Ein "klerikofaschistischer Diktator"?

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In der Wochenzeitung "Zur Zeit" (Nr 39/1998) wird in der Kolumne "Köpfe und Karrieren" Engelbert Dollfuß als klerikofaschistischer Diktator bezeichnet. Weiters wird behauptet, die ideologischen und parteipolitischen Vorgänger der Freiheitlichen, die Abgeordneten der Großdeutschen Volkspartei und des Landbundes hätten bis 1934 "verzweifelt" versucht, die heimische Demokratie und den österreichischen Parlamentarismus vor dem Zugriff des autoritären Ständestaates von Engelbert Dollfuß zu retten.

Doch welche Rolle spielten die beiden "Vorläufer" der Freiheitlichen in der Zwischenkriegszeit? Ich zitiere als Zeitzeugen den langjährigen österreichischen Unterrichtsminister und Historiker Heinrich Drimmel: "Die Großdeutsche Volkspartei entstand 1920 anstatt der zahlreichen deutschnationalen Parteien aus der Zeit der Monarchie. In der Seipelära sind die Großdeutschen Koalitionspartner der Christlichsozialen. Als dritte Kraft überstand sie als Gesinnungs- und Kampfgemeinschaft im Bündnis mit der NSDAP Betätigungsverbot im Ständestaat. Nach 1945 Sammlung in der FPÖ.

Der Landbund entstand 1919 als Deutsche Bauernpartei und stützte sich, als Alternative zum Bauernbund, vor allem auf freisinnige und evangelische bäuerliche Bevölkerung. 1930 sandte er neun Abgeordnete in den Nationalrat. Nach dem Bruch der Christlichsozialen mit den Großdeutschen in der Amtszeit der Ära Dollfuß ist der Landbund Koalitionspartner in der Bundesregierung. Die Gefahr, im Bündnis mit Dollfuß das nationale Wählerpotential zu verlieren, führte zum Exodus aus dem Kabinett Dollfuß. Teile des Landbundes hielten weiter mit Dollfuß Kontakt. Andere kämpften in den Bauernwehren zusammen mit der SA während des Juliputsches 1934, dessen prominentestes Opfer der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß war. Anschließend Auflösung des Landbundes. Jene, die zu Dollfuß hielten gingen nach 1945 in die ÖVP. Die Deutschnationalen stießen zur FPÖ."

Soweit der "verzweifelte" Kampf der beiden Parteien um die Erhaltung der heimischen Demokratie und des österreichischen Parlamentarismus.

Das häßliche Wortgebilde "klerikofaschistisch", von der Linken erfunden und von ihr bis zum Überdruß strapaziert, ist anscheinend auch im rechten Lager salonfähig geworden.

Dollfuß war praktizierender Katholik, verbat sich aber die Einmischung des Klerus in die Politik. In einer Priesterversammlung im März 1934 äußerte er sich über den sogenannten Klerikalismus: "Der österreichische Priester würde Staat und Kanzler den größten Dienst erweisen, wenn er sich bemüht, ein ganz guter Seelsorger zu sein. Den Einfluß der Kirche auf die Politik lehne ich ab."

Die Politik des Bundeskanzlers bestand darin, eine Alternative sowohl zum Austromarxismus als auch zum Nationalsozialismus in Kraft zu setzen. Nämlich die Idee einer christlichen Sozialreform auf der Basis der christlichen Soziallehre (Quadragesimo anno). Die von Mussolini immer wieder verlangte Einführung des Faschismus in Österreich lehnte Dollfuß entschieden ab. Daher konnte der damalige amerikanische Gesandte in Österreich, Stockton, an seine Regierung berichten: "Das Regierungssystem Dollfuß ist keine Diktatur im Sinne Mussolinis oder Hitlers aufgrund revolutionärer Entwicklung. Die Integrität des Staates zu wahren ist das politische Ziel dieses Systems."

Fritz Bock, Zeitzeuge, KZ-Häftling und Minister in der Zweiten Republik, schrieb im Buch "Kampf um Österreich": "Die parteipolitische Diskussion gebraucht wiederholt das Wort vom ,Austrofaschismus'. Ein Begriff, der abzulehnen ist. Es gab keinen Austrofaschismus. Das ständestaatliche System war der Versuch einer eigenen österreichischen Staatsform, die dazu dienen sollte, dem Ansturm von außen (Nationalsozialismus) standzuhalten."

Abschließend "zum Zugriff des autoritären Ständestaates von Engelbert Dollfuß": Im März 1933 kam es durch eine merkwürdige Manipulation zur Selbstausschaltung des Parlaments. Der Sozialdemokrat Adolf Schärf äußerte sich Jahre später zu dieser grotesken Situation:"Mit der Preisgabe des Amtes des Ersten Präsidenten des Nationalrates hat sich die sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs kein gutes Bild in den Augen der wirklichen Demokraten geschaffen. Sie hat am 4. März 1933 die Partei über den Staat gestellt."

Bundeskanzler Dollfuß stand damals vor einer schwierigen politischen Entscheidung. Er entschloß sich, angesichts der Großoffensive, die vom nationalsozialistischen Deutschland gegen den Bestand Österreichs gestartet wurde, mit Hilfe des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917, zu dem ihm Robert Hecht, Verfassungsjurist des Bundeskanzleramtes, riet, die autoritäre Führung der Staatsgeschäfte zu übernehmen.

Hitler erkannte bald, was die Herausforderung Dollfuß' wirklich war: der erste Versuch, die junge Republik mit dem stolzen Geist des alten Österreich zu erfüllen. Das erste politische Programm, das auf der Behauptung eines unabhängigen österreichischen Staates beruhte und Hitler eigenes Bekenntnis, "ein Volk, ein Reich, ein Führer", ablehnte. Daraus zog Hitler die Schlußfolgerung, der Anschluß Österreichs könne nur über die Leiche des österreichischen Kanzlers erfolgen Am 25. Juli 1934 schlug ein Rollkommando der illegalen SS-Standarte 89 brutal zu. Der Bundeskanzler fiel auf seinem Posten. Im Regierungsgebäude auf dem Wiener Ballhausplatz.

Für den Londoner "Observer" war Dollfuß 1934 ein Märtyrer, der ein schwaches Österreich heroisch verteidigte. Er hat Österreich fünf von insgesamt zwölf Jahren NS-Herrschaft erspart. Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb: "Dollfuß war kein Diktator oder machtgieriger Autokrat. Er war ein Staatsmann, der seine Idee, die Unabhängigkeit Österreichs, mit harten Mitteln verteidigen mußte, die ihm ein brutaler Gegner selbst diktierte."

Tief betroffen von seinem gewaltsamen Tod waren vor allem Richard Coudenhove-Kalergi, Erwin Ringel, Viktor Frankl und besonders Karl Kraus, der öffentlich erklärte: "Gegen ihn bin ich keiner satirischen Anwandlung fähig!"

1984 gab das Wiener Stadt- und Landesarchiv eine Gedenkbroschüre heraus, für deren Inhalt Professor Felix Czeike verantwortlich zeichnete. Darin wurde darauf hingewiesen, daß im ständestaatlichen System von 1933 bis 1938 erstmals ein Österreichbewußtsein entstanden ist, an das schließlich im Widerstand gegen Hitler und vor allem nach 1945 wieder angeknüpft werden konnte.

Der Autor (Jahrgang 1922) nahm im Oktober 1938 an der Kundgebung katholischer Jugendlicher auf dem Wiener Stephansplatz teil.

Friedrich Heers "Vermächtnis" Unter dem Titel "Vermächtnis" standen im "Wiener" (Zeitschrift für Zeitgeist, 30. September 1983) folgende Aussagen Friedrich Heers zum Katholizismus der 30er Jahre: "... Ich wurde leidenschaftlicher politischer Katholik im christlichen Ständestaat. Ich habe, erschrecken Sie bitte nicht, ich habe sehr an Dollfuß gehangen ... Ich habe ja doch geglaubt, daß gegen Hitler die Mobilisierung eines politischen Katholizismus unersetzlich wäre ...

Dann mein Kampf als politischer Katholik, rot-weiß-rot bis in den Tod, bis zur großen Teilnahme an der einzigen Demonstration gegen die Nationalsozialisten auf den Straßen nach der Christkönigspredigt des Kardinal Innitzer, der sich durch uns junge Leute hinreißen hat lassen. Wir jungen Leute haben das ja auch wirklich geglaubt und sind dafür auch ins Gefängnis gekommen. Und einige der glaubensstärksten jungen Männer, die da mit mir waren, sind ja auch hingerichtet worden ..."

Der Katholik und Österreicher Dollfuß hat uns junge Menschen damals motiviert, gegen das NS-Regime anzutreten. Dollfuß als klerikofaschistischen Diktator zu bezeichnen, ist eine infame Unterstellung des politischen Gegners. A. P.

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