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„Ein Leben für Frankreich“

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Die Errichtung eines westdeutschen Staates brachte die Ersetzung der bisherigen alliierten Miilitärgouverneure durch Hohe Kommissäre mit sich. Während die USA an Stelle General Clays den Bankier Cloy setzten; die Briten den Plan faßten, den ehemaligen Vizekönig von Indien, Mountbatten, zum „Vizekönig“ von Deutschland zu machen, beriefen die Franzosen ihren besten Deutschlandkenner auf den Posten des „High commissers“. Mit Andre Fran- ęois-Poncet betritt einer der interessantesten Figuren Frankreichs erneut die politische Bühne Deutschlands. Erneut — denn es scheint das seltsame Schicksal dieses Mannes zu sein, der sein Leben in den Dienst Frank- reidis stellte, daß es ihn immer wieder nach Deutschland verschlägt. Statt in ein englisches College schickte der Kammerpräsident Poncet, der Vater des späteren Botschafters, seinen Sohn auf das deutsche Gymnasium nach Offenburg, um die Worte Gambettas — Frankreich dürfe nie das Elsaß vergessen — schon in jungen Jahren in ihn einzupflanzen. Von Offenburg ging der junge Andre auf die Universität des preußenfeindlichen und frankreichfreundlichen München. Von da an die Universität Berlin, die Hauptstadt Preußen- Deutschlands, um schließlich 1908 seine Studien an der Pariser Sorbonne mit einer Studie über den Meister von Weimar abzu- schlliießen.

Fünf Jahre später zog er zum erstenmal die Augen der Öffentlichkeit auf sich mit dem Buche: „Wie denkt die deutsche Jugend?“ Man schrieb das Jahr 1913, jenes Jahr, da in den Büros der europäischen Generalstäbe bereits der kommende Krieg theoretisch geführt wurde, auf dem Balkan die Völker sich tatsächlich blutig schlugen und über Frankreich sich die Schatten der Auseinandersetzung von morgen lähmend legten. Ein Jahr später zwang der große Krieg auch Franęois-Poncet in seinen Dienst, warf ihn zuerst an die Moselfront, wo er so schwer verwundet wurde, daß er den Militärdienst verlassen mußte, um dann in der Schweiz, im Büro des Professors Haguin, mit den gefährlicheren Waffen der Propaganda den Kampf unblutig fortzusetzen. 1919 holte ihn die französische Regierung als Deutschlandexperten auf die Konferenz von Versailles, und 1923 schickte ihn Poincare als Etat - Major des Generals Degoutte nach dem Ruhrgebiet. Deutschland schien ihn nie mehr Massen zu wollen. Doch ein Jahr .später zog sich Franęois-Poncet zurück, ging nach Frankreich, kandidierte als konservativer Abgeordneter, wurde schließlich Staatssekretär für die „Schönen Künste“, ein Amt weitab von aller Politik, weitab von allein Fragen, die Deutschland berührten. Doch Deutschland behielt ihn in seinem Bann. Briand erinnerte sich seiner Deutschland- kenntnisse, schickte ihn nach Genf, wo damals der Gegensatz Frankreich-Deutschland legal ausgetragen wurde, nahm ihn sogar zu jenem sensationellen Besuch 1930 nach Berlin mit, den der kluge Brüning zuwege gebracht hatte und der eine neue Politik der Verständigung zwischen beiden Ländern einleiten sollte. Briand sah ein, daß Brüning einen französischen Botschafter brauchte, der nicht nur mit der Mentalität Deutschlands gut vertraut, sondern auch unbelastet von dem Odium der Nachkriegsjahre war. Kurz entschlossen berief er Pierre de Margerie, den bisherigen Botschafter Frankreichs in Berlin, ab und schickte dem Katholiken Brüning den Katholiken Franęois-Poncet. Das Einspielen ‘ beider gelang wie erwartet, war aber nur kurz. Denn dann kam das Unglück Hitler. Franęois-Poncet charakterisiert in seinem Buch „De Versailles ä Potsdam“ den Nationalsozialismus als „la victoire des bodies sur les ailemands“. Vergeblich waren seine Bemühungen, weiterhin eine vernünftige Politik zwischen beiden Ländern herbeizuführen, vergeblich auch seine Bemühungen, Frankreich zu einer festen Haltung zu veranlassen. 1938, kurz nach „München“, verließ er Deutschland. Aber auch in Rom, wohin er ging, war der einzige Zweck seiner Mission, Mussolini von Deutschland abzuziehen, eine Mission, die scheiterte. Deutsche Truppen marschierten in Paris ein, und der Duce ließ dem Botschafter Frankreichs die Pässe zustellen. Deutsche Beamte, die alle französischen Archive durchstöberten, fanden seine Geheimberichte; die Folge war schließlich seine Verschleppung nach Deutschland.

Erst der 8. Mai 1945 befreite ihn und entließ ihn aus Deutschland nach Frankreich. Diesmal scheinbar für immer. Doch eines Tages klingelte io dem schönen Haus in Auteuil das Telephon, und Minister Schu- man selbst bat den ehemaligen Gesandten und bevollmächtigten Minister, sich für Frankreich auf eine Inspektionsreise nach Deutschland zu begeben. Franęois-Poncet fuhr wieder über den Rhein nach Baden-Baden, Frankfurt, Berlin. Seine Berichte — Geheimberichte natürlich — an den Quai d’Orsay wurden nie bekannt. Nur nach der Wirkung, die sie auslösten, kann man auf ihren Inhalt schließen. Denn sie brachten eine radikale Änderung der französischen Politik. Kleine und große Anzeichen lassen dies erkennen. Knapp vor der Konferenz von Paris ließ Minister Schunran die drei deutschen Ministerpräsidenten der französischen Zone zu sieli nach Paris kommen, um sich mit ihnen über die deutschen Probleme zu unterhalten. Er sprach nicht wie der Sieger zum Besiegten, sondern wie der Kollege zu Kollegen, noch mehr, Monsieur Robert Schuman aus dem Departement Haut-Rhine sprach mit den Ministem von jenseits des Rheins in deutscher Sprache, ein noch nie dagewesener Akt der Höflichkeit. Und auf der Konferenz selbst geschah das Unglaubliche, geschah es, daß ein französischer Außenminister die Einheit Deutschlands verlangte und damit das berühmte Testament Richelieu verließ, das die Zerstückelung Deutschlands forderte.

Eine dünne Wand, die Jahrhunderte un- übersteigbar zu sein schien, fiel zusammen, Sie “fiel zusammen dank dem Wirken eines Mannes, der den Mut hatte, zu bekennen, daß „trotz allen Gefühlen der Rache und des Hasses, die ein Volk gegen ein anderes haben kann, das innerhalb von einem Jahrhundert es dreimal besiegte, die Franzosen bei den Deutschen die Stimmen einer besseren Zukunft nicht überhört werden dürfen, sondern diese ermutigen müssen, um so zu ermöglichen, daß Deutschland in die Mitte der Westdemokratien aufgenom- rnen und eina gute Nachbarschaft erzeugt werden müsse“. Und der als einer der ersten nach dem Krieg Hilfe für Deutschland forderte, da nur so „un climat plus doux et plus liberal“ geschaffen werden könne, das notwendig sei, um „das Antlitz und die Seele Deutschlands zu ändern“.

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