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Ein aussichtsloses Gespräch

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Der vierundzwanzigköpfige UNO- Ausschuß für unselbständige Gebiete beschäftigte sich während etwa vier Wochen mit Gibraltar, der briti schen Kronkolonie auf spanischem Boden. Nachdem die Vertreter Spaniens, Großbritanniens, der Bevölkerung von Gibraltar und derjenigen des spanischen Vorfelds von Gibraltar angehört worden waren, fällte die Kommission ihren Spruch. Sie kam zu der Ansicht, daß der Entkolonialisierungsbeschluß der UNO auf Gibraltar anzuwenden sei, und lud Spanien wie England ein, unverzüglich Besprechungen aufzunehmen, um die sich daraus ergebenden Maßnahmen zu treffen. Die Wünsche der Bevölkerung von Gibraltar seien dabei zu berücksichtigen. Spanien erklärte sich von diesem Beschluß mit Recht als befriedigt. Denn sein von London bestrittenes Mitspracherecht bei der Entkolonialisierung Gibraltars ist anerkannt, seinem Wunsch nach bilateralen Verhandlungen mit England entsprochen worden. Großbritannien fühlt sich aber durch den Entscheid, der nur den Charakter einer Empfehlung hat, nicht gebunden. Der Vierundzwanzigerausschuß habe sich nicht in eine Angelegenheit zu mengen, die die britische Souveränität berührt. Besprechungen zur Verbesserung der Beziehungen zu Spanien zu führen, sei London jedoch jederzeit gewillt. Der britische und der spanische Standpunkt sind also einander noch ebenso entgegengesetzt wie vor Beginn der UNO-Debatte. Eine Beilegung des Streits scheint nach dem Triumph der Labour Party, deren Führer Wilson ein erklärter Feind des „faschistischen Spaniens“ ist, erst recht ausgeschlossen.

Eigentlich österreichisch!

Die Auseinandersetzung um Gibraltar begann vor 260 Jahren, im spanischen Erbfolgekrieg (1700 bis 1714). Eine Koalition unter österreichisch-britischer Führung kämpfte für die Anerkennung der Thronansprüche des österreichischen Erzherzogs Karl gegen Frankreich, das einen Bourbonenprinzen zum spanischen König machen wollte. 1704 landete eine britisch-holländische Flotte vor Gibraltar und nahm dieses für den Österreicher in Besitz. Die Zivilbevölkerung floh vor der plündernden Truppe, deutschen Söldnern, ins benachbarte San Ro- que. Ihre Nachfahren leben noch heute dort und behaupten, die einzig legitimen Gibraltaresen zu sein.

1714 schloß der Krieg mit dem Triumph der französischen Thron- aspirationen. Dennoch behielt England Gibraltar und ließ sich die Felsenfestung im Utrechter Vertrag (1714) als Flottenstützpunkt und Kolonie von Spanien abtreten. Ausdrücklich aber wurde festgehalten, daß bei einer Veränderung des Status von Gibraltar Spanien konsultiert werden müsse. Sollte sich England Gibraltars entäußern wollen, habe Madrid Prioritätsansprüche.

Diese Ansprüche macht Spanien nun geltend, denn England ist im Begriff, die rechtliche Struktur Gibraltars zu verändern. Im Sinn der Entkolonialisierung soll die Festungsstadt interne Autonomie erhalten, die sie zu einem beachtlichen Teil schon genießt. So werden die obersten Magistraten nicht mehr vom Gouverneur ernannt, sondern von der Bevölkerung gewählt. Der „starke Mann“ Gibraltars ist nicht mehr ein Kolonialbeamter, sondern ein „native“, der Gibraltarese Sir Josuah Hassan. Er aber vertritt zwar die Autonomieansprüche seiner Landsleute, zugleich aber die enge Verbindung Gibraltars mit Großbritannien. Sein Wahlspruch: „British we are, British we stay“ ist auch derjenige der gesamten Bevölkerung. Von einem Anschluß an Spanien will tatsächlich niemand in Gibraltar etwas wissen. Die Lage scfttfnt-äläö klanii-Eö’ndöW1 etttkölb’-i’ niälisiert und berücksichtigt zugleich den Wunsch der ansässigen Bevölkerung nach Eingliederung ins Commonwealth. Die UNO hat keinen Grund einzugreifen.

Verträge müssen erfüllt werden

Spanien sieht den Fall anders. Gemäß dem Utrechter Vertrag kann London Gibraltar nur nach Befragung Spaniens ein neues Statut verleihen. Schafft es ein autonomes Gibraltar, so verletzt es die Utrechter Bestimmungen, bleibt Gibraltar Kolonie, so verstößt England gegen die UNO-Charta. Daher gibt es nur eine Lösung: Gibraltar an Spanien zurückgeben. Großbritanniens militärische Belange würden dabei gewahrt, da Madrid bereit ist, den Briten in Gibraltar einen Flottenstützpunkt einzuräumen. Auch die Gibraltaresen brauchen nicht besorgt zu sein: Ihren legitimen wirtschaftlichen Interessen würde Rechnung getragen werden. Uber eine Freihandelszone ließe also Madrid mit sich sprechen, den Schmuggel, Gibraltars bisherige Haupteinnahmequelle, gedenkt es zu unterbinden.

Was aber könnten die Gibraltaresen sich Besseres wünschen als in das „Kalifornien Europas“, in die Costa del Sol (zwischen Malaga und Algeciras) integriert zu werden, meint Spaniens UNO-Delegierter. Da blüht das Geschäft, und Gibraltar würde durch den Anschluß an Spanien einen ungeahnten Aufschwung nehmen. Wolle es aber von seinem Glück nichts wissen, müsse Madrid überlegen, ob es den Gibraltaresen weiterhin die Einreise nach Spanien gestatten könne. 18.000 Menschen säßen dann in einer Mausefalle von fünf Quadratkilometer Größe — keine beneidenswerte Existenz. Auch den 10.000 spanischen Arbeitern, die alltäglich nach Gibraltar fahren, um dort die Geschäfte der Briten zu erledigen, könnte man die Ausreiseerlaubnis entziehen. Gibraltar, was dann? Woher Arbeiter nehmen, wo sie auf dem überbevölkerten Territorium von Gibraltar unterbringen? Nein, Sir Josuah, besser ist es, sich mit uns Spaniern zu verständigen.

Aber Sir Josuah ist hartnäckig. Als waschechter Brite (marokkanisch-jüdischer Abstammung) und erst recht als Gatte einer Andalu-

sierin kann er die Spanier nicht ausstehen. 18.000 Gibraltaresen leiden an der gleichen antispanischen Allergie und scheinen unheilbar zu sein. „British we are, British we stay“, beteuern sie, und Madrids Diplomaten können mit Engelszungen reden, sie werden Sir Josuah und die Seinen nicht von ihrer Meinung abbringen.

Die britisch-spanischen Besprechungen, zu denen die UNO-Kom-

mission rät, sind also ein totgeborenes Kind. Nun, auch das hat seinen Vorteil für Madrid. Der Vierundzwanzigerausschuß empfahl nämlich eben die Entkolonialisierung spanischer Gebiete in Afrika: Ifnis, das marokkanische Truppen z. T. schon vor Jahren besetzten, der spanischen Sahara und Fernande Poos sowie Rio Munis, denen Madrid bereits am 1. Jänner 1964 die interne Autonomie gewährte. Wei gert sich England, Gibraltar herauszurücken, braucht Madrid in Afrika nicht nachzugeben. Muß es aber seine afrikanischen Besitzungen entkolonialisieren, ist seinem im Utrechter Vertrag verbrieften Anspruch auf Gibraltar Rechnung zu tragen. Gelänge dies, so könnte General Franco den größten außenpolitischen Erfolg für sich buchen, den ein spanischer Staatsmann seit 260 Jahren errungen hat.

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