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Ein Diplomat erlebt Österreichs Schicksal

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Ia den Editions de la Baionniere, Neu-chätel, ist kürzlich der erste Band der Erinnerungen des österreichischen Diplomaten Dr. Lothar Wimmer erschienen, in mehr als einer Hinsicht aufsdilußreichi, wertvolle Aufzeichnungen; sie geben wichtige Auskünfte über die geschichtlichen Kapitel, die dem Überfall Hitlers auf Österreich vorausgehen. So auch über die Verhandlungen, die Dr. Lothar Wimmer und der 1938 in Dachau in den Tod getriebene Sektionschef Dr. Hecht mit dem Foreign Office zu führen hatten. Es ging damals um die Stärkung der österreichischen Wehrkraft. Engelbert D o 11 f u ß und seine Gesinnungsfreunde hatten die von Hitlers Machtergreifung für die Unabhängigkeit Österreichs heranziehende Gefahr frühzeitig erkannt und sofort begonnen, sich furchtlos gegen die gewalttätige Expansion des nationalsozialistischen Deutschlands zu stemmen. Schon im Sommer 1933 wandte sich Dollfuß an England, die im Völkerbund führende Weltmacht, und warb um die Zustimmung der englischen Regierung zu eiher Verstärkung der Exekutivkräfte der österreichischen Regierung, also um eine Änderung der Bestimmungen des- Friedensvertrages von St. Germain. Trotz der sichtlichen Dringlichkeit gestalteten sich die Verhandlungen langwierig. Vergeblich sahen sich die Unterhändler um Unterstützung um. Zunächst mußte sich der Blick auf die ebenso bedrohten Nachbarstaaten richten. Bedauerlich war, wie der Verfasser hervorhebt, daß — trotz der Einsicht, die insbesondere der tschechische Gesandte Jan M a s a r y k zeigte, mit dem die österreichischen Diplomaten ausgezeichnete persönliche Beziehungen unterhielten — infolge der Schwerfälligkeit der Kleinen Entente von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten war und die Österreicher zufrieden sein mußten, wenn von dort ihnen wenigstens kein Hindernis in den Weg gelegt wurde.

Wochenlang verhandelte man. Die Machtergreifung Hitlers in Deutschland hatte jedoch in der grundsätzlichen Abrüstungspolitik Englands noch keine Änderung hervorgerufen. Die englischen Experten dachten nicht an die Bedürfnisse der Verteidigung eines kleinen Landes, sondern lediglich daran, daß Österreich die im Vertrag von St.-Germain festgelegte Zahl von 3 0.0 00 Soldaten unter keinen Umständen überschreiten und nicht eine Waffe mehr haben dürfe. So stand es auch in der Note des Foreign Office vom 1. September 1933 zu lesen.

Der englische Referent, der kluge und erfahrene M. W i g r a m, bewies seine Weitsicht und förderte verständnisvoll die österreichischen Interessen. so gut er konnte, er vermochte es aber nicht, seine besseren Meinungen durchzusetzen. Wigram starb viel zu früh für England, für Österreich und für die ganze Weh; er gehörte nach Wimmers Zeugnis zu den damals noch nicht zahlreichen Diplomaten, die das Herannahen der furchtbaren Katastrophe sahen. • ■

Während Österreich durch seine Vertragstreue in der Verteidigung gehemmt blieb, erklärte im März 1935 Adolf Hitler den Vertrag von Versailles für nichtig, führte die allgemeine Wehrpflicht ein, kündigte die Luftwaffe an und die Großmächte — begnügten sich -mit formalen Protesten. Im Oktober desselben Jahres griff Italien nach Abessinien. Die Demonstration der englischen Flotte vor Alexandria und der Sanktionsbeschluß des Völkerbundes blieben wirkungslos. Im März des folgenden Jahres annullierte Hitler das Abkommen von Locarno und remilitarisierte das linksrheinische Gebiet. Frankreich nahm es hin Am 17. Juli 1936 brach der spanische Bürgerkrieg aus.

Trotz seiner außenpolitischen Konflikte und der schweren Belastung, welche seine riesige Aufrüstung mit sich brachte, fand das nationalsozialistische Deutschland Zeit und Kraft, das kleine Österreich unter wachsendem Druck zu halten. Lothar Wimmer, der inzwischen Gesandter in Athen geworden war, hatte im Winter 1936/37 ein Gespräch mit dem englischen Gesandten Sir S i d n e y W a-t e r 1 o w, in dem dieser den Österreicher mit der Äußerung überraschte, er, der Engländer, sei für den Anschluß Österreichs an Deutschland, weil dieser im Interesse des Friedens und damit Englands liege! Da Sir Sidney als Freund Österreichs bekannt war, nahm man in Athen an daß er neue Informationen aus dem Foreign Office erhalten habe.

Der interessanten Ruhe des athenischen Postens folgte die Tätigkeit Lothar Wimmers als österreichischer Gesandter in dem lebhafteren Belgrad. Dr. Stojadinovic führte damals die Politik Jugoslawiens. Mit merklicher Betonung sagte er am 16. April 1937 zu dem neuen G?sandten, er begrüße es, wenn zwischen Österreich und dem Deutschen Reich „gute Beziehungen“ bestünden, weil auch Jugoslawien in einem freundschaftlichen Verhältnis zu Deutsdiland stehe. In einer Würd'gung der Persönlichkeit des Premier schreibt Lothar Wimmer: „Die Geschichte, die in dieser Beziehung sehr nachsichtig ist, hätte Stojadinovic ohne Zweifel seine finanzielle Geschicklichkeit verziehen, wenn nicht seine Sympathie für die deutsche Diktatur Jugoslawien auf neue Wege geführt hätte. Die vom Auftreten Deutschlands als neue Großmacht ausgehende Lockerung der alten Bündnisse machte sich, international gesehen, nirgends so rasch bemerkbar wie in dem Beitrag, den hiezu Stojadinovic leistete.“ Ältere Allianzen schmolzen wie Wachs und bei der Zusammenkunft der Ministerpräsidenten der Kleinen Entente im Juli 1937, auf die die Tschechoslowakei, nach dem Zeugnis ihres Ministerpräsidenten Hdd?a, große Hoffnungen gesetzt hatte, zeigte schon Stojadinoviö ungeniert, wie wenig ernst er diese Veranstaltung nahm.

Im Juni 1937 kam der Außenminister Adolf Hitlers, Neurath, nach Belgrad. Er hatte eine Unterredung mit dem österreichischen Gesandten, der darüber ausführliche Berichte an das Auswärtige Amt in Wien schrieb. Darin heißt es unter anderem: „Der Außenminister des Deutschen Reiches äußerte sich sehr ungnädig über die österreichische Regierung und zeigte seine Unzufriedenheit mit der unfreundlichen Behandlung, welche in Österreich die Nationalsozialisten erlitten, jeh bin ein großer Pessimist für die Zukunft', sagte er wörtlich und fuhr fort: ,Der Vertrag vom 11. Juli wird nicht nach dem Ubereinkommen durchgeführt und ich mußte neuerlich Papen zu Schuschnigg schicken, um energische Vorstellungen zu erheben. Außer der Ernennung des Herrn von Glaise hat die österreichische Regierung überhaupt nichts getan.' “ Wenn in Österreich wiederum Unruhen ausbrechen würden, könne er sich nur mit größter Besorgnis die Entwicklung vorstellen, die sich auf deutscher Seite vollziehen würde, drohte Neurath. Als Wimmer das Gespräch auf Jugoslawien brachte, antwortete er wörtlich : „Jugoslawien hat sich unseren Gesichtspunkt fast “zu eigen gemacht und nimmt eine ab-' wartende Haltung ein.“

Von Belgrad fuhr Neurath nach Budapest. Zu dieser Reise habe er, erzählte Neurath dem ungarischen Gesandten in Belgrad, die ausdrückliche Billigung der englischen Regierung durch die Vermitt-

lung ihres Botschafters in Berlin erhalten. Nach der Abreise äußerte Stojadinovic zu Lothar Wimmer, der deutsche Besuch war der Ausdruck der „sehr herzlichen Beziehungen, die zwischen Deutsdiland und Jugoslawien bestehen“. Berlin sei es auch gewesen, das Jugoslawien zu dem neuen Vertrag mit Mussolini angeregt habe. Wimmers Berichte machten den Ballhausplatz wiederholt aufmerksam, daß nicht nur in den Äußerungen Stojadinovid', sondern auch im Kreise der Diplomaten von der „drohenden Gefahr des Anschlusses“ geredet werde. Im-Herbst 1937 wußte der englische Botschafter in Berlin, Sir Neville Henderson — Wimmer zitiert dessen

Buch, Seite 77 —, daß Göring unverhohlen gesagt hatte, Deutschland bestehe absolut auf dem „Ansdiluß“.

Im November 1937 traf Lord Halifax zum Besuch in Berlin ein. Um Wien und Prag zu beschwichtigen, ließ das Foreign Office dort Erklärungen abgeben, die auch der englische Gesandte in Belgrad seinem österreichischen Kollegen mitteilte. Lothar Wimmer bekennt sich zur Auffassung, daß die englische Regierung damals wohl noch nicht zur Preisgabe Österreichs entschlossen war, bemerkt jedoch, daß die tatsächliche Haltung dir englischen Regierung dazu beitrug, die Stellung Österreichs zu erschüttern. Es kommt aber nicht nur auf den Willen an, sondern ebenso auf den Eindruck, den diese Haltung hervorrufen mußte.

Der Eindruck des Berliner Halifax-Besuches war in Belgrad für Österreich überaus schlimm. Lothar Wimmer berichtet am 30. November an den Ballhausplatz:

„Gelegentlich, eines längeren Gespräches hat mir heute, 29. November, Herr Andric (der leitende Beamte des Belgrader Außenamtes) ein Telegramm vorgelesen, das er von einem der jugoslawischen Gesandten, ich denke, von dem Londoner, erhalten hatte, und das, nach Andric, ein ausgezeichnetes Resume der Unterhandlungen des Lord Halifax in Berlin wiedergibt. Halifax hat die Frage Zentraleuropa keineswegs als indiskutabel erklärt, sondern die Tür offen gelassen für allgemeine Diskussionen mit Deutschland, die also auch Österreich und die Tschechoslowakei umfassen wür-d e n.“

Dazu bemerkte der Gesandte:

„Die Ehrlichkeit des Lord Halifax, die über jeden Zweifel erhaben ist, kann daran nichts ändern, daß die praktischen Konsequenzen seines Besudies, die hier allein in Betracht gezogen werden können, ebenso wie die Bedeutung, die diesem Besuch gegeben wurde, sicherlich im Gegensatz zu den ehrenwerten Absichten des Lords standen ... “Wenn Stojadinovic auf Grund der oben erwähnten diplomatischen Berichte — mit Recht, wie die Ge-schiohte bewiesen hat — annahm*, daß die Regierung Chamberlain tatsächlich nicht gegen den .Anschluß' Österreichs an Deutschland Stellung nehmen werde, so war es eben diese Überzeugung, die seine Orientierung zu Deutschland hin diktiert hat.“

Anfang Dezember machte der französische Außenminister D e 1 b o s noch einmal den Versuch, die Kleine Entente, diese Säule der damaligen französischen Politik, zu halten und kam nach Belgrad. Die Zeitungen brachten herzliche Leitartikel, die Bevölkerung aber, die sich beim Bahnhof zur Begrüßung des hohen Gastes versammelt hatte, wurde von der Polizei im Auftrag der Regierung vertrieben. Der Verlauf des Besuches entsprach der Ouvertüre. Der Vorschlag des Gastes, Jugoslawien und die Tschedioslowakei sollten ein Defensivbündnis schließen, wurde von Jugoslawien abgelehnt. Man sah, wie schwierig die Position Frankreichs selbst geworden war. Dei deutsche Gesandte in Belgrad, v. Heeren, faßte sein Urteil über Jugoslawien nach dem Besuch Delbos' in dem Satz zusammen: „Stojadinovic macht sich von seinen Verpflichtungen frei, um im entscheidenden Augenblick sich

dem anzuschließen, der der Stärkere sein wir d.“

Die viel beredete Zusammenkunft auf dem Obersalzberg hatte Besorgnisse in Ungarn wachgerufen, das nun nach Norden und Süden Fühler ausstreckte. Lothar Wimmer urteilte in seinem Bericht vom 26. Februar 1938:

„Die Atmosphäre, die durch den deutschen Druck, die englasche Zurückhaltung, den Mangel an Stabilität in Frankreich und durch die nur mehr teilweise Handlungsfreiheit Italiens entstanden ist, hat in Belgrad zu einer unvermeidlichen Welle des Pessimismus hinsichtlich Österreichs Schicksal geführt.“

Nun, da es scheinbar zu spät war, begann die Welt erst zu erkennen, welche große Bedeutung dem kleinen Österreich zukommt. Zu spät — seine Freiheit und Unabhängigkeit, das Glück seines Volkes, Leben und Wohlfahrt hunderttausender Familien wurde zwangsläufig der Tatsache zum Opfer gebracht, daß Europa von einer politischen Epidemie überflutet worden war. Der Faschismus in Italien, die Bewegung des Sir Oswald Mosley in England, die unterschiedlichen Vorgänge in Frankreich, die Zustände in Polen, in Ungarn und vor allem in Jugoslawien, wo man diese Infektion in Reinkultur studieren konnte, haben die Voraussetzungen geschaffen, die es Hitler erlaubten, Österreich zu vergewaltigen und damit seinen grauenvollen Weltkrieg vorzubereiten. rs

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