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Ein Blick in die Geschichte

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Die Reformation beseitigte schon ein Jahrhundert später all dies radikaler und vollständiger als irgendwo anders in der Welt. Erst 1783 wurde es Ausländern erlaubt, katholische Gottesdienste abzuhalten, erst allmählich erhielten auch schwedische Bürger diese Erlaubnis, die jedoch noch lange Zeit kein Recht war. 1837 erbaute die Gemahlin Oscars I. in Stockholm die erste katholische Kirche und leitete damit eine Entwicklung zu einer größeren religiösen Toleranz ein. Aber auch unter dieser katholischen Königin war die katholische Kirche nur toleriert, die gesetzlich zugesicherte Freiheit der Betätigung erhielt sie erst durch das Religionsfreiheitsgesetz im Jahre 1952. Wer weiß in Mitteleuropa, daß bis zu diesem Zeitpunkt die katholische Kirche in Schweden eigentlich „unterirdisch“ und ohne gesetzlichen Schutz arbeitete? Bis zu diesem Zeitpunkt durfte ein Katholik kein höheres Staatsamt bekleiden, er durfte nicht Minister, ja nicht einmal Lehrer werden. Dagegen ermöglichte man es katholischen Kindern, den von ihnen gewünschten Religionsunterricht zu besuchen, sofern sich ein katholischer Priester als Lehrer zur Verfügung stellte. Doch diese Kinder stellten sich gegen das allgemeine Verhalten, und dies konnte auch unerwünschte Folgen haben.

Von den acht Millionen Bewohnern Schwedens dürften etwa 50.000 Katholiken sein, also nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung, und diese Katholiken stammen aus 20 verschiedenen Nationen. Es sind Zum Großteil Flüchtlinge und Einwanderer aus dem Sudetenland, aus Polen, Ungarn, Italien, Jugoslawier und Österreich. Ihre kirchliche Betreuung ist unvorstellbar schwer Daraus folgt wiederum, daß die wirklich aktiven Katholiken, Priester sowohl' wie helfende Laien große persönliche Opfer bringer müssen, die der Bewunderung un.

der Hochachtung auch derer wert sind, die außerhalb dieser Glaubensgemeinschaft stehen. Einzelheiten, die in der letzten Zeit bekannt. geworden sind, haben auch zahlreiche protestantische Schweden fragen lassen, warum doch so ein wohlhabendes Land eine christliche Kirche in solcher Armut arbeiten lassen kann? Es ist unverkennbar, daß sich hier ein Umschwung im Verhalten gegenüber der katholischen Kirche anbahnt: Gemeinden und Privatunternehmen beginnen zu begreifen, daß man an den Katholiken ein Versäumnis gutzumachen hat.

Das Beispiel von Lidköping

In Skaraborgslän, einem Verwaltungsbezirk zwischen den Seen Vänern und Vattern, wohnen etwa 250.000 Menschen, weniger als tausend von ihnen sind Katholiken. Das Gebiet ist viermal so groß Wie das Saargebiet und erhielt im Jahre 1963 einen katholischen Priester als Betreuer. Nach vieler Mühe konnte man einen Kellerraum als Kapelle einrichten. Ein zweiter Kellerraum diente als Unterrichtsraum und als Jugendheim, ein drittes kleines Kellengewölbe aber war die „Wohnung“ des Pfarrers, die kein schwedisches Sozialamt als annehmbar bezeichnet hätte! Erst 1965 gelang es, ein kleines Wohnhaus zu kaufen, das nun als Kapelle dient und auch ermöglichte, einen zweiten Seelsorger nach Lidköping kommen zu lassen. Das große Gebiet wird nun von zwei Priestern betreut, die auch den Unterricht in den weit auseinanderliegenden Städten Skövde, Marie- stad, Hjo und Nossebro zu besorgen haben. Doch welche Mühen erfordert das im nordischen Winter!

In Falun, bekannt durch seine alten Kupfergruben, lebten etwa 200 Katholiken, eine beträchtliche Anzahl für schwedische Verhältnisse. Der Priester, der 1966 dorthin entsandt wurde, sollte das gesamte Gebiet von Dalarna betreuen, das weit größer ist als Skaraborgslän und durch schwere Verkehrsprobleme ausgezeichnet ist. Pater Vilnishatte nichts als ein Häuschen zur Verfügung, das kaum beheizt werden konnte und als abbruchreif bezeichnet worden war. Endlich fand man einen Raum, dessen Instandsetzung jedoch 14.000 Kronen kostete, für die kleine arme Gemeinde, die viele, eingewanderte Arbeiter zählt, ein unerschwinglicher Betrag. Trotzdem hat man dort heute eine kleine Kapelle und einen Seelsorger, für ein Gebiet so groß wie ganz Hessen! Wer sich in die Armut der alten Apostelkirche zurückdenken will, der muß nach Schweden gehen!

In Kellerräumen, aufgelassenen Materialschuppen, in Wohnstuben und in Sitzungszimmern von Gewerkschaftshäusern, bauen die Priester von Zeit zu Zeit ihre Altäre auf, verstohlen und oft mißtrauisch beobachtet von ihren schwedischen Mitbürgern, denen das in einigen Zeitungen gedankenlos hingeworfene Wort von einer „päpstlichen Invasion“ kalte Schauer über den Rücken laufen läßt: „Sendboten des

Papstes im Norden“, unter diesem Titel meldete eine der größten Zeitungen des Nordens die Ankunft zweier katholischer Geistlicher in Lappland, Zweier Geistlicher für einen Raum von 154.000 Quadratkilometer und einer Bevölkerung von 500.000 Menschen! Um die Größen- und Arbeitsverhältnisse richtig verstehen zu können, ist es notwendig, sich daran zu erinnern, daß auf den 249.000 Quadratkilometern Westdeutschlands 55 Millionen Menschen leben. In der Zeit vorher hatte ein Priester von Sundsvall aus ein 212.000 Quadratkilometer großes Gebiet zu betreuen gehabt, also einen Raum, der nicht viel kleiner als die Bundesrepublik ist!

Vorurteile hindern die Entwicklung

Diese beengten und ärmlichen Verhältnisse verhindern auch das Ausbreiten des Katholizismus unter der schwedischen Bevölkerung. Der kühle und Distanz haltende Schwede scheut die Berührung mit religiösen Gruppen, die in Privaträumen oder unansehnlichen Lokalen anderer Art zusammenkommen, wie er auch im gewöhnlichen Leben die Berührung mit ihm fremden Personen oder Gruppenbildungen scheut. Die katholische Diaspora im Norden kämpft deshalb gegen eine Vielzahl von widrigen Umständen.

Anderseits übt die katholische Glaubenslehre auf vergleichsweise viele schwedische Intellektuelle edne gewisse Verlockung aus, die zum Teil auf eine weit verbreitete Unzufriedenheit und Enttäuschung mit der protestantischen Staatskirche zurückzuführen sein mag. Unter den Konvertiten befinden sich auffallend viele Schriftsteller, Schauspieler und Künstler. Sogar das Klosterwesen erscheint vielen Schweden wieder interessant, und 1961 stimmte die Regierung zum erstenmal seit den Religionskriegen wieder der Gründung eines Klosters der Karmelitinnen aus Belgien zu. Das Kloster wurde in Garntofta bei Hälsingborg errichtet. Auch hier gibt es noch einige einschränkende Bestimmungen: Das Gelübde darf nicht vor dem 25. Lebensjahr von den Schwestern abgelegt werden und die Mehrheit der Schwestern muß aus schwedischen Štaatihtirg'ėt'ri bestehen.'

Auf längere Sicht gesehen, möchte man der katholischen Kirche in Schweden bessere Entwicklungsmöglichkeiten voraussagen. Sie wird sich bemühen müssen, noch vorhandene Vorurteile zu beseitigen; im Zeichen der weltweiten Einigungsbestrebungen der christlichen Kirchen sollte ihr das gelingen. Die Errichtung einer eigenen selbständigen Diözese, die in absehbarer Zeit wohl auch eine eigene neue Kirche in Stockholm haben wird, wird ihr zweifellos eine breitere Grundlage geben. Zur Zeit aber arbeitet sie noch unter den harten Bedingungen der Diaspora, die ohne die Hilfe von außen nicht bestehen kann!

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