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Ein Schlüssel liegt im Parlament

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Bei der Konstituierung des Nationalrates am 31. März ging man von der langjährigen Übung ab, gleichzeitig die Ausschüsse des Nationalrates einzusetzen und die Zahl ihrer Mitglieder festzusetzen. Dieser Mangel wurde von einigen Beobachtern gerügt; Genießer parlamentarischer Feinheiten tüftelten an der Frage herum, wie es sich nun mit Mitgliedern des Hauptausschusses verhält, die nicht mehr Nationalräte sind. Für das Funktionieren des Parlaments und der Gesetzgebung ist diese Frage allerdings weniger bedeutend, als die der Zusammensetzung der Ausschüsse.

Nach der Geschäftsordnung des Nationalrates (25) sind die Ausschüsse zur Vorberatung der Verhandlungsgegenstände, also der Gesetzesvorlagen, Berichte, Initiativanträge usw. berufen. Einige Ausschüsse sind durch die Verfassung vorgeschrieben: So Hauptausschuß, Rechnungshofausschuß und Immunitätsausschuß. Die anderen werden nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit festgelegt.

Die Ausschußarbeit ist der materielle Kern des parlamentarischen Vorgangs. Hier müssen die Minister ihre Vorlage vertreten, hier haben die Abgeordneten Gelegenheit, Abänderungen durchzusetzen. Für eine Koalitionsregierung, die keine strenge Bindung an einmal in der Bundesregierung vereinbarte Gesetze kennt, wäre dort die letzte Chance, zwischen den Abgeordneten der Klubs der Regierungsparteien ein Einvernehmen herzustellen. Und aus diesem Grund ist das Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP in den Ausschüssen von entscheidender Bedeutung. Denn nach der Geschäftsordnung gilt ein Antrag bei Stimmengleichheit als abgelehnt.Der 25 bestimmt: „Der Nationalrat setzt die Zahl der Mitglieder und Ersatzmitglieder jedes zu wählenden Ausschusses fest. Die Mitglieder und Ersatzmitglieder werden auf die parlamentarischen Klubs oder Verbände von Klubs im Verhältnis der Zahl der ihnen angehörenden Abgeordneten verteilt.“

Die Tradition des Hauses am Ring hat bisher die Ausschußsitze nach dem d'Hondtschen System festgelegt. Nirgendwo im Gesetz ist allerdings verankert, daß dieses System bei der Feststellung der Verhältniszahl gilt.

Diesmal ist es anders. Wenn zwei große Parteien in eine Koalition gehen und sich die Möglichkeit offen lassen wollen, jeweils gemeinsam mit der dritten Partei die andere zu überstimmen, muß bei einem Verhältnis von 81:79 Chancengleichheit bestehen. Der Abstand von zwei Mandaten rechtfertigt nicht ungleiche Startbedingungen. Da jeweils jede große Partei im Plenum die andere überstimmen kann, muß diese Möglichkeit auch dm Ausschuß bestehen. Die FPÖ ist allerdings erst bei einer Ausschußmitgliederzahl von 32 vertreten, wobei das Verhältnis dann 16 SPÖ, 15 ÖVP, 1 FPÖ lauten würde. Diese Ausschußzahl kommt — bei Chancengleichheit — daher nicht in Frage. Wenn sich nun im Ausschuß die beiden großen Parteien in gleicher Stärke gegenüberstehen, hat die eine Partei Ummer die Möglichkeit, eine Beschlußfassung im Sinne der anderen zu verhindern.

Die Geschäftsordnung sieht nun für diesen Fall in ihrem 42 vor, daß im Plenum des Nationalrates „auf Vorschlag des Präsidenten“ oder auf Antrag eines Abgeordneten dem Ausschuß eine Frist zur Berichterstattung „gestellt“ wird. Es kann also bereits in freier Mehrheitsbildung verlangt werden, daß etwa eine Regierungsvorlage — gleichgültig ob der Ausschuß damit fertig geworden ist oder nicht — dem Plenum zur Verhandlung vorgelegt wird. Damit tritt der gesamte Nationalrat in die Ausschußberatung ein; vor dem offenen Haus würde die Vorlage nun behandelt und abgestimmt werden.

Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen, die für die kommende Zeit von entscheidender Bedeutung sind:

• Die Präsidialkonferenz des Parlaments hat bisher einvernehmlich die Tagesordnung der Nationalratssitzungen festgelegt. Erzwingt eine Mehrheit die Berichterstattung eines Ausschusses an das Plenum und damit eine Beschlußfassung mit Kampfmaßnahmen, wird dieses Einvernehmen empfindlich gestört und die Präsidialkonferenz umgangen.

• Es ist die Frage, ob wiederholte parlamentarische Kampfsituationen dem Image des Parlamentarismus und der Weiterentwicklung der Demokratie förderlich sind. Die oft verlangte Transparenz ist damit sicher gegeben; wieweit sie überzeugend sein wird, muß noch überlegt werden.

• Eine Koalition wird nicht lange leben, wenn sie nur auf Regierungsebene besteht, sich aber im Parlament ständig wechselnden Mehrheiten gegenüber sieht.

Damit freilich ist der 42 der Geschäftsordnung — die Fristsetzung für Ausschüsse zur Berichterstattung ans Plenum — zu einer Schlüsselbestimmung für eine eventuelle Regierungskoalition SP—ÖVP geworden.

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