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Ein Schritt weiter
Endlich. Das vielberufene Verbotsgesetz, das gegen den Nationalsozialismus und seine Anhänger gerichtet ist, wird jetzt aufgehoben und durch neue, in Erfahrungen gereifte Bestimmungen abgelöst werden. Im Wesen übereinstimmende maßgebliche Kundgebungen aus allen drei Parteilagern über die künftige Behandlung des sogenannten „Naziproblems“ deuten auf eine weitreichende Umstellung der einschlägigen Rechtsnormen hin. Jawohl, endlich! Es ist Zeit, einen Rechtszustand zu beseitigen, dem von Beginn an, anstatt Strafe nach der Schuld abzumessen, eine mechanische Klassifizierung nach äußerlichen Gesichtspunkten zugrunde gelegt war. So konnte es geschehen, daß keine andere Stelle seit dem Bestand einer österreichischen Verfassungsgesetzgebung einem solchen jähen Schauer von Reparaturen ausgesetzt war, als das Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945, das der NSDAP ein Ende setzen und Buße denen auferlegen sollte, die sich am Vaterlande oder ihren Mitbürgern als Nationalsozialisten vergangen hatten. Schon mit 15. August folgte diesem Verfassungsgetz die erste Novellierung, nach weiteren drei Monaten mit 16. November eine zweite; daneben liefen ein Verfassungsgesetz und dessen rasche Novellierung, die den Wirtschaftsraum von nazistischen Beständen und Einflüssen reinigen sollten. Und um diese Verfassungsgesetze schwärmte eine Menge von Durch-führungsvorschriften, die sich kaskadenartig in vier Durchführungsverordnungen über die Rechtspflege ergossen. — Man wird gerechter Weise sagen müssen, daß der außerordentliche Zustand, in dem sich das Land nach seiner Befreiung beTand und in Eile Entschließungen gefaßt und Provisorien geschaffen werden mußten, die Unvoll-kommenheiten dieser Gesetzgebung entschuldigen, die vielen Ungerechtigkeiten Tür und Tor öffnete, wirklich Schuldige entschlüpfen und dafür Harmlose, Unerfahrene, durch Not und Zwang Getriebene mit Schuldigen in einen Topf werfen ließ. Aber wenn diese Mängel auch zu erklären und zu entschuldigen sind, so ist ihre Fortdauer nach allen gewonnenen Erkenntnissen doch nicht mehr zu rechtfertigen. Schon deshalb nicht, weil sie eine wirkliche Reinigung behinderten. Im Schatten der mangelhaften legistischen Apparatur und der dazugehörigen Exekutive haben sich Tragödien abgespielt. Der Ruf nach Gerechtigkeit konnte nicht mehr verstummen. Nun soll er Erhörung finden.
Soweit aus den bisherigen Mitteilungen über die geplante Gesetzesreform ersichtlich ist, wird an die Aufstellung von vier nach Schuld und Verantwortlichkeit abgestuften Kategorien ehemaliger Nationalsozialisten gedacht, eine Einteilung, die an Stelle der bisherigen schweren Freiheitsstrafen für Minderschuldige auch Geld- und Steuerbußen zulassen und die kleinen Mitläufer, den Troß bloßer Anwärter, die nichts zu sagen hatten, mindestens von schweren Rechtsfolgen befreien soll. Soweit die Grenzen dieser Kategorien nicht automatisch durch klar erkennbare Merkmale gezogen werden können und richterliche Entscheidungen notwendig sind, wird allerdings die Wirksamkeit des Gesetzes durch eine breitere Organisation der Gerichtsbarkeit unterstützt werden müssen, die den bisherigen schleppenden Gang der Strafverfolgung behebt und Härten beseitigt, die nicht in der Absicht des Gesetzgebers und im Sinne geordneter Rechtspflege liegen. Für alles aber ist Voraussetzung, daß Parteileidenschaft, Haß und auch parteipolitische Spekulation von der Rechtsanwendung ausgeschlossen werden, damit endlich in eine breite Zone unseres staatlichen Gemeinschaftslebens ruhiges Gleichmaß und Rechtssicherheit einziehen.
Nach einer Äußerung des Vizekanzlers Dr. Schärf steht auch zur Erwägung, ob die seinerzeit geplante Ausbürgerung aller Illegalen aufrechterhalten werden soll. Hier wird das vielleicht am schwersten wiegende Problem angerührt. Welche Folgen eine solche Ausweisung zahllosen unschuldigen Mitbetroffenen, Frauen und Rindern, aufladen würde, ist in diesen Blättern bereits dargetan worden. Die Verheerungen, die in zehntausende Familien getragen würden, müßten das Gegenteil der Entgiftung herbeiführen, die mit einer solchen Landesvertreibung beabsichtigt werden könnte. Es ist ernstlich zur Debatte zu zu stellen, ob überhaupt Menschen, die nicht selbst durch ihre Flucht ins Ausland der Heimat schon den Rücken gekehrt haben, ihres in der Wiege erworbenen Bürgerrechts entkleidet und anderen Staaten zugeschoben werden dürfen. Selbst vom Standpunkte des Völkerrechtes müssen sich hier Zweifel ergeben. Seit dem Scherbengericht der Athener kannte man wohl durch mehr als zweitausend Jahre die Verbannung Einzelner, die man als staatsgefährlich betrachtete, als Rechtseinrichtung, die aber, in der Regel zeitlich begrenzt, die Staatsbürgerschaft des Exilierten unangetastet ließ. Wo immer die Landesverweisung Massen betraf, mochte sie aus politischen oder religionspolitischen Gründen erfolgt sein, hat sie die Geschichtsschreibung und das Rechtsbewußtsein späterer Geschlechter als übermäßige Strenge unerbittlich verurteilt. Erinnert man sich, wie selbst einzelne als Härte empfundene Gerichtsurteile dauernd das Andenken an kritische Episoden des europäischen Staatslebens belastet haben, so muß man zurückschrecken vor einem Akte, der nicht weniger erbarmungslos eine unabsehbare Schar von Unschuldigen mittreffen müßte. Weder einer der großen europäischen Staaten in seiner neueren Geschichte noch der Staatenbund der Union geben ein Beispiel, auf das eine Berufung möglich wäre. Wir sollen unsere junge Republik und die Ehre unserer Demokratie reinhalten von solchem Geschehen. Unser Staat hat genug andere Mittel, mit Resten des Nazismus, die gerade durch Fehler in ihrer Behandlung galvanisiert werden können, endgültig und besser fertig zu werden.
Immer wird das Maß für die Gesundheit und die innere Kraft eines Staates seine Verankerung in den ungeschriebenen und doch alle menschliche Gemeinschaft bestimmenden Gesetzen sittlicher Ordnung darstellen. Wir Österreicher haben bisher eine schwere Prüfung unseres Gemeinschaftssinnes gut bestanden. Warum sollten wir nicht auch die letzten Stationen wegbewußt durchschreiten?
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