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Ein Denkmal des Merkantilismus

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Im Jahre 1672 erhielt der Linzer Bürger Christian Sind für die von ihm neue eingerichtete Wollzeugfabrik von Kaiser Leopold I. ein Privileg. Einen richtigen Aufschwung und eine bedeutende Vergrößerung erfährt das Unternehmen erst unter der Führung durch die 1719 gegründete orientalische Kompanie; damals wurde auch das uns interessierende Hauptgebäude errichtet. Da jedoch die orientalische Kompanie zugrunde ging und sich keine geeigneten Käufer fanden, wurde das Unternehmen unter der Regierung Maria Theresias 1754 in den Staatsbesitz übernommen und bis zu seiner 1850 erfolgten Auflassung als ärarischer Regiebetrieb geführt.

Mehr als die äußere Geschichte Interessieren uns die Motive, die zu seiner Gründung geführt haben und die folglich auch für die jeweilige Betriebsführung maßgebend gewesen sind.

Die Linzer Fabrik ist ein Denkmal für die praktischen Auswirkungen der ersten abendländischen Volkswirtschaftslehre, nämlich des Merkantilismus, und zwar in der besonderen österreichischen Form, wie sie von dem damals am Hofe Leopolds I. wirkenden Dreigestirn, Becher (1635 bis 1682), Hörnigfc (1640 bis 1714) und Schröder (1640 bis 1688), vertreten wurde; damit zugleich aber auch für eine zielbewußte staatliche Wirtschaftspolitik ihn modernen Sinne, die es bis dahin nicht gegeben hat.

Diese Wirtschaftspolitik ist ihrerseits wiederum eng mit der Entwicklung und Ausprägung eines die gesamte Monarchie des Hauses Habsburg umfassenden Staatsgedankens, der nun nicht mehr so wie bisher bloß aus der Treue zum Herrscherhaus, sondern rational begründet ist, verbunden. Die Fabrik ist somit ein Denkmal im Geiste des berühmten von Hörndgk verfaßten, 1684 anonym erschienenen Werkes „Österreich über alles, wann es nur will'.'.

Diese neue staatliche Wirtschaftspolitik war vor allem bemüht, bisher in Österreich noch nicht vorhandene Produktionszweige wie eben die Wollzeugfabrikation einzuführen; auch späterhin wurden mit der 1795/96 aufgenommenen Erzeugung feiner Tuche und Teppiche niederländischer Art die gleichen Ziele verfolgt. Besaß die Fabrik ursprünglich wohl bestimmte Erzeu-gungs- wie auch Absatzprivilegien, so stand sie seit 1746 einer vollkommen freien Konkurrenz gegenüber.

Seitdem das Unternehmen als staatlicher Regiebetrieb geführt wurde, hat man ihm die Aufgabe einer Lehr- und Musteranstalt für die Entwicklung der gesamten österreichischen Textilfabrikation gestellt. Die Fabrik hat tatsächlich in selbstloser Weise die Kräfte für die im Lande wirkenden privaten Unternehmungen ausgebildet, so daß sie gewissermaßen als „Mutter“ vieler bedeutender oberösterreichischer Firmen wie Helm, Dierzer und Hafferl betrachtet werden kann; ja, sie erlag schließlich der von ihr selbst herangezogenen Konkurrenz, weil ihr der Staat nicht mehr die Mittel zur notwendigen Modernisierung gewährte.

Langhin bildete die Versorgung des Marktes der ganzen Monarchie mit billiger, für das einfache Volk erschwingbarer Ware eine als notwendig und wichtig angesehene volkswirtschaftliche Aufgabe des Unternehmens. Es ist ihm tatsächlich gelungen, über das erbländische deutsche Österreich hinaus vor allem Ungarn, Siebenbürgen und Kroatien zu beliefern; damit wurde also ein Beitrag zu der angestrebten Wirtschaftsautarkie geleistet. Umgekehrt hat man selbstverstänlich auch zu exportieren getrachtet, wobei man vor allem in der Türkei, Polen und Rußland gewisse Erfolge aufzuweisen hatte. Die seit 1795 erzeugte Luxusware an Teppichen und feinen Tuchen wurde nicht allein vom österreichischen Hof bevorzugt. Schließlich aber ist die Fabrik der größte ärarische Betrieb Österreichs gewesen, weshalb auch im Rahmen ihrer Entwicklungsgeschichte alle die auch damals schon sehr auseinandergehenden Auffassungen über die Vor- und Nachteile und die volkswirtschaftliche Notwendigkeit eines Staatsbetriebes genauestens feststellbar sind. Die immerhin verhältnismäßig lange anhaltende Blütezeit, ja der mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts begonnene Existenzkampf beweisen die Rieh' tigkeit der von Maria Theresia getroffenen Entscheidung.

In engem Zusammenhang mit den dem Unternehmen zugewiesenen Staats- beziehungsweise volkswirtschaftlichen Aufgaben steht auch die mit seiner Betriebsführung verbundene Sozialpolitik. Das zeigt sich bereits bei der Gründung im Jahre 1672, als die vom Landesfürsten als Begutachter aufgeforderten Landstände, mit Rücksicht auf die damals herrschende Arbeitslosigkeit, aus Gründen der Arbeitsbeschaffung für das Unternehmen eintraten. Infolge der wachsenden Größe der von der Fabrik beschäftigten Arbeitskräfte hat es endlich die Funktion eines weit über Oberösterreich hinausreichenden Arbeitsplatzes übernommen.

Folgende typische Besonderheiten der Linzer Fabrik sind noch eigens anzuführen:

Zunächst gebührt ihr ein geschichtlicher Vorrang, denn es handelt sich hier um das älteste österreichische Beispiel einer eigens vom Landesfürsten privilegierten Fabrik. Der heute mehr von der Betriebsgröße und maschinellen Einrichtung her geprägte Begriff einer „Fabrik“ entwickelte sich damals zunächst nur aus der rechtlichen, von den Beschränkungen der zünftischen Gewerbe befreiten Stellung des Unternehmens, wobei allerdings auf die volkswirtschaftliche Bedeutung geachtet wurde. Die Linzer Fabrik ist zudem eines der ganz wenigen zur Zeit des Merkantilismus gegründeten Unternehmen, das sich erfolgreich fast 180 Jahre behauptet hat, während die meisten anderen schon sehr bald wieder zugrunde gegangen sind.

Weiter steht die Linzer Fabrik hinsichtlich ihrer Größe und der Anzahl der von ihr beschäftigten Personen eindeutig in der europäischen Spitzenklasse des Typus der Textil-manufakturen. Im Jahre 1762 zählte man insgesamt 48.000 Beschäftigte. Dabei muß man allerdings die Organisationsform einer Manufaktur dm Auge behalten, bei der nur einige wenige Arbeitsgänge, vor allem die Appretur, in den eigenen Werkstätten des Unternehmens, die immerhin in der Zeit seiner größten Ausdehnung ein Gesamtareal von 26.000 Quadratmeter bedeckten, durchgeführt wurden; hier waren meist nur 500 bis 1000 Personen tätig. Alle anderen aber waren Heimarbeiter oder selbständige Meister; die größte Anzahl dieser Gruppen waren die Spinner, deren damals allein 46.000 gezählt wurden. Für die Gewinnung einer so großen Menge von Arbeitskräften reichte Oberösterreich gar nicht aus, man mußte deshalb durch die Faktoren auch noch in den benachbarten Ländern, besonders in Böhmen (10.000), Spinnerleute anwerben.

Aber selbst wenn man nur die eigentlichen Fabriksarbeiter in Betracht zieht, muß, verglichen mit den englischen und französischen Unternehmungen jener Zeit, die Linzer Fabrik immer noch unter die weitaus größten Anlagen gezählt werden. Die internationale Bedeutung der Produktion beziehungsweise die Auswirkung der erteilten Schutzprivilegien gegen die ausländische Konkurrenz ist aus einem historischen Detail zu erkennen: die englischen Gesandten am Kaiserhof in den Jahren 1703 bis 1749 protestierten auf Grund von Interpellationen des englischen Parlamentes sowie auf Betreiben englischer Kaufleute mehrfach wegen Behinderung des Absatzes englischer Waren.

Übereinstimmend bezeichnen daher die Landesbeschreibungen und die ökonomischen Fachschriftsteller der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Linzer Fabrik als in Europa einzig dastehend. Dieses Urteil bezieht sich auch auf die Werksanlagen, vor allem auf das Hauptgebäude (eben die Fabrikskaserne), denn dieses stellt einen der ältesten und vor allem den damals größten eigentlichen Fabriksbau in Österreich dar; die meisten frühindustriellen Unternehmungen Österreichs wurden in ehemaligen Schloßbauten, dann in aufgehobenen Klöstern untergebracht; auch der künstlerische Wert des Gebäudes wurde von den Zeitgenossen erkannt, man nannte es „Palast“. Tatsächlich hat der Erbauer Johann Michael Prunner — der übrigens zu den bedeutendsten österreichischen Barockmeistern zu zählen ist — den Schloßstil weitgehend übernommen.

War die Leistung der Fabrik langhin auf volkswirtschaftliche und sozialpolitische Ziele hin ausgerichtet gewesen, so wurde es in seiner Endphase mit der Tuch- und Teppichfabrikation ein kunstgewerblicher Betrieb, der das Ansehen Österreichs auch in dieser Beziehung international festigte und verbreitete. Das darf niemanden wundern, denn damals stand der spätere Direktor der Augarten-Porzellan-Manufaktur, Sörgel von Sorgenthal, an der Spitae des Linzer Unternehmens und ließ sich dort die künstlerischen Musterentwürfe besorgen.

Endlich ist die Linzer Fabrik auch ein hochinteressantes Beispiel für den historischen Sinn der damaligen Industriellen. Man hat nämlich auf dem inmitten des Hauptgebäudes befindlichen, im letzten Krieg leider ganz zerstörten Werkturm Inschriften angebracht, die auf die wichtigsten Entwicklungsphasen des Unternehmens hingewiesen haben. Und ebenso interessant ist es, daß einer der Söhne des Gründers — der übrigens den ihm vom Kaiser angetragenen Adel abgelehnt hat und sich mit einem Wappenbrief begnügte — der erste Stadtgeschichtsschreiber und höchst verdienter Registrator gewesen ist,

Sollten wir einen solchen, mit Tradition verbundenen, Unternehmergeist heute bei all den maßgebenden Schichten, die einst für die Größe dieses Werkes verantwortlich gewesen sind und heute die kulturellen Erben sein sollten, völlig vermissen müssen?

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