Hächa, sitzt Eduard Benesch auf dem Präsidentschaf tsstuhl der Republik. Und doch kein zweiter, denn der erste Hächa hatte nicht die Situation vorbereitet, deren Gefangener er später war.

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