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Eichmann in Ungarn

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Der vor seinem Abschluß stehende Eichmann-Prozeß wurde in der Presse der ungarischen Volksdemokratie nur sehr spärlich behandelt, obwohl die Rolle des Angeklagten bei der Vernichtung eines Großteils der ungarischen Juden im Jahre 1944 während des Prozesses ausführlich behandelt wurde. In den Zeitungen der Ostblockstaaten wurde jedoch die Regierung von Israel wegen ihrer angeblich einseitig prowestlichen Haltung auch im Zusammenhang mit dem Eichmann- Prozeß wiederholt stark kritisiert. Diese Einstellung der Kommunisten, ferner ihre bekannte Abneigung gegenüber jeder zeitgeschichtlichen Forschung führte dazu, daß auch der Eichmann-Prozeß vorüberging, ohne daß man etwa in Ungarn versucht hätte, mit Hilfe der Wissenschaft zur Erhellung dieses traurigen Kapitels der jüngsten Geschichte beizutragen und die Öffentlichkeit entsprechend aufzuklären. Vielleicht die einzige Ausnahme bildet eine Aktenpublikation von Ilona Benoschofsky und Elek Karsai, deren erste zwei Bände unter dem Sammeltitel „Dokumente zur Geschichte der Judenverfolgung in Ungarn“ in letzter Zeit im Verlag der Landesvertretung der ungarischen Israeliten mit Unterstützung der Conference on Jewish Material Claims Against Germany erschienen sind. Der folgende Bericht geht auf das authentische Aktenmaterial dieser Publikation zurück.

Am 17. März 1944 teilte Hitler dem Reichsverweser Ungarns, Nikolaus Horthy, mit, daß er Ungarn militärisch besetzen werde Den diesbezüglichen Befehl habe er bereits erteilt. Er schilderte die katastrophale Lage, in die Deutschland infolge des „italienischen Verrates“ geraten sei. Er fühle sich dem deutschen Volk gegenüber verpflichtet, behauptete er, ein bevorstehendes Hinüberwechseln Ungarns in das feindliche Lager zu verhindern. Er könne nicht noch einen Verrat hinter seinem Rücken zulassen.

Horthy widersprach, es half jedoch nichts. Der Reichsverweser zog sich daraufhin zurück und betrachtete sich, nach seiner späteren Schilderung, als Gefangener. Hitler ließ anfragen, ob Horthy und sein Gefolge die Einladung zum Mittagessen annehmen. Es sei für 24 Personen gedeckt.

Horthy nahm an. Während der darauffolgenden Diskussion warf Hitler Ungarn unter anderem auch Passivität gegenüber den Juden vor.

Nach seiner Rückkehr berichtete Horthy dem Kronrat. Der Innenminister meldete, daß die deutsche Gestapo bereits überall die Polizeigewalt übernehme und Verhaftungen durchführte. Die Regierung trat dann mit sofortiger Wirkung zurück.

Die ungarische Polizei hat den Vertretern der Kultusgemeinde, die sich ratsuchend an die Behörden gewandt haben, am 20. März kurz mitgeteilt: „Was die Deutschen wünschen, muß man erfüllen.“ Es war um 9.30 Uhr. Im Sitz der ungarischen Judenschaft in der Budapester Sip-utca waren die führenden Persönlichkeiten der ungarischen Judenschaft versammelt. Zwei Gestapo-Offiziere, die Maschinenpistolen geschultert, traten herein. „Guten Morgen", grüßten und salutierten sie. Die Anwesenden standen auf. Dann setzten sich alle. Die Deutschen verlangten nach Stenographen und begannen, ihre Befehle zu diktieren ...

Sie benahmen sich durchweg höflich. Den Vorsitzenden sprachen sie mit „Herr Hofrat“ an. Sie betonten, daß „niemandem etwas passieren kann, nur weil er Jude ist“. Als einer der Offiziere, Hauptsturmbannführer Wisliceny, seinen Vortrag beendet hatte, wurde er mit Fragen geradezu überhäuft, wie wenn es sich um einen Vortragsabend in einer Volkshochschule gehandelt hätte. , . , ■

Eine Antrittsrede

Das Sonderkommando Eichmann wohnte zunächst im Hotel Astoria. Sie waren aber unzufrieden und erkundigten sich nach einem anderen Ort, wo es im Sommer grün sei und wo man auch ein wenig singen könne. Sie übersiedelten daher auf den Schwabenberg. Die im dortigen Sanatorium wohnenden Juden ließen sie in das erste provisorische Konzentrationslager abtransportieren. Einer der Offiziere ließ sich ein Klavier holen und spielte von da an immerfort Chopin. Am 31. März um 9.30 Uhr kam es zur ersten Begegnung zwischen Obersturmbannführer Eichmann und den Leitern des neu aufgestellten Jüdischen Rates. Eichmann hielt eine Rede, in der er zunächst über den Judenstern sprach. Die Judensterne müssen vom 5. April an getragen werden, sagte er. Er schlug vor, daß der jüdische Rat schleunigst mit einer Fabrik in Verbindung trete. Die gelben Sterne müssen im ganzen Land nach! einheitlicher Form fabriksmäßig hergestellt sein. Seiner Meinung nach werden dazu 70.000 Meter Stoff erforderlich sein. Er schlug ferner vor. der Jüdische Rat solle für die Judensterne drei Pengö pro Stück einheben. Für kinderreiche, arme Familien sollen die Reichen zahlen.

Eichmann ging dann ausführlich auf zahlreiche organisatorische Fragen ein und gab Ratschläge, wie sich der Jüdische Rat konstituieren sollte. Er selbst interessiere sich sehr für historische Erinnerungen des Judentums und für die Bibliothek. Er sagte die baldige Besichtigung des jüdischen Museums und der Bibliotheken zu. Stiftungen mit Gebet für das Seelenheil der Verstorbenen sollten annulliert werden, denn „das hat doch keinen Sinn".

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