7121499-1996_38_26.jpg
Digital In Arbeit

Ein Prophet, den niemand hörte

Werbung
Werbung
Werbung

Seit voriger Woche ist ein Wiener Gemeindebau im 18. Rezirk nach Ernst Karl Winter, einem der interessantesten katholischen Politiker der Ersten Republik benannt. Vor 25 Jahren hatte sein ältester Sohn, Ernst Florian Winter einen entsprechenden Antrag gestellt; immerhin einigten sich die Gemeindepoltiker vor zehn Jahren auf einen kleinen Ernst-Winter- Wg in den Weinbergen, ebenfalls im 18. Wiener Gemeindebezirk, aber ohne Postadresse. In diesem Fall mahlten nicht nur die Bürokra-tiemühlten langsam. Bis heute wird der 1895 in Wien geborene Ernst Karl Winter von der Zeitgeschichte ebenso verdrängt wie von (Gemeinde-)Po-litikern aller Lager.

Tatsächlich stand er, dessen Motto „rechts stehen, links denken" war, Zeit seines Lebens zwischen allen Fronten, weil er seine geistige und politische Unabhängigkeit über alles stellte.

Ernst Karl Winter war Monarchist, der die Republik voll akzeptierte. Er gehörte führend zur „Österreichischen Aktion", einem Kreis jüngerer katholisch-konservativer Akademiker, die sich bereits 1927 zur österreichischen Nation bekannten. Nach dem Februar 1934 sollte er im Auftrag von Engelbert Dollfuß als dritter Wiener Vizebürgermeister eine Rrücke zur sozialdemokratischen Arbeiterschaft schlagen (die „österreichische Aktion" war in „Österreichische Arbeiter-Aktion" umbenannt worden), woran er trotz seiner Freundschaft mit Otto Rauer scheiterte. Von seinem Jugendfreund Dollfuß distanzierte er sich nach der Hinrichtung der Februar-Kämpfer. Auch verurteilte er das Abkommen vom Juli 1936 zwischen Kurt Schuschnigg und Hitler, worauf ihn der Dollfuß-Nachfolger als Vizebürgermeister entließ. Im März 1938 flüchtete er mit seiner Frau und acht Kindern aus Österreich, weil er von der Gestapo gesucht wurde, und emigrierte in die USA. Von dort kehrte er 1955 nach Österreich zurück und starb vier Jahre später in Wien.

Die langen Schatten der Ersten Republik hatten auch bei den Bewoh-nem des Gemeindebaus Thimiggasse 63/Messerschmidtgasse Spuren hinterlassen. Als sie erfuhren, daß ihr Haus nun „Ernst-Karl-Winter-Hof" heißen und gleichzeitig eine Gedenk-Steinenthüllung durch die Gemeinde Wien erfolgen würde, waren sie dagegen. Sie lehnten es ab, daß ihr Gemeindebau nach einem Mann benannt werden sollte, „der einem Mörder die Hand gereicht hat". Ernst Flo -rian Winter, der sich für das politische Fjbe seines Vaters einsetzt, setzte auf Dialog. Er fuhr zur Flausbesorgerin des Gemeindebaus - es war der einzige in Wien, der noch namenlos war - und erzählte ihr, daß sein Vater gegen die Hinrichtung der Februarkämpfer war; nun sind die Rewohner mit dem Namen ihres Hauses ausgesöhnt.

Zufällig steht der „Ernst-Karl-Winter-Hof" in jener Gegend , in der Winter bis 1938 gelebt hat: in einer zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, in der er auch als dritter Vizebürgermeister wohnen blieb, um gegenüber der Arbeiterschaft glaubwürdig zu sein.

Als „Sozialmonarchist" - so Kurt Skalnik in der 1983 gemeinsam mit Erika Weinzierl herausgegebenen „Geschichte der Fürsten Republik" -vertrat Winter eine Sozialpolitik, in der die Solidarität mit der Arbeiterschaft im Vordergrund stand. Im Herbst 1934 kritisierte er die zunehmende polizeistaatliche Entwicklung des „Ständestaates" unter Schuschnigg ebenso wie die Einführung der Todesstrafe. Der Soziologe Winter konnte auch nach 1945 nie Universitätsprofessor werden, weil er keiner politischen Gruppierung angehörte. Finanziell erhielt er seine Familie in erster Linie mit wöchentlichen Artikeln für eine deutschsprachige Zeitschrift in den USA, für die er monatlich 20 Dollar verdiente.

Winter war schon früh von der österreichischen Nation überzeugt und schrieb im ersten Heft der von ihm herausgegebenen „Wiener Politischen Blätter" am 16. April 1933: „Niemals Anschluß an Deutschland, weder an das heutige noch an das morgige, auch nicht an ein konstitutionelles Deutschland", womit er sich sowohl im Gegensatz zu Schuschnigg als auch zur Sozialdemokratie befand.

Vom Antisemitismus hatte Ernst Karl Winter nie etwas gehalten. Verheiratet mit einer Flugenottin, war er ökumenisch orientiert; eine Einstellung, die er in den USA zum Multikonfessionellen erweiterte. In der bereits zitierten „Geschichte der Ersten Republik" schreibt der Zeitgeschichtler Gerhard Jagschitz: „Winter ist der klarsichtigste analytische Zeitgenosse des Ständestaates und gleicht den biblischen Propheten, deren ,Wehe' die Menge auch nicht hören wollte."

Offensichtlich ist es diese Klarsicht, die ihm bis heute in Österreich wenig Sympathie eingetragen hat.

Die Autorin ist

Journalistin in Wien

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung