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Ein Gast in Wien

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Wenn Kurt Kiesinger als dritter Bundeskanzler Westdeutschlands in Wien eintrifft, kann er eines herzlichen und freundschaftlichen Empfanges sicher sein. Staatsbesuche dieser Art lassen in der Regel keine spektakulären Verhandlungsergebnisse erwarten, sondern dienen mehr dem im internationalen Leben von Zeit zu Zeit nun einmal notwendigen Ausdruck der besonderen Art von Beziehungen, die zwischen den betreff enden Staaten bestehen. Es erfüllt den Österreicher, der die trübe Zeit der dreißiger Jahre noch nicht vergessen hat, mit besonderer Genugtuung, daß der Staatsbesuch des deutschen Bundeskanzlers im März 1969 von keiner bilateralen Problematik belastet ist. Das Gespenst des Anschlußgedankens ist nach 1945 nicht wieder auferstanden und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland sind trotz aller sich aus der Integrationsproblematik ergebenden Schwierigkeiten die denkbar besten. Westdeutschland ist nach wie vor mit rund 25 Prozent unseres gesamten Exportes Österreichs bester und wichtigster Handelsparther, und manche Kooperation auf industriellem Gebiet bringt bedeutsame wirtschaftliche Vorteile von beiden Seiten.

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Wenn Kurt Kiesinger als dritter Bundeskanzler Westdeutschlands in Wien eintrifft, kann er eines herzlichen und freundschaftlichen Empfanges sicher sein. Staatsbesuche dieser Art lassen in der Regel keine spektakulären Verhandlungsergebnisse erwarten, sondern dienen mehr dem im internationalen Leben von Zeit zu Zeit nun einmal notwendigen Ausdruck der besonderen Art von Beziehungen, die zwischen den betreff enden Staaten bestehen. Es erfüllt den Österreicher, der die trübe Zeit der dreißiger Jahre noch nicht vergessen hat, mit besonderer Genugtuung, daß der Staatsbesuch des deutschen Bundeskanzlers im März 1969 von keiner bilateralen Problematik belastet ist. Das Gespenst des Anschlußgedankens ist nach 1945 nicht wieder auferstanden und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland sind trotz aller sich aus der Integrationsproblematik ergebenden Schwierigkeiten die denkbar besten. Westdeutschland ist nach wie vor mit rund 25 Prozent unseres gesamten Exportes Österreichs bester und wichtigster Handelsparther, und manche Kooperation auf industriellem Gebiet bringt bedeutsame wirtschaftliche Vorteile von beiden Seiten.

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Apropos Kooperation! An Stelle der endgültig begrabenen Anschlußidee spukt jetzt in vielen Köpfen eine Furcht vor „Überfremdung“ der österreichischen Wirtschaft, Insbesondere durch die bundesdeutsche, herum. Dazu ein offenes Wort: Im Zeitalter der Bildung großer Wirtschaftsräume sollte das Wort der Überfremdung schon ebenso zum alten Eisen gehören wie die seiner-zeittge Idee einer wirtschaftlichen Autarkie. Immer mehr sind heute alle Wirtschaftszweige auf gemeinsame Forschungsergebnisse und vielfach auch auf gemeinsame Kapitalisierung ihrer Durchführung angewiesen. Das „know how“ ist nun einmal eine unerläßliche Voraussetzung für das „exist“; oder anders gesagt, ohne kostspielige Forschung gibt es heute kaum für einen einzigen Wirtschaftszweig eine gesicherte Zukunft. Die Kosten der Forschung aber übersteigen bereits in der Regel die Kapitalkräfte kleiner Volkswirtschaften. Die Existenz dieser Kleinen aber hängt davon ab, am know how der Großen sich ihren Anteil zu sichern. Wollte man die österreichische Industrie von jeder ausländischen Einflußnahme organisatorischer oder kapitalmäßiger Natur freihalten, so wäre das die Einleitung für einen katastrophalen Schrumpfungsprozeß der österreichischen Wirtschaft. Gewiß, es brauchen und sollen nicht immer bundesdeutsche Forschungsinstitute und bundesdeutsches Kapital sein, die hier in Österreich jene Lücken ausfüllen, die Österreich allein auszufüllen nicht imstande.ist. Es ist auch gar nicht so; die Statistik beweist z. B., daß die Summe aller ausländischen Beteiligungen außer der bundesdeutschen in Österreich ein Vielfaches der bundesdeutschen Beteiligung ausmacht. Daß Deutschland unser größter Handelspartner ist, wurde schon erwähnt. Daran haben auch die Integrationsschwierigkeiten nichts geändert, obwohl der Stillstand der österreichischen Bemühungen um einen wirtschaftlichen Vertrag mit den Europäischen Gemeinschaften viele Sorgen offen läßt, die heute durch eine wieder rasch anschwellende Umsatzkonjunktur zwar überdeckt, alber keineswegs beseitigt werden. Anläßlich des Staatsbesuches verdient es festgehalten zu werden, daß die deutsche Bundesregierung die österreichischen Integrationsbemühungen immer tatkräftig unterstützt hat. Vom Vorgänger Kiesingers, Prof. Erhard, stammt das Wort: „Schließen Sie mit der EWG jeden Vertrag, den Sie wollen; die deutsch Bundesregierung wird auf jeden Fall zustimmen.“ Wenn es also keine offenen, bilateralen Probleme gibt, so wird der Besuch sicherlich zu einem umfassenden Meinungsaustausch Gelegenheilt geben, und die österreichischen Regierungsvertreter werden wahrscheinlich auch mit dem großen Sorgenpaket konfrontiert werden, das der jeweilige deutsche Regierungschef mit sich herumtragen muß: die Frage Berlin, das Problem des geteilten Deutschlands, die Diskussion über die deutsch-französische Zusammenarbeit im lichte der unterschiedlichen Integrationspolitiken und vieles andere mehr. Es liegt im Wesen der Ergebnisse der französischen Politik oder, besser gesagt, der Politik des französischen General-Präsidenten, daß die Differenzen zwischen Bonn und Paris heute in Wirklichkeit größer sind als zur Zeit von Prof. Erhard, dem man, wie sich nun herausstellt, ganz zu Unrecht die Fähigkeit einer pfleglichen Behandlung des deutsch-französischen Verhältnisses abgesprochen hat. Sicherlich liegt dem französischen Staatsoberhaupt ein gutes Verhältnis zwischen Paris und Bonn ebenso am Herzen wie dem deutschen Bundeskanzler. Trotzdem aber bringt sich die französische Regierung in allen Europafragen immer mehr auch in einen tatsächlichen Gegensatz zur Bundesrepublik. Das Problem |st ohne Änderung der im Augenblick für Paris maßgeblichen politischen Maximen nicht lösbar.

Noch schwieriger ist die deutsche Situation bezüglich Berlins und der Ostzone — oder anders ausgedrückt gegenüber der Sowjetunion. Es Ist tragisch, daß man in Moskau allen Erklärungen, die aus deutschem Munde kommen, mißtraut und Bonn, was immer es tut oder unterläßt, auf jeden Fall die bösesten Absichten unterstellt. Freilich muß man anderseits auch anmerken, daß das, was zwischen 1939 und 1945 auf russischer Erde und unter dem damaligen Hoheitszeichen Deutschlands geschehen ist, nicht in einem Zeitraum von 25 Jahren vergessen werden kann. Wer immer heute die Sowjetunion bereisit, spürt immer noch deutlich das Nachklingen der Angst und des Schreckens, die vor einem Vierteljahrhundert geboren wurden. Auch das Problem des geteilten Deutschlands und Berlins zeigt uns noch keine Lösungsmöglichkeit.Kurt Kiesinger trägt sicherlich noch eine Sorge in seinem Reisekoffer, die er allerdings kaum auf Wiener Boden auspacken wird. Dennoch dürfte sie ihn unentwegt begleiten. Di Wahl des neuen deutsch n Bundespräsidenten stellt für den Obmann der Christlich-Demokratischen Union ein beachtenswertes Problem dar. Das reibungslose Zusammenrücken von Sozialdemokraten und Freien Demokraten kann nicht anders als ein Vorspiel für das gedeutet werden, was nach dem bevorstehenden Herbst der CDU/CSU passieren würde, wenn es ihr nicht gelingen sollte, die Mehrheit im neuen Deutschen Bundestag zu erringen. Bleibt CDU/CSU wie bei den letzten Wahlen auch hur mit wengen, ja nur mit einem Mandat in der Minderheit, so muß damit gerechnet werden, daß die Christläch-Demokraten für die nächste Periode das Schicksal teilen, das die deutschen Wähler bis zur letzten Wahl den deutschen Sozialdemokraten beschert haben. Daß der gewählte kandidierende Bundespräsident außerdem noch ein Mann ist, der höchst eigenständige politische Gedanken In spektakulärer Weise zu vertreten versteht, wobei ihm seine Erfahrungen auf seiner Wanderung von der CDU über die Gesamtdeutsche Partei zur SPD offensichtlich zustatten kommen, dürfte dem deutschen Bundeskanzler, der nach der Bundesverfassung allein berufen ist, die Richtlinien der deutschen Politik zu bestimmen, auch ein gerütteltes Maß an Sorgen bereiten. Unser willkommener Gast in diesen Tagen in Wien soll also wissen, daß er als Freund begrüßt wird, um dessen Sorgen wir wissen; und vielleicht ist die Wiener Atmosphäre geeignet, ihm wenigstens für einige Stunden sein Soxgengepäck zu erleichtern.

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