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Ein junger Mann namens Sehnsucht

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Dimitrij Schepilow war der kurzlebigste Außenminister in der sowjetischen Geschichte. Es sind noch keine neun Monate vergangen, seit er auf diesen Posten berufen wurde, und schon ist er wieder geschieden. Nun, von wirklich weittragender Bedeutung für die sowjetische Außenpolitik ist der Wechsel auf dem Außenministerposten nicht. Als Schepilow ernannt wurde, war es von vornherein bekannt, daß es keine Schepilowsche Außenpolitik geben würde, sondern nur ein Mann gesucht war, der als Leiter eines diplomatischen technischen Apparates die außenpolitischen Direktiven des Parteipräsidiums durchzuführen hatte. Selbst wenn Schepilow ein außenpolitisches Genie gewesen wäre, besitzt der heute 51jährige (also noch ein junger Mann für den Kreml) nicht die Autorität, um eine eigene Außenpolitik durchzusetzen. Die Absetzung Schepilows bedeutet auch nicht, daß er direkt versagt hat. Er hatte bis jetzt gar keine Gelegenheit, zu versagen oder sich zu bewähren.

Das beweist auch die Tatsache, daß er wieder zu einem der Sekretäre des Zentralkomitees der Partei gewählt wurde. Schepilow wird sich wohl in den letzten Monaten davon überzeugt haben, daß der Posten eines der Parteisekretäre viel einflußreicher ist als der eines Außenministers. Doch soll auch Schepilow in einem gewissen Sinne versagt haben, nämlich rein administrativ und nicht politisch, als Leiter des diplomatischen bürokratischen Apparates. Es ist ihm, ohne daß er auf die direkte Feindschaft der sowjetischen Berufsdiplomatie stieß, nicht gelungen, sich hier persönlich durchzusetzen. Das ist auch erklärlich. Seit bald 40 Jahren teilt ein ungeschriebenes Gesetz, eine feststehende Tradition. den öffentlichen Dienst der Sowjetunion in drei „Linien”. Wir würden wohl besser sagen in drei streng getrennte Karrieren: die Partei-, die sowjetische (Staatsdienst) und die gewerkschaftliche Karriere. Die letztere hat seit zwei Jahrzehnten ihren eigenen Charakter so ziemlich verloren. Versetzungen von Gewerkschaftsfunktionären in den eigentlichen Staatsdienst kommen jetzt öfter vor. In voller Schärfe aber besteht weiter die Trennung zwischen dem eigentlichen Staatsbeamtentum und den Funktionären des riesigen Parteiapparates. Aeußerst selten erfolgt ie Ernennung eines Parteifunktionärs auf einflp,,, S.tąatspasten, nocji,. seltener die ; Staatsbeamten zum. Parteifunktionär. Die Personalunion zwischen Staat und Partei wird nur in den obersten Spitzen verwirklicht, im früheren Politbüro und jetzigen Parteipräsidium, aber auch in einem Teil des Zentralkomitees der Partei.

Schepilow war der erste Parteifunktionär im Amte eines Außenministers. Denn auch Molo- tow, obwohl seit Jahrzehnten Mitglied des Politbüros. war sein ganzes Sowjetleben der typische Vertreter der sowjetischen Staatsbürokratie. Schepilow dagegen hat sein ganzes Leben als Parteifunktionär verbracht. Denn auch der Chefredakteur der „Prawda” ist ein Parteifunktionär, zum Unterschied vom Chefredakteur der „Iswestija”, der ein Staatsfunktionär ist. Der Posten als Chef der „Prawda” war auch der Wendepunkt im Leben Schepilows nach der Außenpolitik hin. Nach dem Tode Stalins sollte die parlamentarische Attrappe des Sowjetstaates frisch angestrichen und lackiert werden. Zur Belebung der Tätigkeit des Obersten Sowjets begannen beide Kammern dieses Sowjets, nach westlichem Vorbilde, Ausschüsse zu wählen. So entstand auch der Außenpolitische Ausschuß des Rates der Nationalitäten.

Schepilow wurde der Vorsitzende dieses Rates. Auf diese Weise kam er in Berührung mit jenen Kreisen, die sich in Moskau mit Außenpolitik beschäftigen. Er wurde auf die Reisen Chruschtschows und Bulganins mitgenommen. Der Sinn bestand vor allem darin, daß die Mitgliedschaft Schepilows in diesen sowjetischen Delegationen Demokratie Vortäuschen sollte. Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Nationalitätenrates des Obersten Sowjets symbolisierte die parlamentarische Kontrolle und vor allem die Beteiligung aller Völker Rußlands an der Außenpolitik der Sowjetunion. Wie so oft, hat aber die Außenwelt diese im Kreml ausgedachte Finesse nicht gemerkt.

Wahrscheinlich hat Schepilow selbst sich sein Leben und seine Tätigkeit als Außenminister anders vorgestellt, als sie in der Wirklichkeit sind. Besonders gut informierte ausländische Diplomaten in Moskau haben schon seit Wochen gehört, daß Schepilow sich nach seiner alten Tätigkeit zurücksehnt. Das wäre auch durchaus verständlich. In Moskau, insbesondere in den Parteikreisen, heißt es immer wieder, das Außenministerium sei eigentlich bereits Ausland. Die Sowjetdiplomaten, auch wenn sie sich in Moskau befinden, sind gezwungen, ein „ausländisches” und kein „sowje tisches” Leben zu führen. Noch jeder sowjetische Außenminister, außer Molotow, hat im Laufe der Jahre seine Kontakte mit dem innerrussischen Parteileben verloren. Um diese Kontakte zu pflegen, muß man sich ja mit seinen Genossen immer wieder privat und kameradschaftlich treffen, auch viele Veranstaltungen besuchen. Ein sowjetischer Außenminister hat dazu keine Zeit. Er ist eigentlich Tag und Nacht im Dienst, seine Abende sind durch pflichtgemäße Repräsentation ausgefüllt. Er verkehrt in der Sowjetwelt nur mit seinen beiden Vorgesetzten, dem Ministerpräsidenten und dem Parteisekretär. Schepilow, sein ganzes Leben gewohnt, sich ständig in der sehr lebendigen Atmosphäre des innerrussischen Parteilebens zu bewegen, ist sich auch bestimmt bewußt, daß er auf die Dauer dem innerparteilichen Leben genau so entfremden würde, wie vor ihm ein Tschitscherin, Litwinow oder später Wyschinski. Das schlimmste ist aber, daß ein Außenminister für seine Freunde uninteressant wird. Jeder Parteifunktionär, jeder mittlere Beamte in einem Wirtschaftsministerium, jeder verantwortliche Angestellte der Industrie und des Handels kann einem nützlicher sein als ein Außenminister. Was hat der Außenminister schon zu vergeben, was kann er schon arrangieren?

Es ist also wahrscheinlich, daß die Gerüchte, Schepilow habe sich wieder in die Atmosphäre der Parteizentrale gesehnt, der Wahrheit entsprechen. Es wird übrigens auch behauptet, man habe erkannt, daß Schepilow noch nicht die Routine besitzt, sich sicher auf dem diplomatischen Parkett zu bewegen. Vor allem bezweifelt man, daß Schepilow für die vom Kreml in der nächsten Zeit geplanten internationalen Treffen auf Außenministerebene erfahren und wendig genug ist. So lange aber, bis er diese Routine erworben hat, kann die sowjetische Außenpolitik nicht warten!

Gromyko und Patolitschew: zwei Dioskuren?

Da ist gerade Andrej Gromyko der richtige Mann! Er ist ein typischer Beamter der Sowjetkarriere und nie Parteifunktionär gewesen. Der, nevje Außeflininist starr\mt ta|sächlijch -r- das würde , ilijn heute kęiner anmerk,ęn, — aus einer proletarischen Familie. Wie auch viele andere, die heute auf hohen Posten sind, ist er in buchstäblichem Sinne ein Sohn der Revolution. Gleich zu Beginn der Revolution erfaßte den jungen Gromyko der Wissensdurst. Er ging auf die Arbeiterfakultät, eine Lehranstalt, die damals Proletarier in Schnellkursen für das Hochschulstudium reif machen sollte, absolvierte die Universität, kam dann noch auf Spezialhochschulen, bis er schließlich im Institut der roten Professur landete. Dieses Institut sollte damals aus ehemaligen Proletariern und zuverlässigen Parteimitgliedern Hochschullehrer und Wissenschaftler heranbilden. Eigentlich wollte er auch das werden — ein Wissenschaftler.

In den Jahren 1937 und 1938 zerschlug Staljn das alte Volkskommissariat des Aeußerea,_, . Der-Stellvertretende Volkskommissar für Aeuße- res, Krestinsky, mit ihm viele seiner Kollegen. Botschafter und Gesandte, wurden e r- schossen. Andere Beamte des Außendienstes kamen in die Zwangslager oder in die tiefe Provinz. Fast niemand blieb von den alten Sowjetdiplomaten, von denen übrigens auch niemand proletarischer Abstammung war. Ein 1 Teil gehörte sogar dem früheren Adel an, die anderen entstammten samt und sonders der bürgerlichen Intelligenz.

Damals nun kam Gromyko zum Zug. Der rote Professor mit seiner einwandfreien proletarischen Abstammung erhielt gleich einen hohen diplomatischen Posten. Er bewährte sich im Sinne des Kremls. Er ist so, wie die Elite der Jungkommunisten zwischen 1922 und 1928 erzogen wurde: diszipliniert, schweigsam, zurückhaltend, zuverlässig, beinahe wie das Ideal eines königlich-preußischen Beamten. Die Oeffentlichkeit kennt nur den redeunlustigen, beinahe schweigsamen Gromyko, eine Art sturen Neinsagers. Doch das ist er nur in der Oeffentlichkeit und in Hörweite der Presse. Die ausländischen Diplomaten kennen einen anderen Gromyko. Einen sehr lebendigen, geschickten Unterhändler, einen oft überzeugenden interessanten Gesprächspartner. Mit anderen Worten: einen sehr tüchtigen, sattelfesten Diplomaten. Vor einigen Jahren ist Gromyko auch Mitglied des Zentralkomitees der Partei geworden. Die Sowjetdiplomatie stellt beinahe immer ein einziges Mitglied dieses Parteiparlamentes.

Daß Schepilow erst nach der Tagung des Obersten Sowjets vom Posten des Außenministers abtrat, ist nicht weiter verwunderlich. Zwischen den zwei Tagungen des Obersten Sowjets war er der Außenminister. Wenn heute das Sowjetparlament propagandistisch in den Vordergrund gestellt und aufgewertet wird, so wäre es merkwürdig, wenn ein erst seit kurzem ernannter Außenminister den außenpolitischen Rechenschaftsbericht Tvorlegte. Im Sirine der Sowjetverfassung, die jetzt scheinbar i so ernst , genommen wird, mußte Schepilow erst Rechenschaft über sein Ressort ablegen, sein Bericht mußte vom Obersten Sowjet gebilligt werden: erst dann konnte er gehen. Das nachfolgende Plenum des Zentralkomitees der Partei wählte ihn dann zu einem der Parteisekretäre. Damit war sein Rücktritt als Außenminister gegeben.

Neu ist hier die gesteigerte Bedeutung, die das Zentralkomitee der Partei in letzter Zeit erhalten hat. Früher wurden solche personelle Veränderungen vom Politbüro beschlossen und erst viel später vom Zentralkomitee ratifiziert.

Beinahe noch interessanter als die wachsende Bedeutung des Zentralkomitees oder der Wechsel auf dem Posten des Außenministers ist die Ernennung Nikolaj Patolitschews zum Ersten Stellvertreter des Außenministers. Patol1’- tschew ist ein alter Parteifunktionär. Vor nicht langer Zeit wurde er ins Außenministerium versetzt und jenen Abteilungen übergeordnet, denen der Verkehr mit den Volksdemokratien obliegt. Damit offenbart sich die Zweigleisigkeit des diplomatischen Verkehrs mit diesen Staaten. Es handelt sich eben nicht um einen normalen diplomatischen Verkehr, sondern auch um die Verbindung der sowjetischen Kommunistischen Partei zu den Kommunistischen Parteien in den Volksdemokratien. Beides wurde in der Hand eines einzigen Mannes vereinigt, der vor allem die Erfahrungen eines Parteifunktionärs haben mußte. Daß Patolitschew jetzt zum Ersten Stellvertreter des Außenministers befördert wurde, beweist, welche Bedeutung der Kreml heute seiner Politik gegenüber den Volksdemokratien beimißt. Denn, genau genommen, besitzt die Sowjetunion heute zwei Außenminister. Gromyko für den Verkehr mit der sogenannten „kapitalistischen Welt”, und Patolitschew für die ,,sozialistische” Welt. Erst die Zukunft wird zeigen, ob die Zweiteilung des sowjetischen Außenministeriums so bleiben wird, ob jeder der beiden sich an seine Kompetenzen halten wird, oder aber, ob innerhalb der Sowjetdiplomatie ein stiller Kampf um die eigentliche Leitung entbrennt. Ein stiller Kampf, wie er einst schon einmal zwischen Tschitscherin und seinem Ersten Stellvertreter, Litwinow, jahrelang geführt wurde.

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