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Ein klassisches Wirtschaftsland

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Seit mehr als einem Jahrzehnt hat Vorarlberg in jedem Sommer die Ehre, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen. So öffnete heuer am 13. Juli die Dornbirner Messe ihre Pforten, und am 20. Juli werden die Bregenzer Festspiele in gewohnter Feierlichkeit mit ihrem Programm einsetzen. Vielleicht liegt ein ungewollter Sinn darin, daß das Unternehmen der Wirtschaft den Anfang macht und auf ihrer gesunden Grundlage die Kultur ihre Blüten entfaltet.

Es ist schon oft gefragt worden, welchem besonderen Umstand Vorarlberg seine ökonomischen Erfolge verdankt. Unser Land ist zwar sehr schön, jedoch bei der Verteilung der Naturschätze nicht gerade verschwenderisch bedacht worden. Wogende Kornfelder sucht man in Vorarlberg vergebens, und unsere Bodenschätze sind gering; mit Vorarlberger Kohle hat man nur während der beiden Weltkriege geheizt, weil im Augenblick der Normalisierung der Wirtschaft unser Bergbau höchst unrentabel wird.

Dennoch bringt Vorarlberg 7 Prozent der österreichischen gemeinschaftlichen Bundesabgaben (Wien nicht mitgerechnet) auf, während es doch nicht einmal 4 Prozent der Einwohner zählt. Es ist also der Fleiß und die Sparsamkeit unserer Bevölkerung, welche die Industrialisierung ermöglicht und Vorarlberg an die Spitze der einheimischen Wirtschaft gerückt haben. Die Grenzlage wurde vom Vorarlberger Volk als besondere Aufgabe betrachtet. Es ist natürlich ein Scherz, daß unsere Rheintalgemeinden den Beitritt zum Gemeinsamen Markt davon abhängig machen sollen, ob sie im vereinigten Europa wieder an eine Grenze kommen . .. Die Grenzbevölkerung hat einen sechsten Sinn dafür, daß im einen Lande der Kaffee, im anderen das Rasieren billiger ist. Sie lernt aber damit wirtschaftlich denken, und zwar über die eigenen Gemeinden hinaus. Der Vorarlberger Wirtschaftstreibende ist von jeher gewohnt, zu sehen, wie der deutsche oder der Schweizer Nachbar mit den Problemen fertig wird, und daraus seine Schlüsse zu ziehen. Er nimmt das an, was er als geschickter betrachtet, und lebt in einer erzwungenen, darum aber um so wirksameren Konkurrenz.

Es ist ganz falsch, wenn früher gelegentlich Vorarlberg als ein stilles „Ländle“ betrachtet wurde, das sich in seinen-eigenen ProlHerhen erschöpfe: ' Auch vor ■ den Seiten ds großen Fremdenverkehrs und äcf überstaatlichen Wirtschaftsblöcke war ein solches Urteil ganz verfehlt. Man muß nur in unseren Zeitungen die Todesanzeigen mit Verstand lesen. Bei Männern und Frauen von 80 und mehr Lebensjahren, deren Jugend also in den Anfang unseres Jahrhunderts, in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg fiel, ist oft eine große Zahl von Kindern und Enkeln unterschrieben, die sich auf mehrere Erdteile verstreuen. Diese Todesanzeigen beweisen uns zweierlei. Einmal die große Kinderfreudigkeit des Vorarlbergers auch zu einer Zeit, da es noch keime staatlichen Kinderzulagen gegeben hat und die Einkünfte wesentlich geringer waren als in unseren Jahren des Wirtschaftswunders. Die zweite überraschende Tatsache liegt darin, daß schon früher, als man noch nicht in 24 Stunden ans andere Ende der Erde flog, die Wanderungs-freudigkeit sehr groß gewesen ist. Wir lesen immer wieder von Vorarlbergern in Nord- und Südamerika, in Südafrika und Australien. Die Auswanderer schufen wertvolle Geschäftsverbindungen. Einer meiner Angestellten wurde in Bangkok von einem Basarkaufmann gefragt, woher er käme; auf die Antwort, „aus Vorarlberg“, erwiderte der Thailänder, Vorarlberg sei doch das Land, wo Lustenau liegt, von wo die schönen Stickereien kommen ...

Auch ein Kapitel, das gegenwärtig im Vordergrund der öffentlichen Meinung steht, ist in Vorarlberg länger als anderswo interessant gewesen; ich meine die Entwicklungshilfe. Unter den Missionären und Kulturpionieren des vergangenen Jahrhunderts finden wir überdurchschnittlich viele Vorarlberger; ich brauche nur an den Gründer der südafrikanischen Mission, Abt Pfanner. zu erinnern. Heute haben für die Entwicklungshilfe auch Kreise Verständnis, welche die Aufgabe der Missionen nicht begriffen haben. Der Beitrag des Landes und verschiedener Gemeinden zur Entwicklungshilfe ist bei allen Parteien unbestritten. So haben wir Beihilfe für ein Studentenheim in Morogoro (Tanganjika) und für ein Männerwohnheim in Daressalam geleistet und werden uns am Bau einer Mädchenmittelschule in Tanganjika beteiligen. Auch hat der Vorarlberger Landtag 100.000 Schilling zu Händen des Afro-Asiati-schen Instituts und des Österreichischen Aus-landsstudentendienstes in Wien bewilligt. Hierdurch haben wir uns in die geistige Hilfe eingegliedert, welche in der Bundeshauptstadt den Studenten aus fremden Kulturkreisen zuteil wird. Ich möchte aber betonen, daß das moderne Schlagwort „Entwicklungshilfe“ an eine alte Vorarlberger Tradition anknüpft.

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