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Ein östlicher Schuman-Plan

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Die Reise des stellvertretenden ostdeutschen Ministerpräsidenten Walter Ulbricht nach Prag und Budapest ist eines von den vielen Symptomen, die den Umschmelzungsprozeß im osteuropäischen Raum anzeigen. Alle Differenzen awischen der deutschen demokratischen Republik und der Tschechoslowakei sind beigelegt worden. Die Ausweisung aller Deutschen aus der Tschechoslowakei ist „unabänderlich, gerecht, endgültig“ und von Herrn Ulbricht anerkannt, dem die Deutschen dazu allerdings kaum ein Mandat gegeben haben dürften. Aber das Wichtige ist ja gar nicht das Schicksal der Vertriebenen. Die Formel, die man für sie fand, stand längst fest, ehe die Besprechungen begannen. Das Schwergewicht lag bei den Wirtschaftsfragen.

Das ostdeutsche Regime nimmt durch die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und durch den Verzicht auf die Rückkehr der Sudetendeutschen eine Belastung auf sich, die man der Bevölkerung mundgerecht machen muß. Die Ostzone sei bisher okkupiertes Land gewesen, sagt man. Nun werde sie Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn gleichgestellt, also in den Stand eines Satelliten erhoben. Für die 600.000 Sudetendeutschen, die in der Ostzone wohnen, hat man sich eine besondere Argumentation zurechtgelegt. Erstens müsse man Opfer bringen, um Deutschland wieder stark zu machen, und zweitens seien die Vertriebenen in Ostdeutschland wenigstens gleichberechtigte Mitbürger, während sie in Westdeutschland lediglich gegen den Osten aufgehetzt würden und als Kanonenfutter dienten. — Ob nun diese Propaganda wirksam wird, ist eine andere Frage. Aber man hofft damit, gewisse nationale Kreise zu gewinnen, bei denen der Gedanke der Zusammenarbeit mit Rußland seit langem Sympathien gefunden hat.

In der Tschechoslowakei ist der Außenminister C1 e m e n t i s über die deutsche Frage gestürzt. Nach seiner Auffassung bedeutete jede Annäherang an die Ost zone die Rückführung der Deutschen, so wie der Ausgleich mit Ungarn im Jahre 1949 die Rückführung der Ungarn in die Slowakei bedeutet hat. Moskau hat, wie schon so oft, einen Politiker gestürzt, aber seine Politik durchgeführt. Die Deutschen bleiben landesverwiesen.

Moskau will Osteuropa nach Art eines östlichen Schuman-Plans organisieren. Die Reise Ulbrichts muß man vor allem unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Ostdeutschland fehlt infolge der Abtretung von Oberschlesien der wichtigste Rohstoff: die Kohle. Es muß mit Polen und der Tschechoslowakei eine Wirtschaftsunion schließen. Die Tschechoslowakei ist Ostdeutschlands industrielle Ergänzung. Viele Betriebe wurden während des Krieges aus Deutschland in die Tschechoslowakei verlegt. Dieses Land hat jetzt Industrien, die es vor dem Kriege nicht gehabt hat, es produziert Werkzeugmaschinen und optische Instrumente. Die Zusammenarbeit zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland ergibt sich auch aus dieser Tatsache.

In der Kohlenproduktion hat die Tschechoslowakei den Stand von 1937 noch immer nicht erreicht. Die deutschen Kohlenarbeiter sind aus dem Land vertrieben. Jetzt sind Friseure, Beamte und dergleichen zwangsweise Kohlenarbeiter. Das Resultat ist die schwache Produktion.

Der Kohlen- und Lebensmittellieferant für Ostdeutschland ist Polen.

Versucht man den Deutschen den Pakt mit der Motivierung verständlich zu machen, daß er Deutschlands Wiederaufstieg diene, so erzählt man den Tschechen, das ostdeutsche Regime hätte durch die Enteignung der Junker den preußischen Militarismus für immer ausgerottet.

Ministerpräsident Zapotocky erklärte in einer Rede, die neue Tschechoslowakei und das neue Deutschland, repräsentiert durch die deutsche demokratische Republik, seien entschlossen, die alten Streitigkeiten zu begraben und Frieden zu schließen.

Die Politik geht also dahin, Deutsche und Tschechen zusammenzubringen. Zu diesem Zweck hat man auch die Theorie von der den Deutschen angeborenen Bösartigkeit fallen gelassen. Denn mit dieser Theorie hat man die wahllose Vertreibung der Deutschen, gleichgültig, ob sie Nazi oder Gegner waren, gerechtfertigt.

Der Chefredakteur des kommunistischen Zentralorgans .Rüde Pravo“, Voitech Dolejsi, hat den Auftrag bekommen, die neue These von der Ungleichheit der Deutschen als Wahrheit zu verfechten. Die Auffassung von der Gleichheit (also von der gleichartigen Bösartigkeit) aller Deutschen ist durch Keidrich, Daluege und ähnliche Figuren entstanden, schreibt Dolejsi. Sie war schon während der Okkupation falsch und sie ist jetzt erst recht unwahr. Es sind nicht alle Deutschen so, wie wir sie in den Uniformen der SS kennengelernt haben. Der Beweis dafür ist der stellvertretende Ministerpräsident Walter Ulbricht, der mit der Ausweisung der Deutschen einverstanden ist und diese Frage für definitiv gelöst erklärt.

Engere Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Tschechoslowakei und Ostdeutschland sind um so notwendiger, als man berechtigten Grund zur Annahrrle hat, daß auch der Rest des Handels, der zwischen der Tschechoslowakei und dem Westen noch besteht, binnen kurzem aufhören wird. Dieser Handel hat es der Tschechoslowakei bis in die letzte Zeit ermöglicht, ein Lebensniveau zu halten, das, so tief es auch war, nicht nur über dem der übrigen Satellitenstaaten, sondern auch über dem der Sowjetunion lag. Die Tschechoslowakei war d-iher ein sehr beliebtes Kongreßland tür die Ostvölker.

Man kann aber nicht zulassen, daß die Tschechoslowakei, die erst zwei Jahre den Weg des Sozialismus geht, ein höheres Lebensniveau als Rußland hat, das diesen Weg schon 30 Jahre geht. Das führte zu ganz überheblichen Auffassungen der Tschechen. So hat der Leiter des Planungsamtes Jaromir Do-lansky in einer Rede gesagt, Rußland werde erst nach einigen Generationen den industriellen Stand der Tschechoslowakei erreichen. Die Taktik, die man dabei einschlägt, ist nicht die, daß die Tschechoslowakei von sich aus die Handelsbeziehungen abbricht. Man trifft Maßnahmen, welche die Partner veranlassen, die Beziehungen abzubrechen. So hat zum Beispiel die Tschechoslowakei die Zahlungen an Schweizer Bürger eingestellt, die Entschädigungen für beschlagnahmtes Vermögen bekommen sollten. Daraufhin hat die Schweiz den Import tschechischer Textilien eingestellt. Man hat auch die Amerikaner verstimmt, so daß diese keine Ausstellungsräume auf der Chikagoer Messe zur Verfügung gestellt haben. Die ganze tschechische Wirtschaft befindet sich vor einer Umstellung. Die Verbrauchsindustrie soll zugunsten der Schwerindustrie eingeschränkt werden. Es ist der gleiche Prozeß, der sich in Ungarn unter der Aufsicht von Varga vollzieht. Die offizielle Begründung ist, es gebe so viele Verbrauchsgüter, daß sie nicht abgesetzt werden können. Weder im Westen, wo Krise herrscht, noch im Osten, wo keine Krise herrscht. Die Tschechoslowakei soll auch nicht selbst investieren, sondern die Investitionsgüter ausführen. Sie wird dadurch zu einem willkommenen Lieferanten für die Sowjetunion.

Die Kompensation, die geboten wird, ist, wie gesagt, Ostdeutschland. Der Handelsvertrag wird erst im Herbst unterzeichnet werden. Jetzt ist nur eine Vereinbarung über einen kurzfristigen Kredit an Ostdeutschland getroffen worden. Wie hoch dieser Kredit ist, bleibt vorläufig ein Geheimnis.

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