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Ein Landpfarrer in Polen...

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MONTAG: Heute stand ich um 7.30 Uhr auf. Man hatte mich aus dem Bett geklingelt. Ich mußte wegen einer Geburtsurkunde nach Deutschland schreiben, weil sie hier für eine Eheschließung gebraucht wird. Seit einem Jahr laufen die Menschen von Behörde zu Behörde und konnten bis jetzt nichts erledigen. Darnach stellte ich einen Taufschein aus. Ich verbrachte damit eine gute Stunde. Es folgten das Frühstück und die Durchsicht der Post. Sodann schwang ich mich aufs Fahrrad und fuhr zum Religionsunterricht in ein fünf Kilometer entferntes Dorf. Ich unterrichtete zuerst gemeinsam die 4. und 5. Klasse. Da die Lehrerin krank war, erschienen die Kinder schon früher. Anschließend unterrichtete ich die 3. und dann die 2. Klasse. Darnach gab es eine Pause von einer Stunde. Ich konnte im Ort ein Mittagessen bekommen, so daß ich deshalb nicht nach Hause zu fahren brauchte.

Nach dem Mittagessen gab ich noch der 1. Klasse Religionsunterricht. Verschiedene Frauen warteten bereits auf mich mit ihren Sorgen. Um 16 Uhr konnte ich endlich nach Hause fahren. Unterwegs erkundigte ich mich nach den Fenstern, die in Arbeit waren, weil die alten im Pfarrhaus mit den Rahmen herausfielen. Auch mußte ich mit dem Maurer sprechen, damit er sich die Risse in den Wänden und den wackeligen Schornstein ansehen kann. Schnell trank ich noch ein wenig Kaffee, las im Brevier und wieder warteten Menschen mit ihren Kümmernissen. Inzwischen läuteten die Ministranten zur Messe, da ich keinen Kirchendiener habe. Als ich alle Sorgen angehört und Trost gespendet hatte, gong ich in die Kirche. Die Vorbereitung zum Meßopfer dauerte nicht lange.

Nach der Abendmesse mußte ich noch die Darlehensangelegenheit für die Kirchenrenovierung erledigen. Unterwegs betete ich den Rosenkranz und dachte über allerlei nach, während ich auf dem Fahrrad saß. Durchgefroren kam ich nach Hause zum Abendessen. Doch meine Mutter war früher zu Bett gegangen. Sie hatte sich erkältet. Ich mußte uns beiden etwas zu essen machen. Nach dem Abendbrot war der Unterricht für morgen vorzubereiten. Wie gewöhnlich, kam ich nicht vor Mitternacht ins Bett,

DIENSTAG: Heute stand ich um 6 Uhr auf. Um 7 Uhr hielt ich die Messe. Die Kirche war leer, denn so früh kommt niemand hin. Dann wurde gefrühstückt und umgeräumt. Ich muß nämlich mein Arbeitszimmer verlassen und ziehe mit meinen Büchern in eine Dachkammer um. In meinem Zimmer will ich im Winter die Kinder unterrichten. Dieser Umzug dauert schon eine Woche, da man ja den Boden erst ein wenig aufräumen mußte, bevor die Bücher und die Möbel hochgeschleppt würden. Dafür fehlt ständig die nötige Zeit. Um 9.30 Uhr begann ich den Motor anzulassen. Für die weiteren Strecken habe ich neuerdings ein altes Auto, das mir, namentlich im Winter, viel Kummer bereitet. Dennoch ist es besser als ein Motorrad, auf dem ich innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als 200.000 Kilometer zurücklegte. Heute fühle ich es schon in den Beinen. So manches Mal kann ich vor Rheumatismus kaum niederknien, denn man fuhr ja nicht nur im Sommer.

Als endlich der Wagen ansprang, war es nach 10 Uhr geworden, und in einer halben Stunde begann mein Religionsunterricht.

Da die Erde um diese Jahreszeit festgefroren ist, konnte ich die Feldwege benutzen. So kürzte ich den Weg ab. Die Kinder saßen schon halb erfroren da, und der Unterricht konnte beginnen. Um 16 Uhr war ich fertig und kam zum Mittagessen nach Hause. Ich verschlang geradezu im Stehen mein Essen, weil ich um 17 Uhr in einem anderen Dorf für zwei weitere Unterrichtsstunden sein mußte. Die Kinder der 2. Klasse können hier noch nicht das „Vaterunser“ und „Gegrüßet seist du, Maria“. Man muß sich also für jede Schule und jede Klasse besonders vorbereiten.

Um 20.30 Uhr kehrte ich heim zum Abendbrot. Dann las ich im Brevier und besuchte das allerheiligste Sakrament. In der leeren, herrlich vom Mond erleuchteten Kirche betete ich den Rosenkranz. Abschließend bereitete ich den Unterricht für den nächsten Tag vor, durchdachte das Thema für die Sonntagspredigt und sprach -ein wenig mit meiner Mutter.

Nach Mitternacht begann ich, Liedertexte zu schreiben. Ich habe mir einen Druckkasten gekauft und will endlich einheitliche Lieder mit Tusche auf Papier drucken. In den Gesangsbüchern nämlich sind die Liedertexte verschieden. Wie soll man bei diesem Durcheinander die Menschen zum Singen bringen! Man muß halt selbst die Lieder schreiben. Ich möchte nur wissen, wer bei uns das „Imprimatur“ für die Gesangbücher gibt.

Mittlerweile war es 2 Uhr geworden. Für morgen stand eine Konferenz beim Dekan auf dem Programm.

MITTWOCH: Heute stand ich um 8 Uhr auf. Ich habe eine Erlaubnis, montags, mittwochs und sonnabends Abendmessen abzuhalten. Doch werde ich wohl täglich die Messe auf den Abend verlegen müssen, weil dann mehr Menschen in die Kirche kommen.

Noch vor dem Frühstück machte ich mich daran, den Motor zu starten und plagte mich damit eine Stunde ab. Er war eingefroren und wollte nicht anspringen. Inzwischen kamen die Maurer, um den baufälligen Schornstein auszubessern. Mit ihrer Hilfe schließlich brachte ich den Motor in Gang.

Nach dem Frühstück fertigte ich einige Besucher ab und fuhr zur Konferenz, kam jedoch zu spät. Um 17 Uhr war ich wieder zu Hause, las im Brevier, setzte den Umzug in die Dachkammer fort und las dann die Abendmesse. Anschließend aß ich Abendbrot, bereitete die Predigt vor und druckte meine Lieder weiter.

Heute will ich früher zu Bett gehen. Manchmal ist man so abgespannt, daß man alle Bewegungen fast automatisch ausführt oder gar stehend schläft. Es kommt vor, daß ich während des Religionsunterrichts einschlafe. Das einzige Mittel dagegen ist ein guter schwarzer Kaffee; aber auch er hilft nicht immer. Ich kann abends. Kaffee trinken, und im nächsten Moment schlafe ich wie ein Engel.

Von einem Theater- oder Opernbesuch darf ich nur träumen. Ist es sehr verwunderlich, wenn ein Kaplan in dieser Lage „umfällt“? Die Versuchungen, oftmals geschickt in Lob, Mitgefühl oder Freundschaft gekleidet, sind sehr groß.

DONNERSTAG: Den heutigen Tag begann ich um 6 Uhr, anschließend las ich die Messe. Darnach warteten schon mehrere ratsuchende Menschen auf mich. Die Handwerker kamen und begannen, die Anbauten vor dem Verfall zu retten. Wir besprachen, was und wie es zu machen war. Dann untersuchte ich mein Auto genauer, weil irgend etwas im Motor klopfte. Nachdem ich einige Schrauben festgezogen hatte und mich überzeugen konnte, daß ein Teil ausgewechselt werden mußte, frühstückte ich und fuhr los. Im acht Kilometer entfernten Dorf unterrichtete ich fast pausenlos bis 15.30 Uhr. Um 16 Uhr kam ich zum Mittagessen nach Hause, und wieder waren Menschen mit ihren Sorgen da. Kaum hatte ich den letzten angehört, mußte ich nochmals acht Kilometer in die entgegengesetzte Richtung meines Gemeindebezirks fahren, da dort um 17 Uhr Religionsunterricht angesetzt war. Ich kam mit 15 Minuten Verspätung. Hier warteten die Kinder der ganzen Schule von der 1. bis zur 6. Klasse auf mich. Wie soll man da unterrichten? Um 17 Uhr ist es dunkel und die Kinder können nicht in Altersgruppen eingeteilt und unterrichtet werden, weil sie in die entfernten Siedlungen geschlossen nach Hause gehen.

Ich nahm den Katechismus und das Alte Testament durch. Es kamen sogar manche Eltern und hörten aufmerksam zu. Am Abend werden sie über etwas zu sprechen haben. Völlig durchgefroren, müde und mit Kopfschmerzen kam ich um 19.30 Uhr nach Hause. Der Rosenkranz und das Brevier warteten auf mich.

Manchmal bedrängen mich verschiedene Gedanken: Ich möchte gern mit Priestern aus anderen Diözesen zusammenkommen. Den gleichen Wunsch haben auch andere Mitbrüder. Geradezu jeder von uns in den Landgemeinden steckt bis über die Ohren in Schulden. Wir übernahmen doch leere und zum Teil ruinierte Kirchen. So eine Flickarbeit, wie wir sie unseren Mitteln entsprechend, verrichten können, geht nicht lange gut. Man muß grundrenovieren. Viele unter Denkmalschutz stehende Kirchen warten noch auf Restaurierung. Doch es fehlen auch die notwendigen Paramente. In meiner Pfarrkirche müssen das Dach und der Fußboden erneuert werden. Die Ziegelsteine des Fußbodens sind so ausgetreten, daß beim Fegen rote Staubwolken aufwirbeln. Die elektrischen Leitungen müssen ebenfalls erneuert werden, denn es besteht Kurzschlußgefahr. Dringend notwendig sind auch neue Bänke, ein neuer Glockenturm und Malerarbeiten. In zwei weiteren Kirchen müssen Dachrinnen angebracht werden, da das Dach repariert wurde. Doch für die Blecharbeiten fehlte das Geld. Es fehlen ein Altar, der Tabernakel, ein Meßkelch, Meßgewänder und Wäsche. Vom Pfarrhaus will ich lieber schweigen, denn wenn es schon so um die Kirchen steht, sollte man von den Nöten des Pfarrhauses nicht mehr schreiben; es wäre zu viel des Guten.

Niemand wird wohl behaupten können, daß man bei einer so weit verstreut liegenden Gemeinde nicht ein Fortbewegungsmittel braucht. Jeder, der einmal etwas mit einem alten Auto zu tun hatte, weiß, wie viel Ärger und Kosten damit verbunden sind. Jetzt muß ich für ein Ersatzteil wieder 2500 Zloty bezahlen. Doch was soll ich tun?

Die laufenden Schwierigkeiten haben mich dermaßen mürbe gemacht, daß ich eine Erleichterung verspüre, wenn ich all das jemandem mittein kann. Bitte mir deshalb zu“ zeihen.

FREITAG: Der Tag begann wie gewöhnlich. Dann fuhr ich in die Stadt wegen des Darlehens. Um 10 Uhr begann ich in der 16 Kilometer entfernten Kirche mit dem Katechismus. Die Kinder froren in der großen, kalten Kirche. Was soll nur im Winter werden? Viele Kinder sind nicht warm genug gekleidet. In den sechs Stunden war ich so unterkühlt, daß ich meine Beine nicht mehr spürte. Dann bekam ich eine Tasse Tee, wärmte mich ein wenig durch und fuhr in ein anderes Dorf. Hier warteten um 17 Uhr in einem warmen Raum die Kinder auf die versprochene Filmvorführung. Dann folgten eine Katechismusstunde, das Alte Testament und Weihnachtslieder. Im Ort bekam ich ein Abendessen. Erst nach 21 Uhr war ich wieder zu Hause. Das Brevier, der Rosenkranz, die Predigt für den Sonntag und der Religionsunterricht warteten noch auf mich. Ich habe Kopfschmerzen, kalte Füße und bin müde.

SAMSTAG: Der alte Motor wollte wieder nicht anspringen; doch kam ich zum Religionsunterricht noch rechtzeitig. Wieder unterrichtete ich sechs Stunden in einer kalten Kirche. Vor 16.30 Uhr gab es wieder kein Mittagessen. Dann fuhr ich zum Bahnhof, um meinen Vater abzuholen, der über den Sonntag nach Hause kommt.

Vor der Abendmesse kamen noch einige Besucher. Nach der Abendmesse und dem gemeinsamen Abendbrot fuhr ich zu einem Kollegen in die 50 Kilometer entfernte Nachbarpfarrei. Man muß sich manchmal aussprechen.

SONNTAG: Um 8 Uhr fuhr ich zur ersten Messe in eine meiner entfernteren Kirchen. Um 11 Uhr hielt ich das Hochamt in der Pfarrkirche und um 13 Uhr eine Messe in der dritten Kirche. Zum Frühstück kam ich um 15 Uhr nach Hause. Um 16 Uhr brachte ich meinen Vater wieder zum Bahnhof. Dann sollte ich zu einer Hochzeit kommen. Ich ging jedoch nicht hin. Ich wollte endlich ein Buch lesen.

Abends kamen die Lehrer au mir. Meine Mutter kochte schwarzen Kaffee. Wir besprachen allerlei brennende Dinge, und kurz vor Mitternacht gingen sie wieder fort.

Dies ist also eine Durchschnittswoche aus meinem Leben.

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