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Ein Lebenswerk im Dienste der Landeskunde

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Wer es unternimmt, das Lebenswerk Max Vancsas zu würdigen, der steht erstaunt und ehrfürchtig vor der Fülle des Wirkens. Es ist eine gewaltige Leistung, die man da in die Schlagworte zusammenfassen kann: langjähriger Beamter und Leiter des Niederösterreichischen Landesarchivs und der Landes-Bibliothek, Gründer des Niederösterreichischen Landesmuseums, Geschichtsschreiber von Nieder- und Oberösterreich, Heimat-, und Landeskundler von Niederösterreich, Lehrerbildner, Generalsekretär und Schriftleiter des „Vereins für Landeskunde von Niederösterreich und Wien“, Musik- und Theaterschriftsteller und Kritiker, dabei Wegbereiter für Richard Wagner, Anton Bruckner und Hugo Wolf, glänzender Stilist, der sich selbst mit kleineren poetischen Werken versucht hat.

Max Vancsa ist am 1. Oktober 1866 in Wien geboren, als Sohn des Posamentierers Jakob Vancsa und der Niederösterreicherin Ernestine Weidner. Frühzeitig wandte er sich geschichtlichen und humanistischen Studien zu. An der Wiener Universität hörte er besonders die Vorlesungen von Mühlbacher, Zeißberg, Wickhoff und Minor. Bedeutungsvoll aber für seine ganze weitere Zukunft im Leben und im Werk wurde es, daß Oswald Redlich, der große Historiker, damals eben erst als Dozent von Innsbruck nach Wien kam und als Supplent an das österreichische Institut für Geschichtsforschung berufen, noch für kurze Zeit (Kurs 1891 bis 93) sein Lehrer wurde. Bald verband die beiden im Charakter and Wesen, in ihrer Güte, Treue und Unbestechlichkeit so eng verwandten Menschen, warme Freundschaft, die bis ans Lebensende Redlichs währen sollte. Nach Beendigung seiner Studien trat

Vancsa 1893 als Konzeptspraktikant am Archiv und Bibliothek des Finanzministeriums in Wien ein. Schon drei Jahre darauf wurde er Kustos am Niederösterreichischen Landesarchiv und an der Landesbibliothek (die damals zu einem Ganzen vereinigt v/aren). Damit war auch die entscheidende Richtung für das wissenschaftliche Lebenswerk Vancsas gegeben. Das Land Niederösterreich war es, dem nun in erster Linie seine Tätigkeit als Forscher und Darsteller diente. Doch blieb ihm keine Epoche der österreichischen und deutschen Geschichte fremd. Es war bedeutungsvoll, daß unter dem entscheidenden Einfluß von Oswald Redlich die Verbindung von allgemeiner Geschichte mit der Landesgeschichte damals methodisch und kritisch hergestellt wurde, daß die Wichtigkeit der Landes- und Länderkunde und Fruchtbarkeit der „wissenschaftlichen Landeskunde“ für die allgemeine Geschichtswissenschaft auch an den Hochschulen erkannt und ihre Pflege gefördert wurde.

Aus dieser Einstellung und Erkenntnis war Max Vancsa bereits 1896 dem „Verein für Landeskunde von Niederösterreich“ beigetreten. Es bereitete sich bei ihm jene unlösliche, organische und harmonische Verbindung, besser gesagt Union vor zwischen dem Landesarchivar und dem Sekretär des Vereines für Landeskunde, die zu großen Erfolgen führen sollte. Aus der Umsicht und Einsicht seines Wirkens konnte er vom Jahre 1896 bis 1901 die „Bibliographischen Beiträge zur Landeskunde von Niederösterreich“ zusammenstellen und auch späterhin deren Bearbeitungen (bis 1913) besorgen, ein unschätzbares Hilfsmittel für den Landeskundler. 1898 erscheint seine erste Arbeit in den „Blättern“ des Vereines: „Die Grundbücher der Tirna- und St.-Morandus-Kapelle zu St. Stephan in Wien“. Ein Doppeltes kündet uns diese Arbeit: sie war ebenso Zeugnis für den Archivar, wie sie seine Arbeiten zur Kulturgeschichte und Quellenkunde von Wien einleitet. Begreiflich, daß er auch dem um zwei Jahre älteren Bruderverein, dem „Wiener Altertumsverein“, nachmals „Verein für Geschichte der Stadt Wien“, nahetrat und in dessen Publikationen aufscheint. Ihm wurde nun die Mitarbeit an dem von diesem Verein herausgegebenem monumentalem Werk „Geschichte der Stadt Wien“ übertragen; schon 1901 erschien der Abschnitt „Politische Geschichte der Stadt Wien von 1283 bis 1522“, dem 1909 die Fortsetzung von 1522 bis 1740 folgte; kurz vorher war der Abschnitt „Quellen- und Geschichtsschreibung von 1520 bis 1740“ erschienen, worin Vancsa sich als Meister der Quellenkritik erwies.

Den historischen Hilfswissenschaften hat Vancsa von seiner Studienzeit her besondere Aufmerksamkeit zugewendet, auch hierin ein Schüler Redlichs. So allseitig vorbereitet konnte Vancsa endlich im Jahre 1905 den ersten Band seines Lebenswerkes vorlegen, die „Geschichte Nieder- und Oberösterreichs“ bis 1283 reichend. Es ist die erste moderne Darstellung der Geschichte der beiden Länder Nieder- und Oberösterreich, wobei der Schwerpunkt auf Niederösterreich fällt. Das Werk ist mit umfassender Heranziehung der gedruckten Quellen und einer reichen Literatur gearbeitet und durch eine selbständige Darstellung ausgezeichnet. Im Jahre 1927 folgte der zweite Band des Werkes, der auch ungedruckte Quellen und noch entlegenere Literatur heranzog und die stark verwickelten Fäden der niederösterreichischen Landes-geschidre d“s 14. und 15 Jahrhunderts klarlegte. Durch dieses Werk hat sich Vancsa über das Land Niederösterreich hinaus den Dank der gesamten österreichischen und deutschen Wissenschaft verdient. Es wurde eine zuverlässige Grundlage für alle der niederösterreidiischen Landeskunde dienenden Arbeiten. Vancsa hat das Werk leider nicht fortgesetzt; hingegen hat er später, 1921. in der von ihm mitherausgegebenen „Heimatkunde von Niederösterreich“ eine kurze „Geschichte Niederösterreichs im Mittelalter und Neuzeit“ veröffentlicht.

Neben dieser streng wissenschaftlichen Tätigkeit, die einem großen Arbeitsgebiet galt, trat nun immer intensiver jene liebevolle und unermüdliche Kleinarbeit, die dem „Verein für Landeskunde“ gehörte. Hier konnte sich Vancsa ganz geben, dieser Tätigkeit opferte er die schönsten und fruchtbarsten Jahrzehnte seines Lebens. Am 9. März 1900 wurde er — zusammen mit Oswald Redlich — in den Ausschuß des Vereines berufen, im Jahre 1906 übernahm er die Redaktion der Publikationen, schon 1902 aber jene der „Topographie von Niederösterreich“.

Viel erzieherische, heimatkundliche Arbeit hat Vancsa durch die von ihm zusammengestellten Vorträge und Lehrwanderungen im Verein geleistet; fast mehr noch aber geschah dies durch viele Besprechungen und Rezensionen orts- und heimatkundlicher Veröffentlichungen. Die Anforderungen waren hoch, die Beurteilung streng, aber immer verbunden mit Wohlwollen und Hilfsbereitschaft. Grundsätzlich., bis heute nicht Überholtes, hat er sdion 1901 „über Landes- und Ortsgeschichte, ihre Werte und ihre Aufgaben“ gesagt. Besonders, als man nach dem ersten Weltkrieg zum Thema Heimat und Scholle eine Flut orts- und heimatkundlicher Literatur erscheinen ließ und jede sich berufen fühlte, eine ..Heimatkunde“ zu schreiben, da griff Vancsa energisch ein. Immer wieder zeigte er an Beispielen, was unter „Heimatkunde“ zu verstehen ist, besprach solche Werke, darunter nicht zuletzt die damals rasch hintereinander ersdieinenden Bezirkskunden von Wien; auch in den Tagesblättern geschah dies, um so ein möglichst breites Publikum zu erfassen.

Vancsa war kein weltferner, lebensfremder Gelehrter, der sich in seine Studierstube einschloß. Er verstand es, wissenschaftliche Erkenntnis auch breiten und breitesten Kreisen zukommen zu lassen. In vielen Aufsätzen der Tageszeitung- und Zeitschnften-presse nahm er zu geschiditiidien Ereignissen Stellung. Und zu diesem Wirken gehört auch, als er nach dem ersten Weltkrieg entschieden eingriff in die Probleme „Westungarn“ und „Burgenland“, deren Zugehörigkeit zu Österreich er mit geschichtlichen Gründen verteidigte. Und als d:e Frage der böhmisch-mährisdien Grenzziehung gegen Niederösterreich in den Jahren 1919/20 aktuell war, ergriff er auch dazu das Wort, um die Integrität des Heimatlandes zu verteidigen.

Wie sehr Vancsa sich auch verantwortlich für die Ausbildung der Lehrerschaft fühlte, geht daraus hervor, daß er nach dem ersten Weltkrieg an der Lehrerakademie, wo er seit 1906 als Dozent wirkte, ein heimatgeschichtliches Seminar einrichtete.

Im Dienste der Volksbildung und der Heimatpflege stand das zweite große Lebenswerk Vancsas, die Gründung des Niederösterreichischen Landesmuseums. Ein früherer Versuch dazu in Niederösterreich in den achtziger Jahren war gescheitert. Aber Vancsa hielt es für nicht zu spät mit den Vorarbeiten zur Gründung eines Niederösterreichischen Landesmuseums zu beginnen. Im Jahr 1911 konnte das Museum feierlich eröffnet und dem Lande in Obhut übergeben werden.

Ein Überblick über das Wirken des Archivars, Historikers und Landeskundlers Max Vancsa erfüllt mit Ehrfurcht vor dieser Lebensarbeit. Aber sie war nicht die einzige Gabe dieses reichen Geistes: Auch als Musikschriftsteller und Theaterkritiker hat Vancsa sich einen bedeutenden Namen gemacht.

Ich verrate ein Geheimnis, wenn ich sage, daß Max Vancsa, der Unermüdliche, an seinen Lebenserinnerungen arbeitet. Wer um die großartige Gesamtleistung, die das geistige Lebenswerk Max Vancsas ausmacht, weiß, der . wird von Herzen wünschen, daß Max Vancsa uns auch diese große Gabe noch schenke, zum Nutzen österreichischer Wissenschaft, die seinen Namen verewigt, und der niederösterreichischen Heimat, die seiner nur mit Dank gedenken kann.

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