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Ein Erlebnisbuch Dr. Schuschniggs

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„Mit den Friedensverhandlungen in Prag kommen wir nicht zu Ende, weil Preußen immer neue Forderungen für Italien stellt, und so bringen wir sie nicht aus dem Lande, was dringend notwendig wäre, denn sie kosten sehr viel und saugen die armen Länder unbarmherzig aus. Erst jetzt kommt man so recht auf alle Infamie und den raffinierten Betrug, dem wir zum Opfer gefallen sind. Das war alles zwischen Paris, Berlin und Florenz lang vorbereitet und wir waren sehr ehrlich, aber sehr dumm. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, der noch lange nicht aus ist, und es ist mit Berechnung auf unsere vollkommene Zerstörung abgesehen. Man glaubt noch immer, man habe geträumt, wenn man zurückdenkt, wie das Unglück uns Schlag auf Schlag verfolgt hat, wie berechtigte Hoffnungen in wenigen Stunden zerrannen und wie die besten Kräfte unserer braven und so unglücklichen Armeen tot oder Krüppel sind.“

Brief Kaiser Franz Josephs an seine Mutter Erzherzogin Sophie wahrend der Prager Friedensverhandlungen nach der Schlacht von Königgrätz, 22. August 1866

Als am 12. März 1938 die Armee des Generals von Reichenau die österreidiische Grenze übersdiritt, war der Vorhang über den Verzweiflungskampf eines kleinen Staates, der um seine Unabhängigkeit gegen einen übermächtigen, stammverwandten Nachbarn rang, gefallen. Es schien die endgültige Austragung des alten preußischösterreichischen Gegensatzes zu sein, es war aber nur ein kurzer Triumph der Macht. Mit allen Mitteln der List und Gewalt bedrängt, war Österreich auf der Strecke geblieben, von den Nachbarn wie von den Großmächten Europas verlassen, das erste Opfer des Hitlerschen Weltherrschaftsplanes.

Über diese europäischen Schicksalstage und ihre Vorgeschichte ist jetzt im Verlag Ainstutz. Herdeg & Co., Zürich, das Werk „Ein Requiem in Rot-Weiß-R o t“ des berufensten Sprechers erschienen, des letzten österreichisdien Bundeskanzlers, Dr. Kutt von Schuschnigg. Der Historiker wird dieses vielsagende, glanzvoll geschriebene Werk mit höchstem, fachlichem Interesse, jeder Österreicher mit Ergriffenheit lesen.

Der erste Teil des Werkes, in neun Kapiteln gegliedert, ist Zeitgeschichte aus unmittelbarem Erleben. Der zweite, der weitere zehn Kapitel umfaßt, bringt die persönlich betonten Erwägungen, Eindrücke und Tage-buchaufzeidinungen eines Vielgeprüften und Weisen.

Das österreichisch-deutsche Problem von 1933 bis 1938, das der erste Teil des Buches behandelt, wurde, wie der Verfasser sich ausdrückt, von der persönlichen Stellungnahme Adolf Hitlers gestaltet. „So konnte die primäre Frage nur sein: wie stellt sich Adolf Hitler zu Österreich? Hitler ist ein Phänomen, unsinnig, solches zu leugnen.“ Hitler habe magische Gewalt über die Menschen ausgeübt, er habe sie entweder mit magnetisdier Kraft an sich gezogen oder sie vom ersten Moment an ebenso heftig abgestoßen, „so daß sich ein Abgrund auftut, der nie mehr Brücken tragen kann. Viele Österreicher hat er angezogen, für die anderen genügte ,Mein Kampf sowie das Hören oder Lesen einer der beliebigen politischen und kulturpolitischen Reden — — und sie sahen den Abgrund und wußten, daß es hier kein Hinüber gab. Ich gehörte zu ihne n.“

Nicht imstande, aus eigener Kraft sich gegen den sichtlich in Vorbereitung befindlichen Angriff zur Wehr zu setzen, ohne Stütze an den Westmächten, die an die nahende Gefahr nicht glauben wollten oder sie unterschätzten, nur auf die immer zweifelhafter werdende Unterstützung durch das Italien Mussolinis angewiesen, konnte Österreich keine andere Wahl haben, als eine Politik des Hinhaltens zu führen, die eine Veränderung der außenpolitischen Situation erwarten ließ. Eine solche Politik mußte trachten, Hitler keine willkommene Angriffspunkte zu bieten, mußte ein Auskommen suchen, sie durfte dabei aber „niemals und um keinen Preis ein inneres Kompromiß mit Hitlers Heilslehre suchen“.

In diesem Sinn und unter dem wirt-sch aftlichen Druck des Reiches kam es zu dem zwischenstaatlichen Abkommen vom 11. Juli 1936, in dessen erstem Punkt Deutschland die volle Souveränität des österreichischen Bundesstaates anerkannte — sein Wortlaut wurde bekanntlich noch im Berchtesgadener Abkommen vom 12. Februar 1938 ausdrücklich bestätigt und schriftlich bekräftigt. Es führte nur zur Tarnung der nationalsozialistischen Tätigkeit in Österreich. Die latente Spannung wurde in der Unterredung von Berchtesgaden von Hitler auf den Höhepunkt geführt.

Der Verlauf dieser Begegnung ist bekanntgeworden, ebenso die Dialoge der Verhandlungspartner. — Uber Schuschniggs Schilderung liegt hier etwas von österreidiischer Noblesse.

Um den 3. März reifte im Kanzler der Entschluß, die gesamte innerpolitische Lage durch die Volksbefragung zu lösen. Mussolini sprach dagegen, äußerte sich aber „sehr befriedigt und durdiaus optimistisch für unsere Sache. Österreich solle durchhalten, die Lage werde sich bessern, eine bevorstehende Entspannung zwischen Rom und London verspräche* Erleichterung des derzeitigen Druckes“.

Der Ablauf der folgenden kritischen Tage ist in die Geschichte eingegangen. Über die unsichtbar treibenden Kräfte unterrichten die hochinteressanten, in der Berliner Reichskanzlei gefundenen Protokolle derTelephongespräche, die Schuschnigg veröffentlicht. Bruchstücke sind daraus bekanntgeworden, aber nur Bruchstücke. Dr. Schuschniggs Aufzeichnungen zeigen die Berliner Regie in einer Kahlheit und Eindeutigkeit, die nach allen Erfahrungen und Erkenntnissen der vergangenen Jahre noch erschreckend wirken kaan. Bei allen ist von deutsdier Seite G ö r i n g der Gesprächspartner. Die . Gespräche spielen sich am 11. März 1938 nachmittags und abends ab. In dem ersten verständigt Seyß-Inquart Göring, der Kanzler habe die österreichischen Nationalsozialisten durch die Aufhebung der Wahlen „in eine schwierige Lage versetzt“. Göring ist unbefriedigt und verlangt, nach einer mündlichen Aussprache mit Hitler, daß die auf Grund des Berchtesgadener Abkommens berufenen nationalsozialistischen Minister zurücktreten, Schuschniggs Demission verlangen und daß Seyß-Inquart mit der Regierungsbildung betraut werde. Wenige Minuten später berichtet Seyß-Inquart, der Kanzler habe sich zum Bundespräsidenten begeben, um die Demission der Kabinette einzureichen, und Göring bekräftigt die Demissionsforderung. Seyß-Inquart verspridit Bericht bis 17.30 Uhr. Die Sache entwickelt sich nicht rasch genug. Um 17 Uhr meldet Globocnik aus der deutschen Gesandtschaft, das Kabinett werde vielleicht bis 21.18 Uhr (!) gebildet sein. Göring diktiert: „D as Kabinett mußbis 19.3 0 Uhrgebildetsei n!“ Globocnik wiederholt: „Bis 19.30 Uhr!“ Globocnik bittet mehrmals, daß die Formationen aus der Emigration (die österreichische Legion) erst später in Österreich einrücken mögen, er spricht noch von einer Volksabstimmung. Göring wehrt ab und wiederholt das Diktat: „Bis 19.30 Uhr muß das Kabinett gemeldet sein.“ Staatssekretär K e p p 1 e r bringt verschiedene Namen, die „hineinkommen solle n“. Und nun Görings Frage: „Was meint Seyß-Inquart damit, das Verhältnis Deutschland-Öster-reidi müßte auf eine neue Basis gestellt werden?“ Globocnik: „Ja, er meint, daß die Unabhängigkeit Österreichs verbleibt, daß man aber sonst alles nationalsozialistisch regelt“. Nun entscheidet Göring gegen das letzte Aufflackern österreichischer Gesinnung bei der nationalsozialistischen Führung in Wien und nimmt Gewaltanwendung in Aussicht: „Sagen Sie, die V e rb ä a d e missen doch auch in den nächsten Tagen runter, es ist im Interesse von Seyß-Inquart selbst.“

Um 17.26 Uhr meldet Seyß-Inquart, der Bundespräsident wolle Dr. Ender mit der Regierungsbildung betrauen. Göring erteilt min den Auftrag, dem Bundespräsidenten sofort mitzuteilen, daß , er unverzüglich die Macht an Seyß-Inquart zu übergeben habe. Während des Gesprächs meldet Mühlmann aus der deutschen Gesandtschaft, daß der Bundespräsident die Zustimmung hartnäckig verweigere, er wolle erst einer offiziellen Aktion seitens des Reiches weichen. Nun ordnet Göring die Vorsprache des Generalleutnants Muff beim Bundespräsidenten an: „W e n n er (die Berliner Forderung) nicht annimmt, erfolgt heute Nacht der Einmarsch der bereits an der Grenze aufmarschierten Truppen.“ Um 18.28 Uhr meldet Keppler, der Bundespräsident habe wieder abgelehnt. Göring: „Dann soll ihn der Seyß-Inquart absetzen! Gehen Sie nochmals 'rauf und sagen Sie ihm ganz glatt, def Seyß-Inquart soll die nationalsozialistische Wache aufrufen und die Truppen bekommen jetzt in fünf Minuten von mir den Befehl zum Einmarsc h.“ Nun fällt Muff, von Keppler geholt, aus der Rolle: „Tatsache ist, daß der Versuch Schuschniggs, der Welt zu beweisen, daß die Nationalsozialisten nicht die Mehrheit haben, nur durch Waffendrohung des deutschen . . .“ Das Gespräch wird hier unterbrochen und nach drei Minuten durch einen Anruf Görings fortgesetzt, der binnen weiteren drei Minuten die Entscheidung verlangt. Keppler meldet, der Präsident habe wieder abgelehnt. Darauf Göring: „Wenn das nicht ist, müssen wir eben die Gewalt übernehme n.“

Im nächsten Gespräch meldet Seyß-Inquart, die Regierung habe sich von den Geschäften zurückgezogen, er selbst sei noch immer nicht bestellt. Göring: „Ich gebe den Befehl zum Einmarsch, und dann sehen Sie zu, daß Sie sich in den Besitz der Macht setzen. Machen Sie die führenden Leute auf folgendes aufmerksam, das ich Ihnen jetzt sage: Jeder, der Widerstand leistet oder Widerstand organisiert, verfällt augenblicklich unseres Standgerichtes, den Standgerichten der einmarschierend enTruppen. Ist das klar? ... Einschließlich führender Persönlichkeiten. Der Bundespräsident hat Sie nicht beauftragt, und das ist auch W i d e r s t a n d.“

Um 20.26 Uhr will Göring nochmals den Rücktritt Miklas erzwingen, ebenso um 20.4* Uhr. Und nun diktiert Göring („Schreiben Sie auf!“) Keppler wörtlich das

Telegramm, r (fem Seyß-Inquar um den Einmarsch der deutschen Truppen zu bitten hat. Aber das alles dauert Göring viel zu lang, und am Ende des Gespräches sagt er: „Das Telegramm möchte er möglichst bald schicken. Und sagen Sie ihm, wir bitten, er braucht das Telegramm ja gar nicht zu schicken, er braucht nur zu sagen: Einverstanden! Rufen Sie mich zu diesem Zweck an, entweder beim Führer oder bei mir.“

Der „Hilferuf“ brauchte also nicht einmal abgesandt werden, man konnte ihn in Berlin auch ohne seine Existenz publizieren und für den Betrug der Welt verwenden.

Am 13. März früh verständigt Göring den in London weilenden Reichsaußenminister von Ribbentrop von den Ereignissen und instruiert ihn, wie er die Darstellung zu fälschen habe: ,:Also, diese Erzählung da, wir hätten ein Ultimatum gestellt, das ist natürlich Quatsch! Das einzige, das selbstverständlich ist, daß die nationalsozialistischen Minister uns gebeten haben, ihnen Rückendeckung zu geben, damit sie nicht wieder völlig zusammengeknüppelt werden und mit Terror und Bürgerkrieg zusammengeschossen werden. Wir waren vorher an der Grenze aufmarschiert, weil wir ja nidit wissen konnten, gibt es Bürgerkrieg oder keinen. So sind die tatsächlichen Verhältnisse, die alle durch die Dokumente (!) belegt werden können ... Der Führer meinte, weil Sie nun einmal gerade drüben sind, ob Sie nicht die Leute grundsätzlich aufklären, daß das eine völlige Irreführung ist, wenn man annimmt, daß Deutschland ein Ultimatum gesteUt hat... Das ist eine Lüge von Schuschnigg... Es ist nicht richtig, daß dem Bundespräsidenten ein Ultimatum gestellt worden ist von uns, sondern nur von den andern (Seyß-Inquart ist hier gemeint), und lediglich ist da, glaube ich, ein Militärattache mitgegangen, gebeten von Seyß-Inquart, wegen einer technischen Frage.“ — Ribbentrop ist augenscheinlich überzeugt.

Die Welt hat diese Aufklärung geglaubt oder sie tat wenigstens so. Sie hat damit Hitler aus einer ungeheuren Schwierigkeit geholfen.

Diese Heraushebungen neuer und charakteristischer Momente können nur ein Streiflicht auf das reiche Material des Büches werfen, nicht eine Würdigung des großen über 500 Seiten umfassenden Werkes sein. Auf die persönlichen Erlebnisse des Kanzlers, seinen Leidensweg, die politisdien Reflek-tionen des Werkes einzugehen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aber auch sie, von einem blendenden Stil und einer meisterhaften Darstellung getragen, geben zur jüngsten Geschidite unseres leidgeprüften Landes wichtige Erkenntnisse.

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