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Ein dramatischer Augenblick

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Die österreichische Tagespresse hat leider kaum über den äußeren Ablauf der Konferenz berichtet, es ist darum notwendig, hier über die Würdigung der Bedeutung von Nyborg IV hinaus auch einen solchen Bericht nachzutragen. Es wurde schon erwähnt, daß die Konferenz ihren Namen von ihrem mehrfachen Tagungsort, der dänischen Stadt Nyborg, herleitet. Die Verlegung der Tagung von Nyborg auf ein Schiff hatte ihren Grund in der heutigen politischen Situation Europas und im speziellen Deutschlands. Hatte schon an den beiden letzten Nyborg- Konferenzen jeweils nur ein Teil der vorgesehenen Delegation der evangelischen Kirchen in der DDR teilnehmen können, so hatte in diesem Jahr die Ostberliner Regierung den Delegierten überhaupt unter sagt, um einen Paß des Westberliner Allied-Travel-Board anzusuchen, der zur Einreise in das NATO-Land Dänemark notwendig ist. Aber sowohl das Hauptthema der Konferenz, „Zusammen leben“, wie auch die Absicht der Beschlußfassung über die Satzung machten es der Konferenzleitung unmöglich, auf die Teilnahme der Delegierten einer Reihe großer und bedeutender Kirchen zu verzichten. So verfiel man auf den Ausweg mit dem Schiff. Während alle anderen Delegationen — auch die aus den übrigen Oststaaten! — in Kopenhagen an Bord gingen, reisten die DDR-Kirchenmänner nach Malmö im neutralen Schweden und wurden von dort mit einem Schlepper an Bord der in internationalen Gewässern liegenden „Bornholm“ gebracht. Das Anbordgehen im Licht der Fernsehseheinwerfer war ein dramatischer Augenblick und gleichzeitig eine kirchlicherseits nicht gesuchte Demonstration der Situation der Kirchen in der DDR, die eine überlegte Kirchenpolitik in Parikow unbedingt hätte vermeiden müssen.

Insgesamt vereinte Nyborg IV an Bord der „Bornholm“ rund 230 Kirchendelegierte, Berater und Be-

obachter aus 21 europäischen Staaten, dazu über 30 Presse- und Fernsehleute. Zum erstenmal nahmen auch zwei vom Sekretariat Bea entsandte römisch-katholische Be-

obachter teil. Aus Österreich waren sowohl die evangelische Kirche und die methodistische Kirche als auch die russische und die rumänische orthodoxe Gemeinde vertreten. Das Gesamtthema der Konfrenz war „Zusammen leben“ mit den beiden Unterthemen „Zusammen leben als (Kontinente“ .und „Zusammen leben als Generationen“. Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Dr. Visser’t Hooft (Genf) gab eine erregende Einführung vor allem in das erste Thema. Er nannte als vielleicht entscheidendes Kennzeichen Europas, daß es ein „Ex-Corpus-Christianum“ sei, wobei kein grundlegender Unterschied zwischen Ost- und Westeuropa bestünde, da sich in beiden Teilen säkularisierte ehemals christliche Kulturen vorfänden, die heute gleichermaßen in Afrika oder Asien als „Exporteure“ von (in ihrer Wurzel vielfach christlichen, nunmehr aber säkularisierten) Ideen, Werten und Fähigkeiten aufträten, die dort einen radikalen und raschen sozialen und kulturellen Umbruch bewirken. Die Kirchen Europas haben sich dieser Situation noch nicht gestellt, sie sind weithin noch darum bemüht, die Überbleibsel der alten christlichen Kultur zu bewahren, obwohl „das Finale der Symphonie zwischen Christentum und europäischer Kultur“ bereits gespielt wird. Der Blick der Kirchen hat in dieser Situation nicht nach rückwärts, sondern nach vorne gewandt zu sein. Sie haben die europäische Kultur im Licht des Evangeliums mit jenen Grundfragen zu konfrontieren, denen sie sich stellen muß, wenn sie eine Zukunft haben soll; und sie haben eine Aufgabe an den im Umbruch befindlichen Kontinenten, nämlich durch Unterstützung der jungen Kirchen in diesen Gebieten mitzuhelfen, jene aus Europa stammenden Werte und Formen, die durch die Säkularisation ihres ursprünglichen christlichen Gehaltes entleert wurden, ¡wieder zu füllen. Dr. Visser’t Hooft ließ keinen Zweifel daran, daß diese Aufgaben von den Kirchen nicht einzeln, sondern gemeinsam angepackt werden müßten, und maß in diesem Zusammenhang Entwicklungen auf dem 2. Vatikanischen Konzil, etwa der Diskussion über die Religionsfreiheit, nicht geringe Bedeutung zu.

Partnerschaft der Generationen

Auch das zweite Unterthema „Zusammen leben als Generationen“ griff ein brennendes Problem heraus. Fast überall in Europa ist durch den Zusammenbruch des

Patriarchalismus das Generationenproblem zu einer Frage von bedrängender Virulenz geworden, und es wurde bei den Beratungen an Bord der „Bornholm“ deutlich, daß gerade die Kirchen einerseits durch Übung echter Partnerschaft der Generationen ein helfendes Beispiel zu geben haben, anderseits es Aufgabe des prophetischen Amtes der Kirche ist — wie dies der Mar- burger Soziologe Prof. von Oppen formulierte —, in nüchterner Weise die Gegenwart von der der Kirche offenbarten Zukunft her zu durchleuchten und damit letzten Endes der Jugend in ihre Zukunft hinein zu helfen.

Die Konferenz hat zu keinem der beiden Unterthemen eine Resolution gefaßt. Der Journalist, . der über die Konferenz zu berichten hat, bedauert, das;,, vpn der Sache und vor allem vom Wesen der Konferenz her war das sicher berechtigt. Nicht nur, daß die Welt heute sowieso der Resolutionen müde ist und sie nicht mehr hört, die Konferenz will ja nicht in erster Linie Sprachrohr ihrer Mitgliedskirchen nach außen sein, ein Verstärker der einzeln zu schwachen Stimmen, sondern ein Instrument gegenseitiger Anregung und Hilfe.

Begegnungszentrum in Österreich?

Aber ein Beschluß verdient noch Beachtung, weil er unmittelbar Österreich betrifft. Die Konferenz beauftragte das Präsidium, die Möglichkeiten der Schaffung eines Begegnungszentrums der Kirchen in Schloß Mühlegg bei Graz zu prüfen, das der Nyborg-Konferenz als Geschenk angeboten worden war. Die Schwierigkeiten, die hier noch bestehen, sind zwar vor allem angesichts der damit verbundenen finanziellen Fragen beträchtlich. Anderseits war man sich bewußt, daß ein solches Begegnungszentrum, in dem laufend Tagungen mit den verschiedensten Themen und mit Teilnehmern aus ganz Europa stattfinden könnten, die Wirkungsmöglichkeiten der Nyborg-Konferenz wesentlich erweitern würde, um so mehr, als Österreich als neutraler Staat den Gliedern aller Mitgliedskirchen aus Ost und West die Möglichkeit unbehinderter Teilnahme bieten würde.

Die IV. Nyborg-Konferenz ist abgeschlossen. Sie darf über die konkreten Ergebnisse hinaus als ein Zeichen bewertet werden, daß die nicht römisch-katholische Christenheit Europas bereit ist, sich den Aufgaben unserer Zeit in einer neuen Weise zu »stellen, daß sie, ähnlich wie der Katholizismus, aus alten, vielfach überholten Positionen aufbricht und auf neuen Wegen neuen Zielen zustrebt. Soll man es nicht als ein freudiges Ereignis begrüßen, daß die an Jahren so alte Christenheit in diesem Aufbruch Zeichen jugendlicher Kraft zeigt, die Grund zum Hoffen geben? Die Parallelität des Geschehens auf römisch-katholischer und ökumenischer Ebene sollte man dabei nicht übersehen.

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