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Ein österreichischer Slawismus

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Dabei haben sich gerade die Slowenen im Laufe ihrer uralten und wahrhaft tragischen Geschichte — sie haben niemals staatliche Selbständigkeit besessen — seit ihrer Niederlassung im sechsten Jahrhundert in der Steiermark, in Kärnten, dem ehemaligen Krain und dem adriatischen Küstenland vermöge eines überwiegend katholischen Konservativismus innerhalb der alten Monarchie, der sie seit dem 14. bzw. 15. Jahrhundert angehörten, als zentripetale Kraft erwiesen. Es gab sogar eine Zeit, Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, da die Wiener Zentralregierung den slowenischen Kulturnationalismus und damit die Arbeit von Männern wie Bartholomäus Kopitar, Janei Bleiweis, Valentin Vodnik und anderer zumindest wohlwollend duldete, da sie in der slowenischen Renaissance- bewegung ein Gegengewicht gegen den russischen ‘Panslawismus erblickte. Denn besonders Kopitar war zu seiner Zeit (1780 bis 1844) eine zentrale Persönlichkeit ‘dieser auch politisch. bedeutsamen geistigen Neubelebung des österreichisch-un garischen Slawentums. Sein Einfluß beruhte vor allem auf seinem zentralistisch ausgerichteten Konzept eines kaiser- und reichstreuen öster- reichisch-ikatiholischen Slawismus. Diese Synthese von nationalen, gesamtstaatlichen und religiösen Interessen drückte sich auch in den äußeren Tatsachen von Kopitars Leben aus: Er war Beamter der Hof- bibliothek und eine Zeitlang Herausgeber der „Wiener Jahrbücher für Literatur“. Im Jahre 1808 gab er eine Slowenische Grammatik heraus. In ihr sowie in seinem Werk „Glagolita Clocianius“ versuchte er, die Identität der slowenischen Sprache mit der altslawischen Kirchensprache nachzuweisen und damit die Slowenen als Begründer der slawisch-christlichen Kultur darzustellen. Daraus leitete er unter anderem die Forderung ab, Österreich, durch die relative Mehrheit seiner Bevölkerung ein slawisches Reich, sollte der slawischen Welt ein katholisches Zentrum geben und in Wien eine Allslawische Akademie errichten. Aber schon damals wurden solche Vorschläge zuständigen Ortes nicht beachtet. In seiner, Tradition standen France Freieren (1800 bis 1847) und Franz von Miklosiä (1821 bis 1891), letzterer Autor einer vergleichenden Grammatik und eines etymologischen Wörterbuches der slawischen Sprachen. Anton Alexander Graf Auersperg (1806 bis 1876), bekannt unter seinem literarischen Namen Anastasius Grün, ein Verfechter freiheitlicher und fortschrittlicher Gesinnung, hat die

Werke Preserens ins Deutsche übersetzt. In seinen „Volksliedern aus Krain“, Nachdichtungen slowenischer Volkslieder, legte er Zeugnis ab von seiner Einsicht, „daß es ohne die Slawen kein neues Europa gäbe“ (Nadler, Literaturgeschichte Österreichs, Salzburg 1951, S. 260). Dies alles hinderte freilich nicht eine gewisse Kollision zwischen den ethnischen., Forderungen der Slowenen? und dem deutschösterreichischen Interesse an dem Zugang- z r Adria. Man kann aber in diesem Zusammenhang und überhaupt den Slowenen nicht den Vorwurf machen, daß sie ihre Politik nicht ihrer geo- politischein Situation — sie lebten in sechs Kronländern — angepaßt hätten. Ein austro-amerikanischer Autor sagt hierzu: „Der beschränkte Horizont der österreichischen zislei- thanischen Nationalitätenpolitik im allgemeinen, verbunden mit der Tatsache, daß auf der Ebene einer rein verwaltungstechnischen Praxis noch gewisse Verbesserungen des slowenischen Status zu erwarten waren, veranlaßte die Slowenen zu einer Art ,Von-der-Hand-in-d!en-Mund’- Programm.“ (Robert A. Kann, „The Multinational Empire“, New York 1950, Band 1, S. 301). Ihre nationalen Forderungen begründeten sie daher nicht mit historischen Rechten, sondern mit völkischen Tatsachen. Diese kluge Taktik fand ihren deutlichen Niederschlag im Slowenischen Manifest de dato Laibach 1. April 1848. Dieses ist nicht nur wegen seines die historischen Grenzen der Kranländer ausschließenden klar definierten ethnischen Konzepts, sondern vor allem durch den zwischen seinen Zeilen stehenden Verzicht auf eine südslawische Union bemerkenswert. So kann man förmlich sagen: Die Slowenen haben sich gewissermaßen gegen Österreich für Österreich bemüht. Darin fanden sie sich mit den verantwortlichen Sprechern der Tschechen, vor allem mit Palacky, der den „Grundsatz der vollständigen Gleichberechtigung aller 1 unter Habsburgs Szepter vereinigten Nationalitäten und Konfessionen als die eigentlich rechtliche und sittliche Grundlage der Existenz des Kaiserstaates“ bezeichnete und damit die Idee des Austroslawismus umriß.

Die historischen Erfahrungen

Wohl „ist die öffentliche Diskussion in Österreich über Nationalität (Volksstamm) und Sprache nicht mehr verstummt, ist allen verfassungsrechtlich ausgesprochenen Grundrechten die Wahrung von Sprache und Nationalität vorausgesetzt gewesen“ (Ermacora, a. a. O., S. 14) und gab es kaiserliche Handschreiben (20. Oktober 1860) und Ministerialerlässe, mit denen Lan-

dessprachen anerkannt wurden, sowie schließlich das Staatsgrundgesetz vom Jahre 1867. Dies alles dient aber dem Studenten dieser entscheidenden Jahre nur als Grundlage für die Erkenntnis, daß die österreichische Verwaltung schon damals gern entweder ein Problem rechtstheoretisch bearbeitete, ohne dadurch zu einer die Betroffenen bzw. Begünstigten befriedigenden Praxis zu gelangen, oder, wie sodann in der Ära Taaffe (1879 bis 1893) z. B. den Slowenen im Zuge eines parteipolitischen Manöverierens — Taaffe selbst nannte das „Fortwursteln“ und „Durchfretten“ — in der Praxis . zwar gewisse verwaltungsrechtliche Vorteile einräumte, ohne diese dann wenigstens auch ln einer verläßlichen gesetzlichen Form zu verankern. So ergaben sich noch in den achtziger Jahren wieder Mißhelligkeiten in Schulfragen, über die das Kabinett Windischgrätz (1895) stürzte. Erst die Wahlreform vom Jänner 1907 brachte den Slowenen die Abschlagszahlung einer höhern

Anzahl von Sitzen im Parlament, rfoioneieö dbe : e-.iib ,i59sfszi v eqqirrs Unionsbestrebungen mit den Kroaten konnten angesichts -par-all® i ler Interessen und solchen an der Bildung eines Gegengewichts gegenüber der überwiegend liberalen ser- bo-kroatischen Koalition nicht aus- hleiben. Sie erfüllten sich im Oktober 1912 in Laibach. In der hier ausgearbeiteten Resolution wird die nationale Union der beiden Völker im Rahmen der Habsburger Monarchie erklärt. Hier klingt, in dieser Form zum erstenmal, der Gedanke einer trialdstischen Neugestaltung der Monarchie an, der bei der Wiedereröffnung des Parlaments im Mai 1917 von Anton Koroseö, dem slowenischen Bauemführeir und Obmann des südslawischen Klubs, ausgeführt wurde. Der slowenische Beitrag zur südslawischen Irredenta während des ersten Weltkrieges war gering und mit der serbokroatischen an Umfang und Intensität nicht zu vergleichen.

Die Abstimmung in Kärnten am 10. Oktober 1920 enthielt kaum Anlässe zum Übermut, denn es stimmten immerhin etwas über zwei Fünftel der Abstimmungsberechtigten für Südslawien. Zusammen mit den Erfahrungen von 1848 bis 1918 und den schon im Friedensvertrag von St-Germain-en-Laye aufgenötigten Minderheitenibestimimungen hätte dieses Ergebnis eigentlich genügend Voraussetzungen zu einer grundsätzlichen Remedur geboten. Zudem war auch ein Komplex „von Erlässen, gesetzlichen Bestimmungen und staatsvertraglichen Regelungen“ vorhanden, der „bei gehöriger Anwendung hätte geeigent sein können, eine Bevölkerungsgruppe zur Ruhe kommen zu lassen“ (Ermacora, a. a. O., S. 15 ff.). Dies war nun leider noch immer nicht der Fall. Es wechselten Beschwerden der Slowenen an den Völkerbund mit Versuchen einer Abhilfe, die dann wiederum an slowenischen Bedenken scheiterten. So .eröffnete das Jahr 1945 ähnliche Probleme wie das Jahr 1918: bis zum Jahre 1949 erhob Jugoslawien Anspruch auf 2008 km3 des-Landes Kärnten. Erst der Staatsvertrag garantierte Österreich die Grenzen vom 1. Jänner 1938 (siehe Ermacora, a. a. O., S. 16). Zweifellos bemühten sich die zuständigen Stellen um eine allen Interessen gerecht werdende Durchführung, wie Ermacora überzeugend berichtet; um so kläglicher wirkt dann aber die den vorliegenden Artikel veranlassende Pressemeldung; denn wir stehen also immerhin im Jahre 1968, d. h. 120 Jahre nach 1848.

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