6650583-1958_51_03.jpg
Digital In Arbeit

Ein später Blindgänger

19451960198020002020

An den zwei österreichischen Kriegsschadengesetzen hat niemand recht Freude: seine Schöpfer nicht, der kassaführende Staat nicht, und am allerwenigsten die Antragsteller, die sieh einem Wust komplizierter Amtsvorgänge gegenüber sehen und zum Teil, schon verzagt, die Segel gestrichen haben. Im folgenden versucht der Obmann des Bombengeschädigtenverbandes die Wurzel des Uebels aufzuzeigen und Vorschläge für eine gerechtere und großzügigere Liquidierung dieser schlimmsten aller Kriegserbschaften zu machen. „Die Furche“

19451960198020002020

An den zwei österreichischen Kriegsschadengesetzen hat niemand recht Freude: seine Schöpfer nicht, der kassaführende Staat nicht, und am allerwenigsten die Antragsteller, die sieh einem Wust komplizierter Amtsvorgänge gegenüber sehen und zum Teil, schon verzagt, die Segel gestrichen haben. Im folgenden versucht der Obmann des Bombengeschädigtenverbandes die Wurzel des Uebels aufzuzeigen und Vorschläge für eine gerechtere und großzügigere Liquidierung dieser schlimmsten aller Kriegserbschaften zu machen. „Die Furche“

Werbung
Werbung
Werbung

Herbe Kritik hat in diesen Tagen — von links und rechts — das Kriegs- und Verfolgungssachschadengesetz bei der Beratung des Staatshaushaltes für 1959 erfahren. Ueberraschend schnell findet damit die Kritik der Geschädigten ihre Bestätigung.

Wie ist es dazu gekommen? Aus Kreisen der größeren Regierungspartei erfährt man, daß Einwendungen gegen den Entwurf und Verbesserungsanträge, die vor Einbringung des Gesetzes im Parlament gestellt worden waren, von der anderen Regierungspartei abgelehnt wurden mit der Begründung, der Unterausschuß habe für die Bearbeitung ein halbes Jahr Zeit gehabt. Im selben Atem wurde aber auch die Behauptung aufgestellt, daß das Gesetz in überstürzter Eile ge?chaffen worden sei. Das beweist klar, daß über dieses Gesetz in den Kreisen der Volksvertreter eine nicht sehr klare Auffassung besteht.

Dazu soll ein Umstand nicht verschwiegen werden. Die dem betreffenden Unterausschuß angehörigen Vertreter der Volkspartei haben einmal die Vertreter des Verbandes der Bombengeschädigten zu einer Aussprache über dieses Gesetz eingeladen. Die Vertreter der Geschädigten sagten sich nach dieser Unterredung: Was uns die Herren da gesagt haben, ist in Wahrheit nur ein Ausfluß von Widerwillen gegen dieses Gesetz.

Damit erklärt sich wohl der Mißerfolg dieser gesetzgeberischen Leistung. Wer könnte schon eine brauchbare Leistung hervorbringen, wenn er der Sache selbst im Grunde seines Herzens widerstrebt? So ist es gekommen, daß das österreichische Kriegsschadengesetz — kaum, daß es ins Leben getreten ist — sogar von den Gesetzgebern selbst kritisiert wird. Das Gesetz selbst beweist klar, daß die Gesetzgeber den Gedanken einer Schadenvergütung ausgeschaltet und sich Fürsorgemaßnahmen für die, be- sonders Bedürftigen befaßt haben. Und diese Fürsorgemaßnahmen haben sie mit einem Wall von Hindernissen für die Anmelder umgeben, der schon fast einem eisernen Vorhang gleicht.

Es wurde als besonders erschwerender Umstand bezeichnet, daß dieses Anliegen der Geschädigten schon vor 13 Jahren hätte behandelt werden müssen. Damals hätte sich gewiß niemand geweigert, für diesen Zweck eine Sondersteuer und eine Vermögensabgabe zu leisten. Fast scheint es, als läge in dem Einwand ein Vorwurf an die Vorkämpfer des Gesetzes, daß sie sich nämlich schon seinerzeit so kräftig wie derzeit hätten rühren sollen.

Ein solcher Vorwurf wäre ein Bumerang. In Belgien, Holland, England gibt es gar keinen Verband der Geschädigten, weil die Volksvertretung ohne Aufforderung das Problem in einer Weise gelöst hat, die jeder Forderung zuvorkam. In Frankreich wurden die Geschädigten von Staats wegen in die Durchführung des Gesetzes organisch eingegliedert.

In Oesterreich dagegen verschanzte man sich vorerst hinter dem Argument, daß Oesterreichs Regierung die Kriegsschäden nicht verschuldet habe und daher auch nicht zur Vergütung herangezogen werden könne. Erst diese ablehnende Haltung der Regierungsparteien war der Anlaß zur Bildung einer Organisation der Bombengeschädigten.- (Es sind in dieser Bezeichnung alle Arten von Kriegssachschäden miteinbezogen.) Wenn heute behauptet wird, damals wäre die Lösung mit Hilfe einer Abgabe leicht, möglich gewesen, so stimmt das nicht: Jeder Vorschlag unseres Verbandes wurde als Wahnsinn bezeichnet und die Gefahr einer Inflation als Schreckgespenst hingestellt.

Dieser Einwand bestärkt die Geschädigten immer wieder in der Annahme, daß die Verantwortlichen damals wie heute sich nicht bereitfinden wollen, mit ehrlichem Willen nach der finanziellen Bedeckung zu suchen. Selbst eine im Laufe der Jahre sich selbst anbietende finanzielle Möglichkeit von beträchtlichem Ausmaß vermochte Regierung und Parlament nicht zu bewegen, an das Problem heranzugehen: Als eben ein Vorschlag des Verbandes wegen eines Zuschlages zur Einkommensteuer als unmöglich erklärt worden- war, erhoben die Siegermächte die Forderung nach Bezahlung der Besatzungskosten durch das befreite Oesterreich.

Nun war plötzlich ein zwanzigprozentiger Zuschlag auf die Einkommensteuer und andere Zuschläge kein Wahnsinn mehr, sondern eine selbstverständliche Notwendigkeit. Im Jahre 1953 wurde nun von den Besatzungsmächten auf diese Kosten verzichtet. Somit war ein Riesenbetrag von mehr als 700 Millionen Schilling plötzlich frei. Er hatte sich jahrelang für Volks- und Staatswirtschaft als erträglich erwiesen und keine „Gefahr für die Währung“ bedeutet. Der Bombengeschädigtenverband reklamierte die freiwerdenden Gelder für die Bombengeschädigten. Das Ergebnis: die Besatzungskostensteuer wurde nicht aufgehoben, sondern für andere Zwecke verwendet...

195 5 brachte der Staatsvertrag Oesterreich seine Selbständigkeit. Die Geschädigten benützten den Anlaß aufs neue, ihre Forderung nach einem Kriegsschadengesetz zu erheben.

Jetzt mußten die Staatsvertragslasten als Beweis für die Unmöglichkeit von Aufwendungen für die Kriegsgeschädigten dienen.

Der Verband der Bombengeschädigten verstärkte seine Werbung. Vor den Nationalratswahlen 1956 gab endlich die Volkspartei feierliche Versprechungen für die Geschädigten, und vor den Präsidentschaftswahleh 1957 endlich auch die Sozialistische Partei, weil die Geschädigten Professor Denk als ihren Kandidaten erklärt hatten. Wie sehr aber noch immer die innere Bereitschaft fehlt, das wird durch die Verzögerung des Gesetzes und dessen unglückliche Beschaffenheit erwiesen.

Es wird selbst heute noch allen Ernstes behauptet, zur finanziellen Bewältigung des Anliegens der Bombengeschädigten wäre eine Verdreifachung der Einkommensteuer nötig. Bisweilen hört man sogar von einer angeblich erforderlichen Summe von 50 Milliarden. Damit scheint die Forderung der Bombengeschädigten vor der breiten Oeffentlichkeit genügend diffamiert zu sein.

Die Vorschläge der Bombengeschädigten selbst für eine Lösung ohne jede neue Belastung und ohne Einschränkung der laufenden Investitionen werden völlig überhört und beharrlich totgeschwiegen.

Nach ihnen soll der im Bundesvoranschlag aufgenommene Betrag von 200 Millionen zu Vorschußleistungen an die alten und erwerbsunfähigen Opfer verwendet werden. Indessen soll die Schadensbestandaufnahme ohne Einschränkungen und Erschwerungen durchgeführt werden. Inzwischen erreichen wir bereits das Jahr 1960, und es wird der Betrag für die Ablöselieferungen an Sowjetrußland (für das

„deutsche Eigentum“) frei in der Höhe von jährlich 650 Millionen Schilling. Es ist dies ein ähnlicher Fall wie bei den Besatzungskosten. Die

Vornehm Geld schenken durch ein Sparkassenbuch

ERSTE OSTERREICHISCHE SPAR-CASSE

Wien /, Graben 21 28 Zweiganstalten

Erdöllieferung von einer Million Tonnen wird IS 6 5 ganz frei; sie ist bereits jetzt auf die

Hälfte ermäßigt worden. Es wäre auch dies schon wieder ein ungeheurer Betrag für die Geschädigten — aber denkt jemand auch nur an eine Verwendung in diesem Sinne? Schließlich wird auch der Wohnhauswiederaufbau vollendet und die dafür bestehende Steuer von nahezu einer Milliarde wird frei.

Würden alle diese Gelder gesetzlich für einen Kriegsschadenfonds bestimmt und diesem Fonds Rechtspersönlichkeit verliehen, so wäre die Bahn frei für großzügige Finanztransaktionen. In längstens zehn Jahren könnte Oesterreich das Problem mit einem echten Meisterwerk mühelos bewältigen und den Rückstand reichlich aufholen. Die Weststaaten haben eine Dauer von 30 Jahren hierfür vorgesehen.

Was hindert die Verantwortlichen, auf solche Planung einzugehen, die keinen Groschen neue Steuer erfordert?

Die maßgebenden Führer der Volks- und Staatswirtschaft scheinen dem Gedanken der staatlichen Sorge um die Behebung der privaten Kriegsschäden fremd gegenüberzustehen. Sie sind befangen in Gedanken an gigantische Pläne mit Hilfe der erwähnten freiwerdenden Gelder. Darin wollen sie sich nicht durch die Sorge um die zurückgebliebenen geschädigten und vernichteten Existenzen behindern lassen. Es herrscht eine offenkundige Befangenheit zugunsten jenes Teiles der Wirtschaft, der die bisherige Konjunktur schon voll ausnützen konnte.: Man ist eifrig bestrebt, ihre Erträge noch weiter zu vermehren. Es spricht sich mit solchen ja auch viel angenehmer, als mit sorgenvollen Geschädigten.

In dieser Befangenheit gegenüber den Bombengeschädigten verschließt man sich auch völlig der Erkenntnis, daß es den wertvollsten Dienst für das Gesamtwohl bedeutet, zuerst denen wieder aus dem Bombentrichter herauszuhelfen, die durch das Kriegsunglück schuldlos hineingestürzt worden sind Es ist eine Verpflichtung vaterländischer Gemeinschaft, diese Hilfe allen anderen Wünschen voranzustellen, eine Forderung der Moral, ein Gebot der christlichen Gerechtigkeit.

Aus der Erfüllung dieser Forderung würde den verschont Gebliebenen kein Nachteil erwachsen, sondern im Gegenteil unschätzbarer Nutzen: die für die Bombengeschädigten flüssig werdenden Gelder, die hierfür zu schaffenden Kredit- und Steuerbegünstigungen würden durchaus konjunkturfördernd wirken. Die letzten Jahre haben zur Genüge bewiesen, daß der größte Nutznießer der Wirtschaftsbelebung der Finanzminister ist. Es würde sich die überraschende Feststellung ergeben, daß die großen Pläne der Regierung durch die Aufwendungen für die Behebung der privaten Kriegsschäden nicht nur nicht aufgehalten würden, sondern sogar eine ungeahnte Förderung erfahren können.

Aufgabe dieser Zeilen ist es, auf die eigentliche Ursache für die Fehlgeburt des österreichischen Kriegsschadengesetzes hinzuweisen und festzustellen, daß die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen in der Abkehr von dem Widerwillen gegen die Aufwendungen für die Behebung der privaten Kriegsschäden liegt. Es ist die bewußte Umstellung auf die Erkenntnis notwendig, daß der Lösung dieses Problems der Vorrang vor allen übrigen Plänen gebührt; dies nicht nur wegen der moralischen Verpflichtung, sondern auch wegen der großen Vorteile, welche für die Allgemeinheit daraus moralisch und wirtschaftlich erwachsen.

Wenn sich die Volksvertretung zu dieser Ueberzeugung durchringt, schrumpfen alle scheinbaren Schwierigkeiten von selbst zusammen: Es könnte ein gutes, gerechtes, wirklich österreichisches Kriegsschadengesetz daraus

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung