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Ein großes Spiel

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Der 21. August 1968, jener Tag, an dem die Truppen des Warschauer Paktes die Tschechoslowakei besetzten, ist fast schon vergessen. Vergessen aber hat diesen Tag nicht Moskau, und mit ungewöhnlicher Energie hat es die Zeit seit diesem Tag genützt, um seine Bastionen auszubauen.

Rußlands Politik wird von zwei Maximen beherrscht:

• Sich gegen eine Auseinandersetzung mit dem iimmer drohender werdenden Ghana so zu rüsten, daß diese Aaiseinandersetzuing auf jeden Fall zugunsten Rußlands ausgeht.

• Eine Wiedervereinigung Deutschlands so lange zu verhindern, als diese Wiedervereinigung von einem Westdeutschland ausgeht, das vollständig ■auf der Seite des Westens steht. China im Osten und ein vereinigtes Deutschland im Westen, das ein Verbündeter der westlichen Alliierten ist, das sind die großen Traumata Rußlands. Und gegen diese Gefahren wappnet sich Rußland seit Jahren.

Der Einmarsch in die CSSR am 21. August 1968 war nur ein konsequenter Schritt auf der Bahn dieser Politik. Denn Rußland konnte an seiner Westflanke nipht einen Satelliten dulden, der einen sogenannten liberalen Kommunismus predigte. Denn ein solcher liberaler Kommunismus birgt es in sich, daß eines Tages der Kommunismus aus dieser Verbindung verschwindet und der Liberalismus überbleibt. Eine libera-lisierte CSSR hätte unweigerlich diesen Virus an Polen, Ungarn, Rumänien und Ostdeutschland weitergegeben. Und so mußte dieser Virus zerstört werden, bevor er auf die übrigen Ostblockstaaten übersprang und damit die Ostblockstaaten aufgeweicht hätte, die doch ein eisernes Festungsvorfeld Rußlands sind. Der Einmarsch in die CSSR vor zwei Jahren war nur der Beginn der Vermehrung dieses Virus in der MoMau-repuibllk. Ale Männer, von Dubcek angefangen, die an der Entwicklung des sogenannten Prager Frühlings beteiligt waren, verschwanden seither in der Versenkung. Alle Liberalisierungen im Pressewesen, in der Wirtschaft wurden aufgehoben. Die Reisen der Tschechen und Slowaken in dein freien Westen, der große Traum von zwei Jahrzehnten, der sich im Jahre 1968 erfüllte, wurden radikal eingestellt. Die CSSR selbst wurde in einen tschechischen und einen slowakischen Staat geteilt, welche Teilung es jederzeit möglich macht, die eine Staatshälfte gegen die andere auszuspielen. „Wer Böhmen hat“, sagte schon Bismarck, „ist der Herr Mitteleuropas.“ Gemäß dieser These ist heute Rußland der Herr Mitteleuropas. Von dieser Bastion aus beherrscht es Warschau, Budapest, Ostdeutschland. Aber auch auf internationalem Gebiet war Rußland nicht müßig, seine Bastionen auszubauen. Bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten in Berlin im März 1969 spielte es die Berlinfrage in einer derartigen Weise hoch, daß man den Eindruck hatte, Rußland wolle nichts anderes erreichen als ein starkes Engagement der USA für Europa (das eines Tages Rußland zugute kommen könnte). Denn trotz aller scheinbaren Feindschaft, ist die Politik Rußlands darauf gerichtet, mit den USA nicht in Konflikt zu kommen, sondern immer wieder eine Einigung zwischen dem weißen und dem roten fünfzackigen Stern herbeizuführen.Sichtbares Zeichen dafür ist die im heurigen Jahr abgehaltene Konferenz in Wien (SALT), die sich um die Beschränkung der Atomrüstung zwischen beiden Staaten erfolgreich bemühte.

Und die Friedensaktionen der USA zwischen Israel und Nasser wären nicht von Erfolg gekrönt, wenn nicht Rußland stillschweigend dahinter stünde. Wohl lieferte Rußland Nasser immer wieder Waffen und Instruktoren, aber damit zwang es die Israelis einerseits, immer eine sehr starke Armee zu erhalten (die vielleicht eines Tages auf der Seite Rußlands stehen könnte), es machte sich damit Nasser und die Araber zu Freunden und erhielt dadurch Flottenstützpunkte im Mittelmeer von denen aus es Albanieni, den europäischen Satelliten Pekings, in Schach halten kann. Es bekam Nasser ganz in die Hand, denn über diesem schwebt seither immer die Drohung, daß Rußland seine Waffen und seine Instruktoren abholen werde. Und ohne diese könnte Nasser niemals einen Krieg führen. Und so muß er sich dem Wunsch Rußlands beugen, wenn dieses will, daß der Friede zwischen Israel und den arabischen Staaten auf Grund der USA-Intervention hergestellt wird. Während Rußland Kontakte mit Tschiangkaischek, dem Herrn von Nationalchina und erbitterten Gegner von Mao, aufnahm, ließ es in Westeuropa einmal im Jahre 1968 de Gaulle und im Jahre 1969 Pompidou den Sieg in Frankreich erringen. Ohne die Nichteinmischung Rußlands in den französischen Wahlkampf wären beide Siege unverständlich. Im Juni 1969, bei der Stichwahl zwischen Pompidou und Poher, gaben die kommunistischen Gewerkschaften Frankreichs sogar die Empfehlung an ihre Mitbürger, Sich am Wahlkampf nicht zu beteiligen, wodurch der Sieg Pompidous gesichert war. Denn ein starkes, bündnisfähiges Frankreich, das ein Gegner der Wiedervereinigung Deutschlands ist, ist Rußland immer noch lieber als ein kommunistisches, von inneren Wirren zerrissenes Frankreich, das trotzkistischen Ideen womöglich zugänglich ist und vielleicht sogar einen Flirt mit Peking beginnt.

Und die Krone seiner Bemühungen, seine Position zu festigen, erhielt Rußland in dem Vertrag, den es mit Bonn abschloß. Jetzt endlich sind die neuen Grenzen an seiner Westflanke garantiert, jetzt endlich wird es eine Wiedervereinigung Deutschlands höchstens von der DDR aus geben. Jetzt endlich erst kann Rußland mit Beruhigung einer Auseinandersetzung mit China entgegensehen. Daß es Rußland wirtschaftlich selbst nicht gut geht, daß seine Bewohner noch immer an vielem Mangel leiden, ebenso wie die Bewohner der Satellitenstaaten, die außerdem ihren Traum von Freiheit für lange Zeit begraben mußten, das schert die heutigen Zaren im Kreml ebensowenig, wie es die früheren Zaren scherte, die ihre Bauern verhungern und in Unfreiheit verkommen ließen, während sie für die Befreiung der Orthodoxen blutige Kriege führten. Rußlands Politik war immer frei von allen Emotionen. Es war fast immer eine reine Machtpolitik, geboren aus der schrecklichen Existenzangst, die die ganze russische Geschichte überlagert und die es durch einen von Messianismus verbrämten Imperialismus zu paralysieren versucht.

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