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Ein Grenzland baut auf

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Wenn in der Zeit vom 12. bis 20. Oktober 1957 in Eisenstadt auf dem Kasernengelände die Burgenländische Landesausstellung 1957 in Szene geht, gibt das Burgenland damit seine Visitenkarte ab.

Die Landesausstellung soll in zwei Richtungen aufklärend wirken. Sie soll erstens ein abgerundetes Bild über die im Lande geleistete Arbeit geben, soll aber auch aufzeigen, was die Erste und die Zweite Republik diesem Lande bisher schuldig geblieben sind.

Das übrige Oesterreich kann sich keine Vorstellung machen, unter welchen Bedingungen die burgenländische Verwaltung bei der Wiedererrichtung im Oktober 1945 ihre Arbeit begann. Das Regierungsgebäude war von den Russen besetzt, der Eintritt in das Schloß des Dr. Paul Esterhazy, in dem jetzt die Regierung und das Amt der Burgenländischen Landesregierung amtieren, konnte erst nach langwierigen Verhandlungen erreicht werden. Kein Telephon, kein Schreibtisch, ja nicht einmal ein Bleistift war vorhanden.

Die ersten Nationalratswahlen im Jahre 1945 konnten tatsächlich nur durch ein Kuriersystem von Gemeinde zu Gemeinde organisiert werden.

Die Verwaltung wurde eingerichtet, der Aufbau begann. Vorerst auf sich selbst gestellt, weil Bundeshilfe nicht zu erwarten war, erfolgten die notwendigsten Arbeiten der Instandsetzung von Brücken und Wegen.

Die beiden großen Parteien schlossen eine Koalition und wollten in gemeinsamer Arbeit und Verantwortung für das Land sorgen. Tausende von Wohnungen waren vernichtet, Kirchen und Schulen zerschossen und verbrannt, Straßen und Wege unwegsam gemacht. Das erste Budget des 1 945 gewählten Landtages nahm bereits Rücksicht auf all die Notwendigkeiten des Landes.

Die Rückschau auf die Leistungen seit 1945 läßt fast ein stolzes Gefühl der Befriedigung aufkommen. Heute darf festgestellt werden, daß das Burgenland dem seit 1921 angestrebten Anschluß an das übrige Oesterreich näher ist als je zuvor.

Unser Straßennetz wird gerne befahren, weil es im wesentlichen in Ordnung ist. Die Nord- Süd-Verbindung als die Lebensader unserer Wirtschaft, schon der Traum der Ersten Republik, wird in wenigen Jahren ohne eine einzige Bahnübersetzung fertiggestellt sein. Die ungesunde Bodenverteilung erfuhr erst in jüngster Zeit eine Korrektur, die man als ersten Schritt für weitere Maßnahmen bezeichnen muß. Die Ringwasserleitung wird das nördliche Burgenland, das schlecht mit Wasser versorgt ist, aufschließen. Kanalisierungen sind in ausgedehntem Maße in Angriff genommen. Keine Gemeinde des Burgenlandes ist ohne elektrisches Licht.

Ein Kranz von neuen Schulbauten überzieht das ganze Land. Der Bund erbaute die Mittelschule in Eisenstadt, half mit beim Ausbau der Mittelschulen in Mattersburg und Eisenstadt. In Pinkafeld erstand die Landesberufsschule für die holz- und metallverarbeitenden Gewerbe. Mehr als 50 Schulen für die Pflichtschüler konnten im Zusammenwirken von Land und Gemeinden erbaut werden. Das Kindergartenwesen blickt auf eine Anzahl von modernen Kindergärten.

Durch die Schaffung des Wohnbauförderungsfonds der Regierung konnten Tausenden von Bewerbern Darlehen für den Bäu vön ftetifcn Wohnungen gegeben werden. Wie glücklich diese Maßnahme war, zeigt die Tatsache, daß in allen Teilen des Landes neue Wohnungen entstanden sind.

Die Landwirtschaft ging daran, ihre Wirtschaften zu modernisieren und zu mechanisieren. Tausende von Traktoren sind in Betrieb und erleichtern die schwere Arbeit der Bauern.

Eine schwere Sorge bereiten dem Lande die tausende Arbeiter, die im Burgenland mangels entsprechender Industrien nicht beschäftigt werden können und alljährlich in andere Länder ziehen müssen, um ihren Familien das Brot zu verdienen. Noch immer sind es rund 16.000 Arbeiter, die dieses Los zu ertragen haben.

Noch ein Wort zum zweiten Sinn dieser Leistungsschau. Sowohl die Erste als auch die Zweite Republik sind dem Lande, das seit Jahrhunderten viel zu ertragen hatte, viel schuldig geblieben. Das Land an der Grenze, am Stacheldraht, das Land an der Scheide zweier Welten, entbehrt notwendiger Einrichtungen, die für jedes andere Land eine Selbstverständlichkeit sind. Wir haben kein Landesgericht, keine Finanzlandesdirektion, es fehlen auch notwendige Finanzämter, hier ist keine Post- und Telegraphendirektion, es fehlt auch ein Zentralgebäude für Gendarmerie und Polizei.

Es muß auch noch gesagt werden, daß vom ERP-Geldstrom fast nichts ins Burgenland geflossen ist. Eine einzige Stadt des Westens hat mehr, ja ein Vielfaches von dem erhalten, was das ganze Burgenland erhalten hat.

Die Ausstellung soll unsere Arbeit zeigen, soll wieder einmal klarmachen, wie fleißig dieses Grenzvolk ist, wie treu es zu seinem Vaterlande Oesterreich steht. Hat es nicht gerade in den Oktobertagen 1956 und in den darauffolgenden Monaten seine Hingabe, seine Opferbereitschaft gezeigt? Kein Burgenländer hat Angstkäufe getätigt, keiner hat seine Heimat verlassen in jenen Tagen, als andere bereits gepackte Koffer bereitgestellt hatten!

Das jüngste Kind Oesterreichs will Oesterreichs würdig sein und noch würdiger werden, will mitbauen an der Neugestaltung von Gegenwart und Zukunft, will aber nicht schlechter bedacht und betreut sein als die anderen, die eine glücklichere Vergangenheit hatten als wir, die wir seit Jahrhunderten die Dornenkrone des Grenzlandes zu tragen hatten.

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