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Ein offener Sack voller Flöhe

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Manf ried Welan, ehemaliger Rektor der Universität für Bodenkultur: „Wir sind die aktuellste Universität in ganz Osterreich."

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Manf ried Welan, ehemaliger Rektor der Universität für Bodenkultur: „Wir sind die aktuellste Universität in ganz Osterreich."

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DIEFURCHE: Vor wenigen Wochen wurde das Wilhelm-Exner-Haus, eine üependance der Universität fiir Bodenkultur (BOKUJ mitfast 7.000 Quadratmeter Nutzfläche, nach einem dreijährigen Umbau wiedereröffnet. Was bedeutet dies fiir Ihre Universität, die in diesem Jahr den 125. Geburtstag feiert?

MANFRIED WEIAN: Die Restaurierung des nach einem unserer Rektoren benannten Hauses ist ein kleiner Schritt innerhalb eines großen Vorganges. Wir haben in den letzten 15 Jahren einen sehr großen Ausbau erlebt. Im Gegensatz zu anderen Universitäten ist die BOKU jahrzehntelang vernachlässigt, ja sogar benachteiligt gewesen, aber durch die enorm steigenden Studentenzahlen und durch neue Aufgaben - von Umweltschutz bis Biotechnologie, von Landschaftserhaltung bis hin zur Gentechnik - ist diese Universität die aktuellste in ganz Osterreich.

DIEFURCHE: Worin bestand die Benachteiligung, von der Sie sprechen? WELAN: Als Bektor konnte ich in den siebziger Jahren immer wieder feststellen, daß unter Dutzenden vergleichbaren Universitäten in West und Ost - mit der gleichen Aufgabenstellung und der gleichen Studentenzahl - die BOKU am schlechtesten ausgestattet war. Armselig! Das hat sich jetzt geändert.

DIEFURCHE: Sie können sich also der Klage nicht anschließen, daß die österreichischen Universitäten derzeit zu Tode gespart werden ... WelaN: Natürlich trifft uns das Sparpaket. Aber wenn man früher nichts oder wenig hatte und jetzt in vieler Hinsicht mit dem Ausland gleichgezogen hat, dann kann man nicht klagen. Wir sind räumlich und sachlich gut eingerichtet. Mitte der achtziger Jahre haben wir einen Modernisierungsschub erfahren, was darin zum Ausdruck kommt, daß einige unserer Professoren Mitglieder internationaler wissenschaftlicher Vereinigungen oder auch der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geworden sind. Wir haben Spitzenwissenschaft-, 1er in den Bereichen der Ultrastrukturforschung, der Gentechnik und der angewandten Mikrobiologie.

DIEFURCHE: An der BOKU werden die Studienrichtungen Landwirtschaft, Forst- und Holzwirtschaft, Kulturtechnik und Wasserwirtschaft, Lebensmittel- und Biotechnologie sowie Landschaftsplanung und -pflege angeboten Auf diesen Gebieten hat die BOKU eine Monopolstellung in Österreich Ist das ihrer Meinung nach ein Vijr- oder ein Nachteil?

WEIAN: Ob sich Monopolinstitute positiv auf ein Fach auswirken, muß man tatsächlich diskutieren. Es war zum Beispiel erst nach langer Zeit des Wartens möglich, das Fach „ökologischer Landbau" zu installieren, weil der zuständige Ordinarius gegen diese Richtung war. An einer Universität, die Monopolprofessoren und -institute hat, muß man die Vielfalt der Lehrmeinungen und Methoden for-

eieren. Das heißt: Viele Gastprofessoren und Gastvortragende aus dem Ausland aber auch möglichst viel Zusammenarbeit mit den anderen österreichischen Universitäten.

DIEFURCHE: Welche Chancen haben Absolventen der BOKU auf dem Arbeitsmarkt?

weian: Unsere Absolventen kommen überall unter: Vom Straßenbau bis zur Pharmaindustrie, vom Kraftwerksbau bis zum Nationalparkmanagement, von der Gentechnologie bis hin zur Landschaftsplanung. Die Universalität dieser Universität ist einmalig.

DIEFURCHE: Ergeben sich daraus nicht interessante Widerspruche? Draußen in der wirklichen Welt stehen sich ja zum Beispiel Kraftwerksbauer und Naturschutzer als erbitterte Gegner gegenüber.

WelaN: Ich bin mir dieser Widersprüchlichkeit bewußt. Innerhalb der Universität ist es nicht möglich, eine Kompromißlösung, die in der Praxis notwendig ist, zu erreichen; denn in der Theorie braucht man eine gewisse Konsequenz und sogar Radikalität. Die Freiheit der Wissenschaft führt zu einem Polylog, einem vielstimmigen Reden. Es ist nicht immer ein Ge sprach ... Aber wir bemühen uns, einen Diskurs herzustellen.

DIEFURCHE: Ilaben Sie da nicht mit einem Sack voller Flöhe zu tun? welan: Ja, wobei ich den Sack immer offen gelassen habe, beziehungsweise geöffnet habe. Als Rektor war ich immer für Vielfalt und Gegensätzlichkeit. Wegen der Spannungsgeladen-heit und des widersprüchlichen Aufgabenbereiches bin ich gerne an der BOKU geblieben, obwohl ich ja Jurist und Politikwissenschaftler bin.

DIEFURCHE: Fühlen Sie sich da an der BOKU nicht etwas verloren? weian: An der BOKU sind zirka 20 Juristen und Politologen tätig. An einer Naturwissenschaftlich-technischen Universität gilt es zu den einzelnen Fächern die spezifischen juristischen und politischen Zusätze zu liefern. Wir wollen übrigens auch Kultur- und Humanwissenschaften

an die BOKU bringen. Gerade an einer Universität wie der unseren darf es diese Trennung zwischen Naturwissenschaften und humanities nicht geben. Es ist notwendig, daß man sich auch bei uns mit Geschichte, mit Philosophie und mit Kunst beschäftigt.

DIEFURCHE: Welche Meilensteine sehen Sie in der Geschichte der BOKU? WELAN: Da ist zunächst die Zeit vor 1914, in der aus einer ganz kleinen Hochschule eine anerkannte wissenschaftliche Einrichtung wurde. Die Gründung der Universität für Bodenkultur war eine Folge des Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn 1867. Die im Reichsrat vertretenen Länder hatten erkannt, daß sie auch eine Agrarhochschule brauchen, denn die waren alle in der ungarischen Reichshälfte. Weil es hier schon andere Hochschulen und Universitäten gab, hat man sich für Wien entschieden. Das bedeutet, daß diese Hochschule schon immer mit anderen kooperieren konnte, aber auch konkurrieren mußte.

Für diese Universität war es eine Katastrophe, daß das alte Österreich zugrunde gegangen ist, weil die Mehrheit der Studenten aus den nichtdeutschsprachigen lindern gekommen ist. Noch in der Ersten Republik war über ein Drittel unserer Studenten Ausländer. Heute stammen zehn Prozent der Studenten aus 70 Staaten der Welt; die europäische Orientierung ist einer internationalen gewichen.

DIEFURCHE: Wie würden Sie die jüngere Entwicklung der BOKU umschreiben?

WEIAN: Der Wendepunkt war bei uns in den siebziger Jahren, als die Studentenzahl gewachsen ist: Aus rund 1.000 Studenten Anfang der siebziger Jahre wurden rund 8.000 jetzt. Dieser Schub der Jugend hängt mit dem Grün-Werden Österreichs zusammen. Mit der Modernisierung und der Internationalisierung hat auch die Ökologisierung der BOKU ihren 1 auf genommen.

DIEFURCHE: Wer sind die bekanntesten Absolventen der BOKU? WEIAN: Der ehemalige Bundeskanzler Leopold Figl und EU-Agrarkom missar Franz Fischler. Uberdurchschnittlich viele Absolventen dieser Universität sind in die Politik gegangen. Eine Beihe von Landeshauptmännern - wie etwa Alois Parti, Luis üurnwalder und Erwin Pröll —, viele Landesräte und fast alle Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft stammen von der BOKU.

DIEFURCHE: Eine sehr ÖW-lastige Runde ...

WEIAN: Auch die SPÖ-Landwirt-schaftsminister Oskar Weihs und Günther Haiden sowie Monika Langthaler von den Grünen kommen von der BOKU. Aber im Prinzip haben Sie recht: Die Bauern und der ländliche Baum waren historisch überwiegend der ÖVP zuzuordnen. Ob das heute noch so ist, muß ich bezweifeln.

Das Gespräch führte

Michael Kraßnilzer.

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