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Ein neues Versailles?

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Der Atomsperrvertrag, der zwischen den USA, der UdSSR und Großbritannien im Gespräch ist, läht die Wogen der Diskussion in Europa, vor allem aber in der Bundesrepublik Deutschland hochgehen. Dr. Arnold K 0 n z I i, Politologe und Psychologe an der Universität Basel, den Lesern der „FURCHE“ durch besonders profilierte Beiträge zu Themen der Weltpolitik bestens bekannt, nimmt mit scharfen, kritischen Worten gegen die Haltung einiger Persönlichkeiten und Zeitungen der Bundesrepublik Stellung. Die „FURCHE'' könnte sich vorstellen, dafj die Akzente von KOnzlis Beitrag etwas differenzierter gesetzt werden könnten. Wir stimmen zwar mit Künzli in der Bejahung des Sperrvertrages voll und ganz überein — das ist ja auch der Standpunkt der österreichischen Bundesregierung. Aber wir sind der Auffassung, dafj jene Einwände, die vor allem eine Ausschließung der Bundesrepublik von der friedlichen Nutzung der Atomenergie befürchten, mildere Zensuren verdienen. Es sollte vielleicht mehr zwischen den Gegnern des Atomsperrvertrages sowie jeder Entspannung und denjenigen unterschieden werden, die nur zu einigen Punkten Bedenken anmelden. Die Redaktion

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Der Atomsperrvertrag, der zwischen den USA, der UdSSR und Großbritannien im Gespräch ist, läht die Wogen der Diskussion in Europa, vor allem aber in der Bundesrepublik Deutschland hochgehen. Dr. Arnold K 0 n z I i, Politologe und Psychologe an der Universität Basel, den Lesern der „FURCHE“ durch besonders profilierte Beiträge zu Themen der Weltpolitik bestens bekannt, nimmt mit scharfen, kritischen Worten gegen die Haltung einiger Persönlichkeiten und Zeitungen der Bundesrepublik Stellung. Die „FURCHE'' könnte sich vorstellen, dafj die Akzente von KOnzlis Beitrag etwas differenzierter gesetzt werden könnten. Wir stimmen zwar mit Künzli in der Bejahung des Sperrvertrages voll und ganz überein — das ist ja auch der Standpunkt der österreichischen Bundesregierung. Aber wir sind der Auffassung, dafj jene Einwände, die vor allem eine Ausschließung der Bundesrepublik von der friedlichen Nutzung der Atomenergie befürchten, mildere Zensuren verdienen. Es sollte vielleicht mehr zwischen den Gegnern des Atomsperrvertrages sowie jeder Entspannung und denjenigen unterschieden werden, die nur zu einigen Punkten Bedenken anmelden. Die Redaktion

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Die Reaktion der Welt auf die Nachricht von der wahrscheinlichen Übereinkunft Amerikas und der Sowjetunion über einen Atomsperrvertrag ist ein Test auf politische Mündigkeit. Es geht in diesem Vertrag um nichts weniger als darum, zu verhindern, daß die Zahl der Atommächte ins Unkontrollierbare wächst und irgendein Klein- oder Mittelstaat die Welt mit seinen Atombomben erpressen oder gar einen Atomkrieg provozieren kann, der allzu leicht zum Untergang dieser Welt führen könnte. Um so betrüblicher ist es, daß die Diskussionen über dieses weltpolitisch hochbedeutsame Projekt da und dort große Emotionen freigesetzt haben, die nichts Gutes versprechen. Vor allem ein Teil der westdeutschen Presse und einige prominente Politiker reagieren mit einer massiven Demagogie und einer nationalistischen Hysterie auf den angekündigten Atomsperrvertrag, die der Bundesrepublik schwerlich neue Freunde werben werden.

Gewiß hat die Atombombe den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zu einer Vormachtstellung in der Welt verhelfen. Es wäre denn auch verständlich, wenn diese beiden „Supermächte“ bei der Ausarbeitung des Atomsperrvertrages u. a. auch daran gedacht hätten, diese ihre Vormachtstellung zu erhalten. Daß das aber unmöglich ihr primäres Motiv gewesen sein konnte, geht allein schon daraus hervor, daß, zumindest seit den erfolgreichen chinesischen Atombomben- und Raketenexperimenten, die Suprematie der beiden bisherigen „Supermächte“ ohnehin schon in Frage gestellt ist. Anderseits darf auch nicht übersehen werden, daß die Erhaltung dieser „Vormachtstellung“ der Vereinigten Staa-, ten und der Sowjetunion im Interesse der Erhaltung des atomaren Friedens liegt. Jedenfalls ist dieser atomare Frieden weit mehr gesichert, wenn nur diese beiden „Supermächte“ Atombomben besitzen und nicht auch noch Dutzende von mittleren und kleineren Mächten, wobei freilich das Problem China ein Problem für sich bleibt; aber eine Zustimmung der überwältigenden Mehrheit der Nationen dieser Erde zum Atomsperrvertrag würde China nur noch mehr in die Isolierung treiben.

Wenn Altbundeskanzler Adenauer nun von einem neuen Mongenthau-Plan und Minister Strauß von einem neuen Versailles sprechen, und wenn eine große deutsche Zeitung den Atomsperrvertrag in einer Karikatur als Guillotine darstellt, die von einem russischen Henker bedient wird, dann kann man über so viel weltpolitische Verantwortungslosigkeit nur den Kopf schütteln. Noch weit schlimmer ist, was eine große liberale süddeutsche Zeitung schrieb, daß nämlich eine bedingungslose Unterschrift Bonns unter diesen Vertrag unvermeidlich extremen nationalistischen Strömungen in Deutschland Auftrieb geben würde. Das ist nichts anderes als politische Nötigung nach dem Motto: „Entweder ihr erfüllt unseren Willen oder wir werden wieder nationalistisch.“ Der Bonner Korrespondent der Basler Nationalzeitung schrieb dazu: „Forderungen, Sorgen und Einwände in der Bundesrepublik, soweit diese die friedliche nukleare Forschung und die industrielle Auswertung der Kernenergie für friedliche Zwecke betreffen, bleiben begründet, aber der Verlauf der innerdeutschen Diskussion hat bestehende Zweifel daran, ob es sich in Wahrheit nicht um vorgeschobene Argumente handelt, von Tag zu Tag vergrößert.“

Wenn weiter das Argument ins Feld geführt wird, der von den Amerikanern vorgesehene Kontrollmechanismus des Atomsperrvertrags gebe den Russen ein Inspektionsrecht in Westeuropa, dann wird dabei geflissentlich übersehen, daß die Amerikaner ein ebensolches Recht in Osteuropa erhalten würden. Tatsächlich würde dieser Vertrag gewissermaßen das Ende des kalten Krieges markieren, und jene deutsche Zeitung hatte durchaus recht, die schrieb, der Vertrag sei mit dem ursprünglichen Geist der NATO und des deutsch-amerikanischen Verhältnisses schwerlich vereinbar. In Tat und Wahrheit wird Bonn vor die Alternative gestellt:

• Entweder jenen kalten Krieg weiterführen zu wollen, dem Westdeutschland seine politische Position in Westeuropa durch viele Jahre verdankt, oder

• endlich eine politische Konzeption zu entwerfen, die den in den letzten zehn Jahren in Ost und West erfolgten Wandlungen Rechnung trägt.

Das wäre keineswegs eine gegen die Interessen Deutschlands gerichtete Politik, sondern würde nur die Stellung der Bundesrepublik in einem Europa verbessern, in dem ein Teil der Gegensätze von gestern der Vergangenheit angehört.

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