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Ein neuer Staat wird geboren

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„Es ist die Absicht der Regierung Seiner Majestät, in nächster Zeit Schritte zu unternehmen, um Transjordanien als souveränen und selbständigen Staat aufzurichten und anzuerkennen“, erklärte der britische Außenminister Bevin am 16. Jänner in seiner ersten Rede vor der UNO. in London über die neue Treuhänderorganisation, welche die Völkerbundmandate übernehmen soll. Die britische Presse hat dies als erstes Beispiel einer Freigabe von Mandaten nach der Konstituierung der UNO. hervorgehoben.

Schnurgerade führt von Amman nach Süden die Hedschasbahn, entlang der Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Arabien. Der Westen ist fruchtbares Ackerland; östlich von dieser Trennungslinie liegt die Wüste, die Wiege des arabischen Reiters. Daher auch der Unterschied zwischen Transjordanien und Palästina. Reich ist die Geschichte des Landes, das schon die Ägypter auf ihren Kriegszügen durchquerten, das Assyrer und Perser, später Mongolen und Türken zur Eroberung fruchtbarerer Gebiete durchschritten. Der Berg Nebo, von dem Moses das gelobte Land nur sehen durfte, Petra, die Felsenstadt, und die Ruinen von Jerasch sind steinerne Zeugen aus dem Ablauf der Geschichte. • Transjordanien ist ungefähr zweieinhalbmal so groß wie Palästina, zählt aber mit 350.000 Einwohnern nur ein Viertel der Einwohnerzahl. Das sind natürlich Ziffern, die nur annähernd stimmen, da die unüberwind-bare Abneigung der Araber gegen Volkszählungen — sie wittern hinter solchem Unterfangen sofort eine kommende Steuererhöhung oder Einberufung zum Militärdienst — die genaue Katastralaufnahme verhindert. Zweifellos war das Land einst ebenso dicht bevölkert, wie das benachbarte Palästina — dafür sprechen auch die Ruinen von Ma'an und Akaba. Aber die Wüste hat im Ablauf des Zeitengeschehens von der Landschaft wieder Besitz ergriffen. Eine großzügige Bewässerungsanlage wäre notwendig, um die frühere Fruchtbarkeit wiederzubringen; diese Maßnahme müßte aber mit solchen Kosten verbunden sein, daß bis heute sogar die Engländer davor zurüdtschraken.

Der Araber, der dieses Land als Bauer und Viehzüchter bewohnt, ist Mohamedaner und der Islam ist Staatsreligion. Untermischt ist die Bevölkerung mit Kaukasiern, Tscher-kessen, dann Reste von Türken, Bahai und Drusen. Die einen waren zurückgeblieben auf den Kriegszügen, die anderen hatten als freie Reiter der Wüste dieses Land den kulturell weit fortschrittlicheren Gebieten vorgezogen. Die 20.000 griechisch-orthodoxen Christen sind seßhaft und leben meistens in den wenigen Städten des Landes. Der Araber mit seinem ruhelosen Blut, das in großen Kriegszügen ihn nach Europa führte, ist auch im kleinen Raum seiner Wüste der Nomade, der überall dort, wo seine Hedschins Wasser finden und sein Zelt trockenen Boden überdeckt, eine Bleibe hat. Das Auto, das die langen langsamen Karawanen der Kamele verdrängt, versetzt auch diesem Leben den Todesstoß.

Die politische Rechtslage des Landes ist nicht einfach. Transjordanien ist schon von Geburt ans ein Kompromiß Als König F e i s a 1, später König des Irak, 1920 von General Gouraud ans Syrien vertrieben wurde, traf Emir Abdullah, sein älterer Bruder, in Transjordanien ein und rüstete arabische Stämme aus, um in Syrien einzufallen. Die gleichzeitigen Unruhen im Irak ließen einen allgemeinen Konflikt im Nahosten befürchten. Deshalb kam damals Staatssekretär Winston Churchill nach Kairo und Jerusalem und erwirkte von den Franzosen die Abtrennung Transjordaniens vom syrischen Mandatsgebiete.

So kann also Churchill als Begründer Transjordaniens angesehen werden. Er setzte Abdullah ein, dessen Residenz erst das einsame Ma'an, dann Amman wurde, beide noch 1938 nicht viel mehr als Beduinendörfer. 1921 bewilligte das Londoner Parlament dem Lande eine Subvention von 180.000 Pfund. Die Verpflichtung, eine Konstitution zu geben, wurde 1928 erfüllt. Die „Gesetzgebende Versammlung“, die 1929 zusammentrat, und die erste Trennung der Verwaltung von Palästina bedeutete, besteht zur Mehrheit aus gewählten Vertretern, und zwar neun Abgeordneten der seßhaften mosliminischen Araber, drei Christen, zwei Kaukasiern und zwei Vertretern der Beduinen. Dem Emir steht ein britischer Resident zur Seite, der dem Hochkommissär von Palästina unterstellt wurde. Praktisch war daher seit dieser Zeit Transjordanien ein britisches Protektorat, der Emir, „Seine Hoheit“, hat das Recht auf einen Salut von 21 Kanonenschüssen. Sein ältester Sohn und Thronerbe, Prinz T a 1 a t, ist 1911 geboren und hat englische Erziehung genossen.

des Staatshaushaltes ist die größte Sorge des Emirs und ein schleichendes Übel, dem auch die Kredite seitens der britischen Mandatsmacht nicht abhelfen konnten. Diese Subvention wurde 1935 von 55.000 auf 42.000 Pfund herabgesetzt und machte 1938 immer noch ein Fünftel des Budgets aus. 1936 schlug die Königliche Kommission vor, die Subvention in einen Globalkredit umzuwandeln, in der Hoffnung, daß die beabsichtigte Zuweisung der arabischen Landstriche Palästinas an Transjordanien die Finanzfrage verbessern würde. Im Kriege aber dürften sich nun diese Verhältnisse grundlegend geändert haben. Dabei ist das Land, das zum Beispiel in der Gora am Toten Meere und im Norden besten Weizenboden besitzt, auch reich an Bodenschätzen, an Asphalt, an Phosphaten, die offen auf den Feldern liegen, und schon die Kreuzfahrer gruben dort Eisen, die Deutschen Kupfer im ersten Weltkriege, nachdem die Ergiebigkeit im Yamnktale auf über eine Million Tonnen bewertet worden war. Die heißen Quellen bei Kerak und am Yamuk werden von Fachleuten den besten europäischen Heilquellen gleichgestellt.

Die Justiz liegt zum großen Teile noch bei den Stammesgerichten, die ausschließlich von Einheimischen besetzt sind und unter Aufsicht eines britischen Richters stehen, der aber in Ammon sitzt. Die Transjordanier sind Moslim strenger Observanz, wenn auch nicht so streng wie die Wahabiten Ibn Sauds, und radikal nationalistisch. Die Istiklalisten, die Unabhängigkeitspartei, wurden zwar während der Unruhen in Palästina vom Emir durch eine Regierung der Schaad-Partei, der Volkspartei, ersetzt und ihre Führer nach Akaba verbannt, haben aber seither wieder die Führung gewonnen. Doch sind christliche Schulen erlaubt.

Die Militärmacht des Emirs bestand seinerzeit nur aus der Arabischen Legion, die vor dem Kriege 860 Mann zählte und in der obersten Führung britische Offiziere aufwies. Mustergültig ist das Korps der Dtsert P a t r o 1, eine Schöpfung des unvergessenen Pick Pascha, eines zweiten Lawrence. Ihre Kamelreiter besorgen die Wüsten-p o 1 i z e i mit solchem Erfolge, daß die Sicherheit von Leben und Eigentum in Transjordanien weit besser ist als — sagen wir zum Beispiel in Palästina. Am stärksten sind die Transjordan Frontier Forces, ein mobiler Grenzschutz unter englischer Führung, der vertragsmäßig zu Fünfsechstel von Palästina, ein Sechstel aus dem britischen Kredite bezahlt wird.

ist eng mit dem Palästinas verbunden, doch weist das Mandat hüben und drüben — in Trans- und Cisjordanien, würden wir Österreicher sagen — einen großen Unterschied auf. Einmal bezieht sich die Klausel vom „Jüdischen Heime“ nicht auf Transjordanien, und auch die zionistischen Siedlungspläne berufen sich nicht darauf, wenn sie behaupten, Palästina könne noch Millionen von Neuansiedlern aufnehmen. Ferner kann hier England selbständig vorgehen, da das Abkommen von 1924 mit den USA. über Palästina Trans Jordanien nicht betrifft. Bekanntlich sind die USA. kein Palästina-Mandatar, weil sie nicht dem Völkerbunde ingehörten und zudem nicht im Kriege mit der Türkei gestanden hatten. Für die angekündigte Behandlung der Mandatsfrage dürfte es auch von Bedeutung werden, daß England das Palästina-Mandat effektiv nicht von allen „Alliierten und assoziierten Mächten“ übertragen wurde, sondern nur von den Alliierten Mächten allein.

Mit der Selbständigkeitserklärung Transjordaniens führt England wieder einen Teil der Kommissionsvorschläge von 1936 über die Teilung Palästinas durch, und bei dem eben in London erfolgten bedeutsamen Zusammenschluß der arabischen Delegierten in der UNO., dem Vorläufer eines „Großarabien“, wird sich dies wohl als eine Wendung, als ein großer Fortschritt in der britischen Araber-Politik erweisen.

Der Emir wird dann voll vertragsfähig sein, was er bisher als Souzerän nach Ansicht der arabischen Fürsten nicht war. Seine Beziehungen waren bisher am engsten zum Irak, schon wegen der Familienbande. Daher auch der Gedanke einer Militärunion sehr naheliegt. Er entwickelte politisch eine große Aktivität. Seine Tronkandidatur, die er aus der Vertreibung des Königs Feisal für Syrien ableitet, wird mehr von den Franzosen als von den Engländern abgelehnt. Ihm wird auch der Hauptanteil an dem im Jahre 1915 mit seinem Vater Hussein, dem Scherif von Mekka, beschlossenen Aufstand der Araber gegen die Türken zugesprochen. Mit König Ibn Saud schloß er 1925 den Hadda-Vertrag, der den Grenzschutz sicherte und den arabischen Karawanen Zollfreiheit gewährt. Die Akaba-Frage — das ist jenes kleine Dorf am Nordrande des Roten Meeres, das sowohl der Herrscher des Hedschas, als auch der von Transjordanien beansprucht — wurde weder in diesem Vertrage noch in den darauffolgenden Konferenzen von Dschidda und Kairo gelöst. Hier treffen drei Ansprüche zusammen, von denen der Ägyptens geographisch, der Ibn Sauds historisch und der des Emirs durch Abtretungsvertrag des letzten Haschemiten-Königs bedingt ist.

Es ist selbstverständlich, daß England großes Interesse an diesem Lande hat, weil es ein wertvolles Glied in der ununterbrochenen Verbindungskette nach Indien ist. Allerdings hat schon 1936 Staatssekretär Viscounte Swinton im Unterhause erklärt, daß strategische Gesichtspunkte bei der Loslösung Transjordaniens von Palästina keine Rolle gespielt haben,

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