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Ein glcklicher Ausklang

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STAATSLEXIKON. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Herausgesehen von der Görres-Gesell-schaft. Sechste, völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Achter Band. Verbände bis Zypern. Nachträge: Neue .Staaten Afrikas, Register. Verlag Herder, Freihurg im Breisgau, 1MB, VI Seiten und 1138 Spalten'und 63 Seiten dreispaltiges Register. Preis 88 DIU.

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STAATSLEXIKON. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Herausgesehen von der Görres-Gesell-schaft. Sechste, völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Achter Band. Verbände bis Zypern. Nachträge: Neue .Staaten Afrikas, Register. Verlag Herder, Freihurg im Breisgau, 1MB, VI Seiten und 1138 Spalten'und 63 Seiten dreispaltiges Register. Preis 88 DIU.

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In der angekündigten, verhältnismäßig kurzen Zeit von sechs Jahren bat das von der Görres-Gesellschaft und vom Verlag Herder in vorbildlicher Zusammenarbeit veröffentlichte Staatslexikon die ihm gestellte Aufgabe gelöst. Der achte Band beendet die Reihe der alphabetisch geordneten Artikel, er fügt ein sehr nützliches Register bei und versucht, löbliches wie vergebliches Beginnen, mit der Zeit bis zum letzten Augenblick gleichen Schritt zu halten, indem er auf über hundert Spalten eine Darstellung der während des Erscheinen des Werks entstandenen souveränen Staaten Afrikas bietet.

An dieser Ergänzung können wir zugleich die unvermeidbare Tragik eines jeden enzyklopädischen Beginnens, wie die großartigen Anstrengungen erkennen, deren ein musterhafter Stab Sachkundiger fähig ist, um das Unvermeidbare auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Es ist bewundernswert, mit welcher Genauigkeit und Zuverlässigkeit die Schilderer der neuafrikanischen unabhängig gewordenen Gemeinschaften, voran Franz Ansprenger und Erwin Mai, es getroffen haben, dem durch die sich überstürzende Entwicklung verwirrten Benutzer des Lexikons ein klares Bild der Sachlage zu entwerfen. Es reicht bis knapp an den Erscheinungstag des Bandes.

Als zweiten Mittelpunkt des achten Bandes betrachten wir die von neun Verfassern herrührende Gesamtschau über die Vereinigten Staaten von Amerika (70 Spalten). Sie ist in einzelnen Abschnitten glänzend gelungen: Wirtschaft (.Tojchimsen), Bevölkerung und So-xialstruktur (Gunter W. Remmling), pusgezeichnet: Streitkräfte (von der Heydte), Rechtsordnung (Heinrich Kronstein). Wir vermissen jedoch die Erörterung einiger wichtiger Probleme: so eine ausführliche Besprechung der Negerfrage, den fortdauernden Gegensatz Nord—Süd. das Tauziehen zwischen Eierköpfen und Babbits, eine Schilderung des americon way of life und anderes mehr.

Außer dem Artikel über die USA sind im achten Band nur sehr wenig geographisch-historisch gefärbte Länderartikel vorhanden: Vietnam (im allgemeinen gut, doch völlig ungenügend im politischen und in be-zug auf die tragische Diktatur der Ngo), Zypern (auch hier informativ gut, politisch unzureichend, das neuerdings wieder aktuelle Enosis-Problem nicht im gebührenden Mittelpunkt). Doch hoch überragend, ein Meisterstück, der in jeder Hinsicht vollkommene Artikel Professor Theodor Schieders über die Weimarer Republik (14 Spalten). Überall den bedeutenden Gelehrten, den kenntnisreichen Polyhistor und den feinen, doch eigenwilligen politischen Kopf verrät die Vielfalt der Stichworte, die Professor (und General) Freiherr Friedrich August v. d. Heydte beigesteuert hat: etwa Volkssouveränität, Wehrmacht,

Wehrpflicht, Wehrverfassung, Weltpolitik. Zu den Zierden der geisteswissenschaftlichen Artikel des Bandes rechnen wir ferner das nur dem Sachkundigem im vollen Wert zum Bewußtsein kommende, auf engsten Raum eine Fülle richtungsweisender Forschungsergebnisse zusammendrängende Bild, das Professor Bertold Spuler aus historischer Sicht vom Phänomen der Menschenwanderungen zeichnet. Sodann der gehältige Umriß der Völkerkunde von Hermann Trimborn, die vorzügliche und kritische Würdigung der Westeuropäischen Union durch Per Fischer, der höchst anregende, drei Verfassern zu dankende Artikel Zeitkritik.

Recht karg sind die sonst im Staatslexikon so zahlreich und ausführlichen Schlagworte aus dem Gebiet des Kirchlich-Religiösen vertreten. Das beruht aber nur auf der alphabetischen Anordnung. So finden wir nur einen, sehr klugen Artikel über den Weltrat der Kirchen, eine — bei allem Respekt vor dem Verfasser, Karl Thieme, sei das gesagt — zu sehr in den Höhen schwebende, im Historischen völlii ungenügende, weil die überragend wichtige Rolle des Ostjudentums und die bis zum Herbst des Mittelalters zurückreichende Vorgeschichte vernachlässigende Darstellung des Zionismus, die zudem konkrete) Angaben über die Organisation, Statistik entbehrt. Einspruch aber müssen wir gegen den, zweifellos gutgemeinten, Artikel Widerstandsbewegung erheben. Er erweckt der Eindruck, als habe es derlei nur gegen den deutschen Nationalsozialismus innerhalb des Altreichs und gegen den Kommunismus gegeben. Der Verfasser des ersten Abschnitts, Paul Kluke, widmet den deutschen aktiven Kämpfern gegen das Hitler-Regime vier Spalten. Nur so nebenbei werden auf einer halben Seite die Resistance in Dänemark, Norwegen, Holland, Österreich und Frankreich abgetan. In Wirklichkeit war jedoch — von jeder positiven oder negativen Legende entkleidet — der in Deutschland auf eine zahlenmäßig sehr geringe geistige und soziale Elite beschränkte aktive Widerstand, seinem Umfang wie auch seinen Ergebnissen nach, überhaupt nicht in Vergleich zu setzen mit dem in Polen, Jugoslawien, der Slowakei und in Griechenland. Stro-bels Abschnitt über den Widerstand gegen die kommunistischen Zwingherren ist weniger anfechtbar, setzt aber ebenfalls häufig falsche Akzente, so etwa bei der Übersicht über das polnische Podziemie.

Jetzt der biographische Teil. Ähnlich wie für den religiösen ist hier das Alphabet Ursache einer gewissen „Magerkeit“. An überragenden Persönlichkeiten sind nur St. Vinzenz von Paul (knappest, gut), Washington (hervorragend), Max Weber (mit Recht gebührend ausführlich, in seiner Universalität erfaßt), Wilson (gerecht, einsichtig), Zwingli (kurz, zutreffend) zu nennen. Unbegreiflich ist das Fehlen von Veuillot, Vico, Voltaire.

Doch nun zu dem, was, abgesehen von den bereits gerühmten länderkundlich-historischen Darstellungen den Hauptwert, den großen und dauernden Ertrag dieses achten Bandes ausmacht: den volkswirtschaftlichen und juridischen Darstellungen, samt denen der Grenzgebiete dieser Disziplinen. Da ist ein kleiner Lehrgang der Verwaltungskunde: drei Dutzend Spalten, kein Wort zuviel, alles Wesentliche darinnen, dominierend die drei Beiträge von Franz Mayer. Da gibt Hans Besters auf wenigen Spalten, deren Titel vielleicht eher als „Vollbeschäftigung“, „Beschäftigungskunde“ hätten lauten sollen, den Politikern die theoretischen und praktischen Grundlagen eines der Demagogie zu entreißenden Kernproblems unserer Zeit. Besters Stichwort Zahlungsbilanz vereinigt sich mit dem nicht minder ausgewogenem über Wechselkurse, von Frank Dorow, zu einer zweiten belehrenden Mahnung an jene Unzuständigen, die nur zu oft mit Rezepten volkswirtschaftlicher Doktoren Eisenbart die Gesundheit der Währung und der gesamten nationalen Wirtschaft hegen oder bessern wollen.

Die Artikel über Weltwirtschaft (Erwin von Beckerath und Klaus E. Rohde) wie über die Weltwirtschaftskrise haben mich entzückt. Dem Artikel Wessels über Wettbewerb wünschte ich, daß er der Rolle dieses wirtschaftlichen Faktors auch in den sozialistischen (kommunistischen) Staaten einige Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Sehr starken Beifall wecken die Schlagworte Wirtschaft (Heinz Müller, Bruno Dietrichs), wiewohl ich zu dem einfachen Schema Marktwirtschaft-Planwirtschaft das erweiterte Marktwirtschaft - Planwirtschaft -außerwirtschaf tlichen-Zwecken - die-nende-Wirtschaft gegenüberstellen möchte. — Das näher zu begründen ist hier nicht der Ort. — Durchaus befriedigen die gedankenreichen Beiträge: Wirtschaftliche Konjunkturen (Hans Besters) und Wirtschaftliches Wachstum (Klaus Rose). P. Oswald v. Neil-Breunings großartiger und unter Wahrung des sittlichen, christlichen Niveaus dennoch von Träumerei und Schwarmgeist, Rührseligkeit und Puritanismus gleichfreier Artikel über Wirtschaftsethik bietet die willkommene Gelegenheit, auf andere wertvolle Mitarbeit dieses bedeutenden Jesuitenpaters hinzuweisen.

Drei Volltreffer nunmehr: Wirtschaftspolitik (Walter Adolf Jöhr; ach, warum hat auch dieser unbefangene, weiten Horizont besitzende Gelehrte nicht eine einzige der grundlegenden sowjetischen Darstellungen genannt?); Wirtschaftssysteme (Gerhard Stevenhagen; dieselbe nur rhetorische Frage wie eben zuvor); Wirtschafts- und Sozialgeschichte (Clemens Bauer). Wiederum ausgezeichnet: Wirtschaftswissenschaften (Heinz Müller). Endlich die klaren, von Überschwang freien und darum besonders überzeugenden Worte von Karl Holzamer über Rolle und Bedeutung, Aufgabe und Ziel der Wissenschaft. Im Geiste dieser Selbsterforschung über Ertrag und Zweck der bewältigten und geordneten, in Zusammenhang gebrachten und nutzvoll angewandten Erkenntnis ist das gesamte Staatslexikon geplant und abgefaßt worden. Es wird auf lange Jahre hinaus für die deutsche Sprachgemeinschaft der maßgebende Ratgeber über die Gebiete der von ihm behandelten Wissenszweige sein.

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